Die Arbeitszeit der Lehrkräfte – Mehrarbeit und Überstunden

Februar 2021

Arbeitsvertraglich gilt: Überstunden müssen nur geleistet werden, wenn es hierzu eine Regelung gibt. Dies kann der Arbeitsvertrag sein, möglich ist auch, dass es hierzu eine Vereinbarung im Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung gibt. Der Arbeitgeber ist damit ohne Vereinbarung nicht berechtigt, Überstunden anzuordnen. Was jedoch, wenn keine Transparenz darüber besteht, wie viel Arbeitszeit eigentlich geleistet wird, sprich bei der Frage, wo die reguläre Arbeitszeit endet und die Überstunden beginnen? Und was ist, wenn es sich bei den Lehrkräften zum Beispiel nicht um Unterricht handelt, bei dem Überstunden entstehen, sondern beispielweise zu viel Korrekturarbeitszeit geleistet wurde? Arbeitszeit im rechtlichen Sinne ist „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt.“, so steht es in der Richtlinie 2003/88/EG. (Anmerkung: zu den Arbeitnehmern im Sinne des Rechts der europäischen Union gehören auch die Beamtinnen und Beamten.)

Bei den Lehrkräften besteht die Arbeitszeit aus Unterricht sowie vielfältigen außerunterrichtlichen Tätigkeiten (siehe dazu der Beitrag: Arbeitszeit: Unterricht – außerunterrichtliche Aufgaben). Dazu gehören Unterrichtsvorbereitung und Unterrichtsnachbereitung, Korrekturzeiten, die Mitwirkung an Prüfungen, Teilnahme an Konferenzen und Arbeitsgruppen, Aufsichten, Elternsprechtagen, Klassenfahrten und Wandertagen sowie Projektwochen und Zeiten der Fortbildung, um nur einige Beispiele zu nennen. Aus rechtlicher Sicht ist es eindeutig, dass auch die außerunterrichtlichen Tätigkeiten Arbeitszeit der Lehrkräfte sind. Wie die Frankfurter Arbeitszeitstunde aus dem Jahr 2020 beweist, sind die Tätigkeiten zudem auch messbar, auch die außerunterrichtlichen Tätigkeiten einer Lehrkraft.

Bereits im Jahr 2015 hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass insbesondere teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte nur so viel arbeiten müssen, wie es ihrer Teilzeitquote

entspricht: „Teilzeitbeschäftigte Lehrer dürfen somit in der Summe ihrer Tätigkeiten (Unterricht, Vor-und Nachbereitung des Unterrichts, Teilnahme an Schulkonferenzen, Elterngespräche, Vertretungsstunden etc. […] nur entsprechend ihrer Teilzeitquote zur Dienstleistung herangezogen werden.“ (BVerwG , Urteil vom 16.07.20915, BVerwG 2 C 16.14). Bei der Bemessung dieser Arbeitszeit schlägt auch hier selbstverständlich die gesamte Arbeitszeit zu Buche, also nicht nur der Unterricht.

Das Problem ist hier zu verorten: Nach dem gängigen Verständnis in den Schulämtern „läuft die Uhr“ derzeit nur dann mit, wenn unterrichtet wird. Strukturell liegt dem Problem die Pflichtstundenverordnung zugrunde, die nur die Anzahl der zu leistenden Unterrichtsstunden pro Woche vorgibt, jedoch keinerlei Vorgaben zu den weiteren Tätigkeiten einer Lehrkraft enthält. Zeitlich nicht erfasst werden zur Zeit damit sämtliche außerunterrichtliche Tätigkeiten, was zu einem groben Missverhältnis zur aktuellen Rechtslage führt und zu der Tatsache, dass das Land Hessen seiner Verpflichtung aus dem Arbeitszeitgesetz, Überstunden zu erfassen, nicht nachkommt (§ 16 Absatz 2 Arbeitszeitgesetz: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des

§ 3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen […]).

Für Beschäftigte ist es jedoch zwingend notwendig zu wissen, wie viel sie arbeiten, um einen erfolgreichen Überstundenprozess zu führen. Wissen sie es nicht, können sie auch nicht ihrer Darlegungs- und Beweislast nachkommen, die Voraussetzung für einen erfolgreichen Überstundenprozess ist.

Die Darlegungs- und Beweislast für Ansprüche liegt bei einem Überstundenprozess nach allgemeinen prozessualen Regeln bei der Klägerin oder beim Kläger, es gibt das

„Stufenmodell“ des BAG (konkretisiert erneut in Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. August 2019, Aktenzeichen 5 AZR 425/18):

  1. Stufe – Umfang der geleisteten Arbeitsstunden

Nach der ersten Stufe hat die Klägerin oder der Kläger darzulegen, an welchen Tagen sie oder er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat.

Der Arbeitgeber hat substantiiert zu erwidern und vorzutragen, welche Arbeiten er der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen - nicht - nachgekommen ist.

  1. Stufe – Veranlassung durch AG - Aspekt der Zurechnung

Im zweiten Schritt muss die Anordnung der Überstunden festgestellt werden, wobei es verschiedene Varianten gibt

    • Ausdrückliche Anordnung: Wer hat wann auf welche Weise wie viele Überstunden angeordnet?
    • Konkludente Anordnung: Die Arbeit ist wegen Menge oder Zeitvorgabe nur durch Leistung von Überstunden zu bewältigen.
    • Billigung: Eine fehlende vorherige Anordnung wird durch nachträgliche Genehmigung ersetzt wie beispielsweise die Abzeichnung durch den Arbeitgeber.
    • Duldung: Der Arbeitgeber kennt die Überstundenleistung und nimmt diese hin. Er trifft keine Vorkehrungen, weitere Überstunden zu verhindern. Hier trifft die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer die Darlegung, von welchen wann geleisteten Überstunden der Arbeitgeber auf welche Weise wann Kenntnis erlangt hat und dass weitere Überstundenleistung im Anschluss erfolgte.

Prozessual hilfreich ist hier das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Stufenklage (Urteil vom 28. August 2019, Aktenzeichen 5 AZR 425/18). Es wird festgestellt, dass es möglich ist, den Arbeitgeber in einem ersten Schritt zur Dokumentation und Herausgabe von Aufzeichnungen über die Arbeitszeit zu zwingen, um diese Unterlagen dann im weiteren Prozessverlauf zu verwerten. Möglich ist auch der Rückgriff auf § 142 ZPO, wonach das Gericht anordnen kann, dass eine Partei die in ihrem Besitz befindlichen Urkunden (hier: Die Dokumentation über die Überstunden) vorlegt.

Um zu wissen, wie viel Überstunden geleistet wurden, muss damit die gesamte Arbeitszeit transparent und nachweisbar sein. Transparent ist diese nur, wenn sie erfasst wurde. Damit ist der Schlüssel zur Behebung von Überstunden aus rechtlicher Sicht derzeit in der Zeitfassung zu finden.

In dieser Linie ist die Entscheidung des EuGH zu sehen, nach der Arbeitgeber Zeit erfassen müssen. Der EuGH hatte im Mai 2019 entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Nur so könnten die Arbeitgeber die praktische Wirksamkeit der von der Arbeitszeitrichtlinie und der Charta verliehenen Rechte gewährleisten.

Nicht richtig voran geht es an der Stelle, weil Uneinigkeit darüber herrscht, ob der Gesetzgeber zunächst gesetzlich regeln muss, dass Arbeitszeit erfasst werden muss oder ob sich die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bereits direkt aus dem EU-Recht ergibt.

„Rechtstechnisch“ wäre möglich, das Arbeitszeitgesetz etwa in der Hinsicht zu ändern, dass aus § 16 Abs. 2 der Passus „über die werktägliche Arbeitszeit […] hinausgehende“ zu streichen so dass es lediglich heißt: „Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen.“

Das Arbeitsgericht Emden hat sich hier bereits entschieden. Es sieht die Rechtslage so, dass sich die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung direkt aus der EU- Grundrechtecharta ergibt (ArbG Emden, Urteil vom 20.02.2020, 2 Ca 94/19).

Da es sich hier um die Entscheidung eines erstinstanzlichen Gerichts handelt, bleibt abzuwarten, ob sich das Urteil in der Praxis durchsetzen wird, ob es weitere Entscheidungen gibt oder tatsächlich noch eine Umsetzung der EuGH Entscheidung in nationales Recht erfolgt.

Erfolgreiche Überstundenprozesse werden damit erst dann geführt werden können, wenn sich die Zeiterfassung bei den Lehrkräften etabliert hat und das Land Hessen seiner Pflicht zur Dokumentation der Überstunden nachkommt. Daher führen derzeit auch bei der rechtlichen Betrachtung der Arbeitszeit alle Wege zu einem Ziel: Die Arbeitszeit zunächst objektiv festzustellen. Die Vorlage hat die GEW Hessen nun geliefert.

Bemerkung

In der beamtenrechtlichen Begrifflichkeit heißen Überstunden „Mehrarbeit“. Zum besseren Verständnis hat die Autorin auch bei der beamtenrechtlichen Würdigung den Begriff „Überstunden“ verwendet.

Zum Weiterlesen

Arbeitszeitgesetz, Hessische Arbeitszeitverordnung EuGH, Urteil vom 14.05.2019 C 55/18

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. August 2019, Aktenzeichen 5 AZR 425/18 BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2015 – BVerwG 2 C 16.14 (Funktionstätigkeiten bei Teilzeitbeschäftigung)

ArbG Emden, Urteil vom 20.02.2020, 2 Ca 94/19 Richtlinie 2003/88/EG