Im Spannungsfeld zwischen Qualität und Fachkräftemangel

Kitas in Hessen | HLZ Juni 2023

Die Überschrift zum Abschnitt der frühkindlichen Bildung im hessischen Koalitionsvertrag von CDU und Bündnis 90/Die Grünen von 2018 lautet: „Verlässliche Betreuung unserer Kinder“. Das ist eine entlarvende Zusammenfassung der politischen Prioritäten der letzten fünf Jahre, denn es geht in allen Diskussionen vor allem um die „Betreuung“ der Kinder.


Der Begriff „frühkindliche Bildung“ tauchte schon im Koalitionsvertrag nicht auf und ist auch in den letzten fünf Jahren in der politischen Arbeit kaum wahrgenommen worden. Denn darum scheint es der schwarz-grünen Landesregierung eben genau nicht zu gehen. Qualität in der Betreuung ja – aber frühkindliche Bildung? Fehlanzeige!


Mehr Qualität durch das Gute-Kita-Gesetz?


Das „Gute-Kita-Gesetz“ der Bundesregierung wurde 2018 sehnlichst erwartet. Was dann als „Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung“ verabschiedet wurde, blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Statt bundeseinheitlicher Standards gibt es einen Maßnahmenkatalog, aus dem die Länder sich aussuchen können, wo sie die Bundesmittel einsetzen.


Die Umsetzung des Gute-Kita-Gesetzes in Hessen wurde durch Fachgespräche mit Verbänden, Kirchen, Trägervereinigungen und Gewerkschaften auf eine breite Basis gestellt. Einige Befürchtungen konnten somit schon recht früh vom Tisch geräumt werden – zum Beispiel die Verwendung der Gelder für die Gebührenfreiheit. Zwar tritt natürlich auch die GEW für die Kostenfreiheit aller Bildungseinrichtungen als wichtigem Pfeiler sozialer Familienpolitik ein. Doch was haben Maßnahmen im Bereich der Kita-Gebühren in einem Gesetz verloren, bei dem es vor allem um Qualitätsverbesserungen an den hessischen Kitas gehen sollte?


Die Maßnahmen des „Gute-Kita-Gesetzes“ sind unter dem Vorzeichen des Fachkräftemangels zu sehen. Das ist nachvollziehbar. Aber mit einer Qualitätsoffensive haben sie wenig zu tun, sondern mehr mit dem Nachholen längst überfälliger Maßnahmen. Die Ausfallzeiten wurden von 15 Prozent auf 22 Prozent erhöht. Diese Zahl entspricht gerade mal den angenommenen realen Ausfallzeiten, daher wird an dieser Stelle zwar eine Anpassung an die Realität vorgenommen, es wird aber kaum ein Qualitätsanstieg in den Einrichtungen befördert. Die Freistellung der Leitungen ist ein adäquates Mittel, um den gesellschaftlichen Veränderungen, die sich auch in der Arbeit in den Kindertageseinrichtungen niederschlagen, Rechnung zu tragen. Auch hier ist die Freistellung von 20 Prozent allerdings nicht der große Wurf. Das Thema Öffnung des Fachkraftkatalogs wurde zunächst bewusst ausgeklammert, dann aber doch in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen. Bis zu 15 Prozent des personellen Mindestbedarfs können nun von Personen mit fachfremder Ausbildung gedeckt werden.


Das Gute-Kita-Gesetz geht im Sommer 2023 in die zweite Runde. Neben positiven Aspekten wie der weiteren Stärkung der Leitungen und der Übernahme der Kosten der Sprachkitas, die der Bund überraschend hat auslaufen lassen, gibt es Grund für Kritik: Der Schwerpunkt liegt erneut auf der Öffnung des Fachkraftkatalogs. Das Thema soll kleingeredet werden, aber wer vom Deutschen Qualifikationsrahmen DQR 6 auf DQR 4 herunter geht, der rechnet sich den Fachkraftschlüssel in den Einrichtungen schön. Das als Qualitätsentwicklung zu verkaufen, grenzt an Realitätsverweigerung.


Klatschen für Systemrelevanz


Die Corona-Pandemie wirkte wie ein Brennglas auf den Sozial- und Erziehungsdienst. Dinge, die den Beschäftigten schon längst bewusst waren, traten nun deutlich hervor. „Systemrelevanz“ war das Wort der Stunde, führte aber nur zu Klatschkonzerten. So wertschätzend, wie das sicher von vielen gemeint war, so entlarvend war es, wenn man gleichzeitig die Diskussionen um fehlende Arbeitsschutzmaßnahmen, Hygienepläne und Notbetreuung in Hessen rekapituliert. Die Landesregierung warf der GEW Hessen wiederholt „Panikmache“ vor, um wenige Wochen später doch festzustellen, dass wir einen zweiten Corona-Winter haben würden. Dass der grüne Sozialminister Kai Klose gleichzeitig Gesundheitsminister ist, war leider eher Teil des Problems als der Lösung. Seine Vorschläge, wie die Einrichtungen mit der Pandemie umgehen sollen, blieben nur Vorschläge und die Träger wurden mit der Umsetzung der Hygienepläne allein gelassen.


In Hessen fehlen aktuell rund 37.000 Kita-Plätze und damit knapp 11.000 Fachkräfte. Die neue Landesregierung wird sich deshalb daran messen müssen, wie sie den Fachkräftemangel angeht und gleichzeitig die frühkindliche Bildung voranbringt. Aus gewerkschaftlicher und bildungspolitischer Perspektive kann die Antwort nicht heißen, die Qualität abzusenken und sich die Fachkraft-Kind-Relation weiter auf dem Papier schönzurechnen. Menschen für die Arbeit in der frühkindlichen Bildung zu begeistern, wird nur mit anständigen Arbeitsbedingungen gelingen: einer ordentlichen Fachkraft-Kind-Relation, einer Erhöhung der Ausfallzeiten, Zeiten für mittelbare pädagogische Arbeit, Freistellungen für Leitungsaufgaben und Praxisanleitung, eine echte Ausbildungsoffensive und Perspektiven für den beruflichen Aufstieg!


Dr. Isabel Carqueville und Andreas Werther, Referentin bzw. Referent für Sozialpädagogik und Weiterbildung GEW Hessen