Nicht weiter so!

Eindrücke aus meinem Praxissemester

HLZ 3/2016: Lobbyismus an Schulen

Den Streit um das Praxissemester und seine überstürzte Einführung habe ich an der Uni Frankfurt, die für die Erprobung im Bereich L3 (Lehramt an Gymnasien) zuständig ist, verfolgt und in der HLZ 3/2015 kommentiert.

Wie willkommen sind wir?

Ein halbes Jahr später betrete ich selbst das erste Mal meine Praktikumsschule, an der ich in den nächsten fünf Monaten einen Großteil meiner Zeit verbringen soll. Davor lagen chaotische Monate: In welchem Semester ich ins Praktikum gehen soll, erfuhr ich erst drei Monate vor Praktikumsbeginn, welcher Schule ich zugeteilt würde, drei Wochen davor. Ob wir parallel zum Praxissemester Seminare an der Uni besuchen dürfen, war noch beim ersten Termin des Begleitseminars unklar.

Eines wussten wir Praktikantinnen und Praktikanten jedoch schon vor Beginn: Viele Schulen sind nicht gerade glücklich darüber, uns mehrere Monate lang betreuen zu müssen. Doch meine Besorgnisse werden schnell entkräftet. Trotz der Hektik in der zweiten Woche nach den Sommerferien vermitteln uns die Kolleginnen und Kollegen meiner Praktikumsschule, dass wir willkommen sind. In kürzester Zeit lernen wir Kollegium, Schulleitung und Räumlichkeiten kennen. Wir bekommen Schlüssel, ein Kopierkontingent und einen Platz im Lehrerzimmer. Es dauert nicht lange und wir kennen uns gut aus und arbeiten mit.

Die kalte Dusche kommt beim ersten Begleitseminar, das wir an jedem Mittwoch besuchen, mit der Botschaft, wir sollten es uns doch gut überlegen, ob wir wirklich Lehrerin oder Lehrer werden wollen. Dazu füllen wir eine von der Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung (ABL) konzipierte Evaluation aus, deren Unterton ähnlich ist. Mein Eindruck, mit dem Praxissemester stelle man Lehramtsstudierende unter den Generalverdacht der Unfähigkeit für den Lehrerberuf, wird so nicht widerlegt. Sollte ein Praxissemester nicht vorrangig Zeit geben, um herauszufinden, ob der Beruf wirklich passt?

Hilflose Universitäten

Der Austausch am ersten Seminartag zeigt, dass nicht alle Kommilitoninnen und Kommilitonen so viel Glück hatten wie ich. Die Schule von Aljona* wurde zur Teilnahme am Praxissemester dienstverpflichtet:
„Das Kollegium möchte nichts mit uns zu tun haben und man versucht, uns aus dem Weg zu gehen. Hoffentlich legt sich das noch.“
Dafür kann Aljona trotz allem Verständnis aufbringen: Wie uns Lehramtsstudierenden wurde auch den Schulen das Praxissemester einfach übergestülpt, nichts war durchdacht und es fehlen klaren Richtlinien. Für Beschwerden fühlt sich die ABL nicht zuständig oder antwortet nur in Form pampiger E-Mails. Und verboten ist alles, was das Leben der Studierenden leichter machen könnte:

  • Es ist nicht erlaubt, die geforderten 20 Präsenzstunden an der Schule so zu verteilen, dass man neben dem Praktikum arbeiten kann, um die hohen Mieten in Frankfurt zu bezahlen.
  • Es ist verboten, parallel zum Praxissemester Seminare an der Uni zu belegen. Dies würde uns von der Praxisphase ablenken. Wie mich ein Blockseminar im März 2016, einen Monat nach Semesterende, vom Praktikum ablenken kann, hat mir bis heute niemand sagen können. Und wer BAföG bezieht, muss die Regelstudienzeit einhalten, um im letzten Semester nicht ohne Geld dazustehen. Eine Verlängerung der Regelstudienzeit ist aber nicht vorgesehen, obwohl das Praxissemester ein ganzes Semester verschlingt.

Die ABL ist nicht oder nur schlecht erreichbar und kommuniziert nur das Nötigste. Auch die gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Lehramtsfachschaft werden nicht informiert. Hilfegesuche werden abgeblockt, was auch Aljona erfahren musste. Weil sie an ihrer Schule größtenteils ignoriert oder angefeindet wird, kann sie ihr Praktikum kaum normal durchführen. Die Schule wechseln darf sie trotzdem nicht. „Sie haben gesagt, dass diese Schule noch kein Härtefall ist“, erklärt Aljona. Was genau ein Härtefall sein soll, definiert die ABL nicht.

Licht und Schatten

Mit diesen unterschiedlichen Voraussetzungen gehen wir nun alle unseren Tätigkeiten im Praktikum nach. An meiner Schule können wir sehr schnell unterrichten, helfen mit, wo wir können, fühlen uns fast als Teil des Kollegiums. Natürlich ist es Mehrarbeit, über unsere Unterrichtsplanung zu schauen und uns Rückmeldungen zu geben. Doch wer uns lässt, bekommt auch etwas zurück. Eine neue Sicht auf eine Klasse beispielsweise, die ganz anders wirkt, wenn man einfach einmal mit hinten sitzt, oder eine zweite Meinung zu einer Unterrichtsstunde. Ich bin verwundert, wie oft ich nach meiner Meinung gefragt werde. Gerade in sehr heterogenen Gruppen können wir die Klasse zu zweit leichter aufteilen und auf verschiedenen Lernniveaus unterrichten. Irgendwann vertrauen uns unsere Kolleginnen und Kollegen so sehr, dass wir alleine ganze Doppelstunden vorbereiten und halten dürfen, ohne dass wir dabei viel Hilfe bräuchten.

Aber an Aljonas Schule gehen die Probleme weiter. Wir dürfen als Praktikantinnen und Praktikanten keine Vertretungsstunden halten, doch von manchen Schulen wird diese Vorgabe ignoriert. Einige Schulen nutzen die unbezahlten Studis, um die Nachmittagsbetreuung auszuweiten und Geld zu sparen. Einige von uns verbringen die Hälfte ihrer Praktikumszeit in der Betreuung und nicht im Unterricht, wo sie eigentlich sein sollten!

Ist Abschreckung das Ziel?

In der Mitte des Praktikums startet die zweite Evaluation der ABL. Wieder zum Ankreuzen! Kritik am Praxissemester lässt sich nicht unterbringen, dafür meldet sich der kleine Evaluationsteufel noch stärker zu Wort. Ob ich mich im Praktikum niedergeschlagen und deprimiert fühle, fragt er mich. Ob ich mich nicht vielleicht zu belastet fühle, zu angespannt, ob mir meine Fächer weiterhin gefielen? Dass ich mich im Praktikum gut fühle, scheint nicht den Erwartungen der Autorinnen und Autoren zu entsprechen. Sonst würden sie vielleicht fragen, ob wir glücklich sind und ob uns unsere Arbeit erfüllt. Stattdessen fragt man, ob es mich frustriert, an einer Schule zu arbeiten. Soll der Erfolg des Praxissemesters an der Zahl der Studierenden gemessen werden, die danach das Lehramtsstudium an den Nagel hängen?

Monate später neigt sich das Praktikum dem Ende zu. Es war gut, so früh im Studium eine Schule zu erkunden. Das sehen viele so. Wir haben unsere Schule kennengelernt, unterrichtet, uns auch abseits unserer Fächer umgeschaut, an Konferenzen und Ausflügen teilgenommen. Wir haben gelernt, wie unterschiedlich Schulen sind und wie unterschiedlich sie mit den Praktikantinnen und Praktikanten umgehen. Auch Aljona hat etwas gelernt, nämlich, wie sie als Lehrerin nicht sein möchte.

Das Verhalten der Lehrerinnen und Lehrer, die den Ärger über das aufgezwungene Praxissemester an ihr und den anderen Praktikantinnen und Praktikanten ausgelassen haben, ist für sie ein Ausdruck mangelnder Sozialkompetenz: „Ich glaube, dass Lehrerinnen und Lehrer eine ganz spezielle Aufgabe in unserer Gesellschaft haben. Dazu gehören Fairness und Offenheit für andere Menschen. Egal, ob es Studenten sind, ob jetzt die ABL oder das Kultusministerium schuld sind. Das ist ein anderer Mensch, der vor dir steht, das hat etwas mit Menschen untereinander zu tun.“

Aljona findet es gut, wenn Schulen Widerstand gegen unüberlegte Direktiven von oben leisten. Aber wer etwas am Praxissemester ändern möchte, soll es nicht an den Studierenden auslassen, sondern Druck auf die ABL und das Ministerium ausüben, bis die Blockadepolitik im Interesse der nächsten Lehramtsstudierenden aufgegeben wird.

Wir haben auch gelernt, dass die ABL eine Institution ist, der wir den Rest unseres Studiums nicht über den Weg trauen sollten. Es kann nicht sein, dass die ABL versucht, Probleme nach außen hin zu vertuschen, und so tut, als würde sie die Betroffenen nach ihrer Meinung fragen. Aus diesem Grund lassen wir die Evaluation am letzten Seminartag auch links liegen. „Wollt ihr nicht eure Chance nutzen, etwas zu verändern?“, ruft uns der Evaluationsbeauftragte hinterher. Doch, das wollen wir! Aber nicht auf diese Art und Weise.
Das Praxissemester mag nur eine Marginalie sein, doch gerade die sozialen Folgen und die Auswirkungen auf den Studienverlauf sind gravierend. Wir dürfen uns die erste Runde, die nun endet, nicht als Erfolg verkaufen lassen, denn das war sie nicht. Wir müssen weiter diskutieren, dürfen nicht aufhören, „So nicht!“ zu sagen. Letztlich hilft ein besser gestaltetes Praxissemester nicht nur uns Studierenden, sondern allen Beteiligten.