Globales Lernen in Schule und Lehrerbildung

Bildung für nachhaltige Entwicklung

HLZ 3/2019 Koalitionsvertrag: Wortlaut und Stellungnahmen

Im Hessischen Schulgesetz (HSchG) vom 30. Juni 2017 sind „Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung“ in § 6 Absatz 4 als besondere Bildungs- und Erziehungsaufgaben der Schule beschrieben, die „in Form themenbezogener Projekte unter Berücksichtigung der fachbezogenen Lernziele und Methoden auch jahrgangs- und schulformübergreifend unterrichtet werden“ können.

In der vorherigen Fassung des HSchG aus dem Jahr 2011 war an dieser Stelle noch von „ökologischer Bildung und Umwelterziehung“ die Rede. Die Akzentverlagerung im Erziehungsauftrag wird im Vergleich deutlich: Es geht künftig nicht nur um Umweltschutz, sondern um Bildung, die dem Einzelnen ermöglichen soll, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen und verantwortungsvolle Entscheidungen im Hinblick auf künftige Herausforderungen zu treffen. Damit setzt das Schulgesetz um, was die Kultusministerkonferenz (KMK) in der Bildungsdekade 2005-2014 initiiert hatte. Um die Bedeutung von Bildung für das Erreichen einer nachhaltigen Entwicklung hervorzuheben, hatte die UN auf Empfehlung des Weltgipfels in Johannesburg im Jahr 2002 die Jahre 2005 bis 2014 als Weltdekade „Education for sustainable Development“ (ESD) bzw. „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) ausgerufen. Nachhaltige Entwicklung sollte als Leitbild in allen Bildungsbereichen verankert werden. Zehn Jahre lang engagierten sich Menschen in Deutschland und weltweit, um zu erkunden, wie sich dieses ambitionierte Vorhaben in die Tat umsetzen lässt. Im Jahr 2007 gab die KMK zusammen mit der Deutschen UNESCO-Kommission (DUK) Empfehlungen für „Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Schule“ (1) heraus und erarbeitete zusammen mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einen umfangreichen „Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung“ (2). Dieser sollte als Grundlage für die Entwicklung von Lehrplänen und für die Weiterentwicklung des Unterrichts dienen, denn er enthielt Material und Hinweise für fächerverbindenden und fachübergreifenden Unterricht.

Aufbauend auf den Erfolgen und Erfahrungen dieser 2014 zu Ende gegangenen UN-Dekade wurde das Weltaktionsprogramm (WAP) entwickelt. Dieses orientiert sich an den 17 Sustainable Development Goals der UNO (SDGs) und der Agenda 2030 und wurde im September 2015 auf einem UNO-Gipfel von allen Mitgliedsstaaten verabschiedet. Es berücksichtigt erstmals alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit Soziales, Umwelt, Wirtschaft gleichermaßen. Als handlungsleitende Prinzipien sind fünf Kernbotschaften vorangestellt: Mensch, Planet, Wohlstand, Frieden und Partnerschaft. Das UNESCO-Weltaktionsprogramm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (2015-2019) kann als Nachfolgeprogramm der UN-Dekade verstanden werden.

Defizite bei der Umsetzung
Im Rahmen einer Onlinestudie wurden im Frühjahr 2018 mehr als 2.500 Jugendliche zwischen 14 und 24 Jahren sowie über 500 Lehrkräfte allgemeinbildender und berufsbildender Schulen zu dem Stand der BNE-Implementierung, zu nachhaltigkeitsbezogenen Einstellungen, Emotionen, Wissen und Verhalten befragt. Die Auswertung verdeutlicht, dass der Implementierungsstand von BNE in den analysierten Bildungskontexten Schule, Hochschule sowie berufliche Bildung noch stark ausbaufähig ist. Damit zeigt sich nicht nur eine Diskrepanz zwischen Bildungsrealität und politischen Zielsetzungen im Kontext BNE, sondern auch, dass sich sowohl die Lehrkräfte als auch die Jugendlichen innerhalb ihrer Bildungsinstitution wesentlich mehr BNE wünschen (3).

Die hessische Landesregierung hat im Rahmen der Hessischen Bildungsinitiative Nachhaltigkeit regionale BNE-Netzwerke aufgebaut (4). Zwischen April 2015 und April 2016 wurde das Programm „Schuljahr der Nachhaltigkeit“ an zwölf Schulen in sechs Modellregionen durchgeführt (5). Die Vorhaben – ausschließlich im Bereich des Natur- und Umweltschutzes - zeigen, dass die Weiterung des BNE-Konzepts hin zu den globalen politischen Zielen des Weltaktionsprogramms in den schulischen Vorhaben noch nicht hinlänglich vollzogen ist. Der zentrale Lernbereich Globale Entwicklung, der lokale mit globalen Prozessen verbindet, findet zu wenig Berücksichtigung.

Der BNE-Orientierungsrahmen
Auf der Homepage des Hessischen Kultusministeriums (HKM) findet man dagegen durchaus die Ziele des nachhaltigen Bildungskonzepts, die sich mit dem Weltaktionsprogramm und dem Orientierungsrahmen für den Bereich Globale Entwicklung in Einklang befinden (6). Dort werden folgende Leitlinien der BNE genannt:
Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen sozial- und umweltverträgliche Formen des Wirtschaftens, Arbeitens und Lebens Überwindung der Armut überall auf der Welt Teilhabe aller Menschen an Bildung und an demokratischen Entscheidungsprozessen und die Möglichkeit zur eigenen Lebensgestaltung.
Im August 2018 hat das HKM die Einrichtung und Besetzung einer Landeskoordination für Globale Entwicklung angekündigt, um „Schulen in der Bewältigung der Aufgabe und der für viele noch neuen Herausforderungen, Globales Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung umzusetzen und in ihrem Schulprofil zu verankern“,  zu unterstützen (7).

Bei der Entwicklung fachübergreifender und fächerverbindender Vorhaben zur Förderung der BNE stellt der Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung eine sehr gute Grundlage dar. BNE ist notwendig, um politische, ökonomische, soziale und ökologische Herausforderungen durch „schwerwiegende Umweltveränderungen“ zu bewältigen. Konkret genannt werden „die Gefahren der globalen Erwärmung, die Verknappung der natürlichen Ressourcen und der Verlust an Biodiversität sowie das Ausmaß der weltweiten Armut, eine zunehmende Einschränkung politischer Rechte und ziviler Freiheiten in vielen Teilen der Welt, Kriege und Bedrohung durch Terrorismus sowie Risiken und Krisen der Finanzsysteme“. (S.21)

Schule muss Heranwachsende vorbereiten, in den Kompetenzbereichen Erkennen, Bewerten und Handeln Einsichten, Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Gestaltung einer menschenwürdigen Zukunft zu erwerben. Der Orientierungsrahmen konkretisiert diese didaktischen Grundlagen, die an Wolfgang Klafkis Begriff einer „Allgemeinbildung im Lichte gegenwärtiger und zukünftiger Schlüsselprobleme“ erinnern, anhand von Vorschlägen für den Beitrag einzelner Fächer zum Lernbereich Globale Entwicklung. Er listet die fachbezogenen Teilkompetenzen auf, stellt Beispielthemen, Aufgabenbeispiele u nd Literatur vor. Im Bereich der Naturwissenschaften werden fächerverbindende Themen wie das Thema „Zukunftsfähigkeit der Energieversorgung in einer globalisierten Welt“ vorgestellt, während die übrigen Themenvorschläge weitgehend einen fachübergreifenden Ansatz verfolgen. Der Orientierungsrahmen ist eine wichtige Grundlage für eine Unterrichtsentwicklung, die auf BNE in einer globalen Welt zielt. Es ist zu wünschen, dass er in Schulen und Lehrerbildung größere Verbreitung findet und Lehrkräfte, Schulleitungen und die Bildungspolitik inspiriert. Notwendig ist eine enge Planung und Zusammenarbeit der einzelnen Fächer, z.B. in einer Projektwoche. Denkbar wäre eine gemeinsame Eröffnungsveranstaltung mit der Vorstellung der Ziele der UN und der Festlegung auf eine konkrete Fragestellung für die fächerverbindende Arbeit. Danach könnte jedes Fach mit fachübergreifendem Blick an der Bearbeitung der Fragestellung aus Fachperspektive arbeiten.

Projekttage und Projektwochen
Am Ende könnte ein Projekttag stehen, an dem die Ergebnisse aus den einzelnen Fächern vorgestellt und verknüpft werden können. Sinnvoll ist auch die Einbindung außerschulischer Kooperationspartner aus Politik, Wirtschaft oder von Nichtregierungsorganisationen aus den Netzwerken für nachhaltige Entwicklung vor Ort. So erkennen die Schülerinnen und Schüler den Zusammenhang zwischen der individuellen Ebene ihrer Lebenswelt, der Meso- und Makroebene einschließlich der staatlichen Ebene sowie der globalen Ebene, so wie es der Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung erfordert.

Dr. Franziska Conrad


(1) www.kmk.org > Suche: UNESCO Bildung nachhaltige Entwicklung
(2) Download und Bestellmöglichkeit: www.kmk.org > Suche: Orientierungsrahmen
(3) www.bne-portal.de > Bundesweit > Monitoring
(4) www.hessen-nachhaltig.de > Unsere Schwerpunkte > Bildung
(5) www.hessen-nachhaltig.de/de/schuljahr-der-nachhaltigkeit.html
(6) kultusministerium.hessen.de > Förderangebote > Schule und Gesundheit > Weitere Schwerpunkte > BNE
(7) kultusministerium.hessen.de > Presse > Pressemeldung vom 8.8.2018