Lehrkräftemangel erfolgreich bekämpfen statt Stückwerk auf dem Rücken der Beschäftigten

Kultusminister Lorz stellte im Rahmen einer Pressekonferenz am 24. April ein Bündel an Maßnahmen vor, mit denen das HKM dem Lehrkräftemangel an Grundschulen entgegensteuern möchte. Mit dem vorgestellten Maßnahmenpaket zur Lehrkräftegewinnung bestätigt das Hessische Kultusministerium, dass es im Bereich der Grundschulen einen eklatanten Lehrkräftemangel in Hessen gibt. Bis zum Beginn des Jahres 2020 wurde noch Eindruck vermittelt, dass das Problem in dieser Dimension nicht besteht.
 

Außerdem benötige man zusätzliches Personal, um den „Ausbau von Ganztagsangeboten, die sukzessive Einführung einer zusätzlichen Deutschstunde sowie die geplante Verpflichtung zum Besuch von Vorlaufkursen“ zu realisieren. Einen Bezug zur Pandemie stellte Lorz mit der Aussage her, dass ältere Lehrkräfte, die ihren Ruhestand hinausgeschoben haben oder im Rahmen eines TV-H-Vertrags weiter in der Grundschule unterrichten, als Teil der Risikogruppen im neuen Schuljahr kaum noch zur Verfügung stehen werden. Diese Maßnahme konnte aber bereits in den vergangenen Jahren dem Lehrkräftemangel nur sehr begrenzt entgegenwirken.
 

Viele der weiteren benannten Maßnahmen gibt es schon seit einigen Jahren, ohne die große Lücke an den Grundschulen schließen zu können. Grundsätzlich richtig ist die inzwischen – allerdings leider zu spät – erfolgte deutliche Ausweitung der Studienplätze für das Grundschullehramt. Es wird jedoch noch einige Jahre dauern, bis die Studienanfängerinnen und -anfänger ihr Studium und Referendariat beendet haben und in den Schulen als Lehrkraft tätig werden können. Es reicht aber nicht aus, nur die Anzahl Studienplätze auszuweiten. Die Bedingungen im Studium müssen auch so gestaltet sein, dass sie junge Menschen motivieren, einen pädagogischen Beruf zu ergreifen. Im Studium sollen nicht nur fachliche Fragestellungen eine Rolle spielen, sondern es soll bereits eine Verzahnung von Theorie und Praxis stattfinden. Letztlich kommt es darauf an, dass ein möglichst großer Anteil der Studienanfängerinnen und -anfänger dieses Studium auch erfolgreich beendet und ins Referendariat geht. Hier zeigen die Statistiken auf, dass bislang nur ungefähr zwei von drei Anfängerinnen und Anfängern eines Grundschulstudiums letztendlich auch den Vorbereitungsdienst erfolgreich beenden.
 

Auf die Frage, ob die große Wertschätzung für die Arbeit der Grundschulen nicht auch endlich zu einer gleichen Bezahlung führen müsse, erklärte Lorz auf hessenschau.de, der Beruf der Grundschullehrerin sei „auch mit der geltenden Gehaltsstufe und angesichts der quasi garantierten Aussicht auf eine Stelle attraktiv“ und schließlich seien „alle Studienplätze belegt".
 

Hessen hat in den vergangenen Jahren deutlich unter Bedarf ausgebildet und sich darauf verlassen, dass in anderen Bundesländern ausgebildete Lehrkräfte nach Hessen kommen. Das hat funktioniert, solange insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern kaum neue Lehrkräfte eingestellt wurden.
 

Da nun aber bundesweit Grundschullehrerinnen und -lehrer gesucht werden, die zudem in immer mehr Bundesländern besser bezahlt werden, wird diese Strategie nicht länger aufgehen. Bereits jetzt zeigt sich im Ländertauschverfahren, dass deutlich mehr Lehrerinnen und Lehrer Hessen verlassen wollen, als es Interessierte an einer Versetzung nach Hessen gibt.
 

Die Landesregierung ist aufgefordert, als wichtigste und zentrale Maßnahme zur Lehrkräftegewinnung die Besoldung im Grundschulbereich endlich auf A13 anzuheben. Sieben Bundesländer – Sachsen, Berlin, Brandenburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Hamburg – haben dies bereits getan oder zumindest angekündigt. Im Bundesländervergleich (Lebenseinkommen) belegt Hessen bei der Besoldung im Grundschulbereich einen schwachen 12. Platz. Werden die unterschiedlichen Arbeitszeiten der Lehrkräfte berücksichtigt, verliert Hessen weiter an Boden und landet auf dem drittletzten Platz – nur das Saarland und Rheinland-Pfalz schneiden noch schlechter ab. Unter diesen Bedingungen wird Hessen immer größere Schwierigkeiten bekommen, ausgebildete Lehrkräfte für den Grundschulbereich anzuwerben. Eine Höhergruppierung von Lehrerinnen und Lehrern an Grundschulen in die Besoldungsgruppe A13 ist dringend geboten.
 

Gerade für die pädagogische Arbeit an den Grundschulen ist es wichtig, eine gemeinsame Grundhaltung einzunehmen, die es allen Kindern ermöglicht, gleichberechtigt in der Schule aufgenommen und wertgeschätzt zu werden. Begleitet von dieser pädagogischen Grundhaltung sollen die Schülerinnen und Schüler die Grundschule durchlaufen. Dies erfordert eine kontinuierliche pädagogische Beziehungsarbeit über alle Jahrgangsstufen hinweg, die sich im Klassenlehrerprinzip widerspiegelt. Die geplante Maßnahme der Zwangsabordnung von Gymnasiallehrkräften an Grundschulen nach dem Fachlehrerprinzip und dem Einsatz in den dritten und vierten Klassen widerspricht diesem erfolgreichen pädagogischen Konzept der einheitlichen Klassenführung und des überwiegenden Einsatzes einer Lehrkraft in einer Klasse von Beginn bis zum Ende der Grundschule. Daher werden  geplanten Maßnahmen der Zwangsabordnungen von Gymnasiallehrkräften an die Grundschulen für eine gewaltige Unruhe und Unzufriedenheit in den Grundschulen und den weiterführenden Schulen sorgen. 
 

Die GEW Hessen hält das Vorgehen des Kultusministeriums insgesamt für verantwortungslos und wird dies auch öffentlich so benennen sowie alle dagegen gerichteten Proteste unterstützen: Alle Lehrkräfte, die Schulleitungen und die Schulämter sind derzeit mit einer Krise konfrontiert, die die Schulen, den Unterricht und das pädagogische Miteinander in ihrem Kern erschüttert. In einer Situation, in der niemand weiß, wo wir in vier Wochen, am Ende des Schuljahres oder gar am Anfang des neuen Schuljahres stehen, wo Beschäftigte angesichts des Infektionsrisikos Angst um ihre Gesundheit haben, Quoten für die zwangsweise Abordnung von der einen an die andere Schulform zu berechnen, Personen für eine solche Abordnung auszudeuten und zugleich alle Mitbestimmungsrechte zu unterlaufen, untergräbt das Vertrauen in die Schulverwaltung und das Kultusministerium und ist ein Schlag gegen die viel beschworene Gemeinsamkeit in Zeiten der Pandemie.