Ein Jahr Kodex gute Arbeit

HLZ 12/2022 - 1/2023: Arbeitsplatz Hochschule

Der Kodex für gute Arbeit an hessischen Hochschulen wird nun ein Jahr alt. Mit großen Hoffnungen aufgeladen ließ sich schon anhand des Entstehungsprozesses erahnen, dass der Kodex nicht den Erwartungen der Beschäftigten und Gewerkschaften gerecht werden konnte. So waren die Beschäftigten in der Arbeitsgruppe, die den Kodex entwickelte, kaum beteiligt. Die GEW kritisierte in ihrer Pressemitteilung vom 13. Dezember 2021, dass der Kodex lediglich Mindeststandards beschreibe und nur einen Selbstverpflichtungscharakter habe.
 

Ein Jahr nach Unterzeichnung des Kodex häufen sich Fälle, in denen die dort formulierten Ideen sogar zu Ungunsten der Beschäftigten ausgelegt werden. So sollen laut Kodex Stellen im Regelfall mindestens 50 % umfassen. Das ist durchaus zu begrüßen, doch da das Wissenschaftssystem deutlich komplexer ist, gibt es Konstellationen, in denen sich die Beschäftigten einen geringeren Stellenumfang wünschen.
 

Bei der Abarbeitung an der Endfassung des Kodex geriet indessen häufig aus dem Fokus, worum es bei der Idee des Kodex eigentlich ging: gute Beschäftigungsbedingungen zu erreichen und zu fördern, die gute Arbeit an den hessischen Hochschulen ermöglichen und unterstützen. So scheint bei der Entwicklung des Kodex der zweite Schritt vor dem ersten gemacht worden zu sein, denn es fehlte eine Diskussion, was genau dieses „gut“ aus Sicht der unterschiedlichen Beteiligten überhaupt bedeutet. Die Fachgruppe Hochschule und Forschung und der Landesausschuss Studierende der GEW Hessen haben in einem Antrag für die Landesdelegiertenversammlung der GEW Hessen erneut Eckpunkte formuliert, die aus gewerkschaftlicher und Beschäftigtensicht unabdingbare Grundlagen für gute Beschäftigungsbedingungen darstellen.
 

Dauerstellen für Daueraufgaben

An oberster Stelle steht nach wie vor die Errichtung von mehr Dauerstellen für Daueraufgaben. Noch immer ist ein befristetes Arbeitsverhältnis bei den Beschäftigten an den Hochschulen gang und gäbe. Dreiviertel des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals sind teilzeitbeschäftigt. Grundlage dafür bildet das Wissenschaftszeitvertragsgesetz von 2007. Eine massive Entfristungsoffensive ist nötig, um dieses Missverhältnis abzubauen und Entwicklungsperspektiven für das wissenschaftliche Personal an Hochschulen planbar zu machen. Dafür müssen bedarfsgerechte Dauerstellenkonzepte entwickelt werden, die auch Karrierewege an der Hochschule neben der Professur ermöglichen. Ein Ziel der GEW ist es, mindestens 50 % der Dauerstellen beim wissenschaftlichen und künstlerischen Personal neben der Professur zu erreichen. Stellen, die der Qualifizierung dienen und deswegen befristet sind, müssen von Anfang an die höchstmögliche Befristungsdauer voll ausschöpfen, um zu gewährleisten, dass die Qualifikation erreicht werden kann. Die GEW hat dazu den Entwurf für ein „Wissenschaftsentfristungsgesetz“ vorgelegt, das bei der Wissenschaftskonferenz der GEW  im September 2022 vorgestellt wurde (HLZ S.8 und S.14f.).
 

Runter mit dem Lehrdeputat

Neben diesem „Dauerbrenner“ sind jedoch viele weitere Punkte wichtig. Bereits im Frühjahr hat der geschäftsführende Vorstand der GEW Hessen ein Positionspapier zur Neugestaltung der Lehrverpflichtung an hessischen Hochschulen beschlossen (www.gew-hessen.de/bildung/runter-mit-dem-lehrdeputat). Die Lehrdeputate für viele Beschäftigte sind so hoch, dass die Vor- und Nachbereitung und die Betreuung der Studierenden über den eigentlich laut Arbeitsvertrag vorgesehenen Rahmen hinaus gehen. Damit sich dadurch die Betreuungsrelation und somit die Qualität des Studiums für die Studierenden nicht verschlechtern, muss das Kapazitätsrecht reformiert werden, welches bislang bei einem Personalaufwuchs erhöhte Zielzahlen für Studierende vorsieht. Gleichzeitig müssen die Grundfinanzierung der Hochschulen ausgebaut und gute Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zum durchgehenden Finanzierungsprinzip von Hochschule und Forschung werden.
 

Neben diesen spezifisch die Hochschulen betreffenden Themen gilt es natürlich auch im Wissenschaftsbetrieb dafür zu sorgen, dass alle Beschäftigten die gleichen Chancen auf eine erfolgreiche akademische Laufbahn haben, unabhängig von sozialer Herkunft, Geschlecht, sexueller Identität, Alter, Behinderung oder chronischer Erkrankung, Religion oder Weltanschauung, ethnischer Herkunft oder Migrationshintergrund.
Mitbestimmungsrechte sichern und ausbauen
 

Und zu guter Letzt: Um eine dauerhafte Debatte über gute Arbeitsbedingungen an den Hochschulen und in der Wissenschaft zu gewährleisten, müssen die Mitbestimmungsrechte für alle Beschäftigten und Studierenden in akademischen Selbstverwaltungsgremien, in Personal- und Betriebsräten ausgebaut werden. Denn wir Beschäftigte an den Hochschulen wissen: Wir leisten gute Arbeit. Es wird Zeit, dass Bund, Land und Hochschulen unsere gute Arbeit honorieren und mit uns gemeinsam unsere Arbeitsbedingungen verbessern. Dafür bedarf es einer echten Reform von Personalstruktur und Karrierewegen und durchgreifender Verbesserungen der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft, in Hessen und im Bund.
 

Vera Weingardt für das Leitungsteam des Referats Hochschule und Forschung im GEW-Landesvorstand


Das Referat Hochschule und Forschung wird gemeinsam geleitet von Andrea Meierl, Wolfgang Richter-Girard und Vera Weingardt.