Gute Arbeit in der Wissenschaft

Traumjobs in Zeiten neoliberaler Transformation

HLZ 12/2022 - 1/2023: Arbeitsplatz Hochschule

Einigermaßen sachkundig kann ich an dieser Stelle nur über die wissenschaftliche Arbeit an der Universität schreiben, auch wenn es zu den Arbeitsbedingungen der Sekretärinnen und Putzkräfte sicher einiges zu sagen gäbe. Wenn ich gefragt werde, ob ich mit meinem Arbeitsplatz als Professor an der Uni zufrieden bin, antworte ich in der Regel, dass es eigentlich ein Traumjob ist, aber dass einem die Zeit fehlt, ihn auch auf eine befriedigende Weise auszufüllen. Damit meine ich, dass es eine selbstbestimmte, intellektuell herausfordernde und mit viel Gestaltungsspielraum und Anerkennung verbundene Arbeit ist, die aber aufgrund der zahlreichen Aufgaben und der begrenzten Zeit stets unter einem Zeitdruck stattfindet, der es selten bis nie erlaubt, diese Arbeit so gründlich zu machen, wie es sinnvoll wäre.
 

Haben Professor:innen einen Traumjob?

Meiner Erfahrung nach sind Forschung (sagen wir ein gründlich recherchierter wissenschaftlicher Artikel pro Jahr) und Lehre (8 Semesterwochenstunden plus Betreuung von BA- und MA-Arbeiten) und vielleicht noch hier und da ein Konferenzvortrag gerade so eben noch mit einer 40-Stunden-Woche zu schaffen. Wenn dann allerdings noch Drittmittel eingeworben und Forschungsprojekte geleitet werden sollen, Gremienarbeit in der universitären Selbstverwaltung zu leisten ist, Politikberatung oder Interviews und Zeitungsbeiträge hinzu kommen, vielleicht auch zwei oder drei oder vier Artikel geschrieben, die Kapitel von Doktorand:innen gelesen, Lehramtsprüfungen durchgeführt, Studiengänge konzipiert und organisiert, Gutachten für Stipendienanträge und -verlängerungen geschrieben und täglich über 50 Emails bearbeitet werden sollen, dann ist das unterhalb einer 60-Stunden-Woche kaum zu machen. Wie dann noch Zeit für Kinder, Haushalt, Beziehungen, ehrenamtliches Engagement, Sport oder gar Hobbys bleiben soll, ist unklar. Das „Leben für die Wissenschaft“ scheint nur zu funktionieren, wenn es kein Leben mehr außerhalb der Wissenschaft gibt oder wenn die reproduktive Arbeit von anderen, meist weiblichen Personen übernommen wird.
 

Dass diese Überlastung nicht nur notgedrungen zu einer oberflächlicheren Arbeitsweise führt, sondern letztlich auch häufiger psychische Problemen auftreten, belegen zahlreiche Studien (1). Diese weisen auch darauf hin, dass es sich nicht um ein individuelles, sondern ein strukturelles Problem der Hochschule nach ihrer neoliberalen Transformation handelt.
 

Professor:innen (wie ich) können ihr Privatleben natürlich mit der Notwehr des Neinsagens verteidigen und haben meist keine schlimmeren Konsequenzen als die enttäuschten Blicke von Studierenden, Kollegium und Präsidium zu befürchten. Menschen im akademischen Mittelbau sind jedoch meist auf befristeten Stellen beschäftigt und oftmals für eine Vertragsverlängerung vom Wohlwollen ihrer Vorgesetzten abhängig, was eine Begrenzung der Arbeitszeit auf die bezahlten Stunden schwieriger machen kann.
 

Während meiner Studienzeit gab es am Institut noch drei Professoren und vier akademische Räte. Der danach einsetzende Wegfall unbefristerer Beschäftigungsverhältnisse im Mittelbau ist Teil dieser neoliberalen Transformation. Heute gibt es statt der Räte bestenfalls „Lehrkräfte für besondere Aufgaben“, die aufgrund einer Lehrverpflichtung von 14 bis 18 Semesterwochenstunden überhaupt nicht mehr zum Forschen kommen, und selbst die sind meist befristet angestellt. Auf jeden Fall haben sie aber Privilegien.
 

Initiativen wie Uni Kassel unbefristet sind in den letzten Jahren aus Unmut über die prekären Beschäftigungsverhältnisse im Mittelbau entstanden. Ihren Forderungen werden drei Argumente entgegengesetzt, die in etwa wie folgt auf den Punkt gebracht werden können:

  • Entfristete Personen strengen sich nicht mehr an.
  • Entfristungen „verstopfen die Pipeline“, d.h. sie besetzen Stellen für die nächsten 30 Jahre und beeinträchtigen die Arbeitsmarktchancen jüngerer Generationen.
  • „Ich musste da auch durch und mir hat es auch nicht geschadet.“
     

Dass diese Argumente in der Regel von Professor:innen auf entfristeten Stellen kommen, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Dass auch sie sich trotz Entfristung anstrengen und dass auch sie offensichtlich die Pipeline „verstopfen“, hat noch keinen von ihnen zu der Forderung verleitet, sämtliche Professuren im Interesse der jüngeren Wissenschaftler:innen zu befristen. Der Verdacht liegt nahe, dass hier Privilegien des eigenen Stands verteidigt werden und zwar gegenüber Personen, die z.T. ein Drittel oder die Hälfte des eigenen Einkommens verdienen.
 

Das dritte Argument ist letztlich eine Frage der Haltung: Wenn mir ein System prekäre Arbeitsverhältnisse auferlegt bis in das Alter, in dem die meisten bereits eine Familie gegründet haben, erachte ich es dann als gerecht, dass nachfolgende Generationen genauso leiden? Demgegenüber sinnvoller erscheint ein Department-Prinzip, in dem – wie in so vielen anderen Unisystemen – Promovierte nach einer kurzen Probezeit dauerhaft und gleichberechtigt beschäftigt werden können, anstatt als Assistent:innen einer Professur zugeordnet zu werden.


Aram Ziai


Prof. Dr. Aram Ziai leitet im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel das Fachgebiet Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik, postkoloniale und Post-Development-Ansätze und Global Economic Governance.

(1) Exemplarisch sei hier genannt: Morrish, L. 2019. Pressure Vessels, The Epidemic of Poor Mental Health Among Higher Education Staff. London: Higher Education Policy Institute. Kurzlink zum Download: https://bit.ly/3SVjtQU