Gefährdungsanzeige

Wenn die Belastungen überhand nehmen!

 

Die Belastungen durch die Arbeit nehmen schleichend oder auch durch ein bestimmtes Ereignis plötzlich überhand, und es ist kein Ausweg mehr erkennbar. Der derzeitige Fachkräftemangel macht es zwar einfacher, eine neue Stelle zu finden und sich im Einzelfall beruflich zu verbessern. Gleichzeitig bleiben vorhandene Stellen aber auch länger unbesetzt, weil so schnell keine Nachfolgerin zu finden ist, wenn jemand kündigt oder krank wird. 

Wenn dann die vorhandenen Beschäftigten die Vertretung zusätzlich übernehmen müssen, kann die Situation schnell eskalieren. Die zusätzliche Belastung führt zu 
einem Ansteigen des Krankenstandes, dies wiederum zu einem Anstieg der Belastungen für die noch vorhandenen Beschäftigten. Und diese Entwicklung findet statt vor dem Hintergrund einer in sozialpädagogischen Berufen schon unter „normalen“ Umständen überdurchschnittlich belastenden Tätigkeit bei zu geringer Ressourcenausstattung.
Was können Beschäftigte tun? 

Beschäftigte sollten diese Eskalation nicht einfach hinnehmen und die Arbeitsüberlastung dem Arbeitgeber anzeigen!

Sowohl im eigenen Interesse als auch im Interesse der ihnen anvertrauten Klienten, Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen ist es wichtig, die Belastungen und ihre negativen Auswirkungen auf einem verträglichen Niveau zu halten. Was aber kann die Einzelne oder das Team tun, wenn der Arbeitgeber unter Verweis auf die angespannte Personalsituation untätig bleibt?
Die sogenannte „Überlastungsanzeige“ ist eine Möglichkeit, den Arbeitgeber unter Zugzwang zu setzen und ihm gegenüber deutlich zu machen, dass abhelfende Maßnahmen notwendig sind. Der üblicherweise verwendete Begriff Überlastungsanzeige ist eigentlich irreführend. Das Wort „Überlastung“ suggeriert, dass es sich um ein individuelles Problem der jeweiligen Beschäftigten handelt. Es muss aber deutlich werden, dass die Arbeitsbedingungen das Problem sind, auf die die Beschäftigen nur einen geringfügigen Einfluss haben. Der Begriff der Gefährdungs- oder Präventionsanzeige deutet eher auf diesen Zusammenhang hin. Deshalb soll hier auch von Gefährdungsanzeige die Rede sein.

Wozu ist die Gefährdungsanzeige gut?

Werden die Beschäftigten durch die oben beschriebenen Situationen an die Grenze ihrer Belastung geführt, kann es zu Fehlern bei der Erledigung von Arbeitsaufgaben kommen oder zum Nicht-Erledigen von Aufgaben. Das kann sehr negative Folgen für alle Beteiligten haben. Wenn es durch Arbeitsüberlastung zu einem Schaden (Sach- oder Gesundheitsschaden bei Dritten) kommt, können arbeitsrechtliche Konsequenzen, Haftungs- oder Schadensersatzansprüche die negative Folge für die/den Beschäftigte/n sein. Die Gefährdungsanzeige ist der schriftliche Hinweis an den Arbeitgeber bzw. den/die unmittelbar Vorgesetzten über mögliche Schädigungen von Kindern, Bewohnern, Leistungsberechtigten bzw. Klienten der Einrichtung, des freien Trägers oder der Behörde durch eine vorliegende Arbeitsüberlastung. Die Gefährdungsanzeige ist ein Mittel des Arbeitsrechts, das der eigenen Entlastung des Beschäftigten vor Schadensersatz- oder Haftungsansprüchen Dritter dient. Wo steht das? 

Arbeitsschutzgesetz (Auszüge)

Die Form der Gefährdungsanzeige ist nicht konkret geregelt. Für den Arbeitgeber gilt, dass er verpflichtet ist, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die Mitarbeiter/innen vor Gefahr für Leben und Gesundheit geschützt sind. Dies wird auch Fürsorgepflicht genannt. Er ist für die Gesundheit und die Sicherheit der Beschäftigten verantwortlich und muss Strukturen für den Arbeitsschutz schaffen.

§ 3 Arbeitsschutzgesetz | Grundpflichten des Arbeitgebers

(1)    Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben.
(2)    Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber     unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten
    1. für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel be-
    reitzustellen sowie
    2. Vorkehrungen zu treffen, dass die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen         Tätigkeiten und eingebunden in die betrieblichen Führungsstrukturen beach-        tet werden und die Beschäftigten ihren Mitwirkungspflichten nachkommen             können.
(3)    Kosten für Maßnahmen nach diesem Gesetz darf der Arbeitgeber nicht den Beschäftigten auferlegen.
Die Mitwirkung der Beschäftigten ergibt sich insbesondere aus §§ 15, 16 und 17 des Arbeitsschutzgesetzes. 

§ 15 
(1) „Die Beschäftigten sind verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten (…) für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen. Entsprechend Satz 1 haben die Beschäftigten auch für die Sicherheit und Gesundheit der Personen zu sorgen, die von ihren Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind.“

§ 16 
(1) „ Die Beschäftigten haben dem Arbeitgeber oder dem zuständigen Vorgesetzten jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit … unverzüglich zu melden.“

§ 17
(1) „Die Beschäftigten sind berechtigt, dem Arbeitgeber Vorschläge zu allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit zu machen.
(2) Sind Beschäftigte auf Grund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung, dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu gewährleisten, und hilft der Arbeitgeber darauf gerichteten Beschwerden von Beschäftigten nicht ab, können sich diese an die zuständige Behörde wenden. Hierdurch dürfen den Beschäftigten keine Nachteile entstehen. “ 

Insofern kann sich der Arbeitgeber bei einer fortwährend gegebenen Überlastungssituation möglicherweise sogar darauf berufen, dass die Folgen für ihn nicht absehbar gewesen seien, weil die betroffenen Beschäftigten ihn hierauf nicht aufmerksam gemacht hätten. 

Wie sieht eine Gefährdungsanzeige aus?

Eine Gefährdungsanzeige sollte schriftlich erfolgen. Sie ist an keine besondere Form gebunden. Sie muss an den Arbeitgeber via Dienstweg, z.B. über die Teamleitung oder die Einrichtungsleitung gerichtet sein. 

Auf jeden Fall sollte eine Kopie gemacht und aufbewahrt werden. Wer eine Gefährdungsanzeige stellt, sollte immer die Personalvertretung einbeziehen. Diese hat zusätzliche Möglichkeiten, auf Abhilfe hinzuwirken. So kann der Betriebsrat in Privatbetrieben sogar die Einigungsstelle anrufen, wenn der Arbeitgeber keine Abhilfe für die Probleme schafft. Die Gefährdungsanzeige muss eine möglichst genaue Beschreibung der Arbeitssitua-
tion beinhalten, aus der sich eine Gefährdung ergibt, und die Gründe für die Gefährdung müssen benannt werden. Dies kann zum Beispiel Personalmangel aufgrund eines hohen Krankenstandes sein. Dies kann aber auch eine Unterbesetzung durch Fachkraftmangel oder eine Überlastung durch zu hohe Fallzahlen sein. Die Gefährdungsanzeige sollte, wenn schon einmal mündlich oder telefonisch eine Überlastung angezeigt wurde, einen Hinweis auf diese Telefonate oder Gespräche enthalten.

Aber nicht nur die Auswirkungen auf die eigene Person oder auf das Team sollten benannt werden, auch die Folgen für Dritte sollten aufgeführt werden. Überlastete Erzieherinnen oder Erzieher, die zeitweise mehrere Kitagruppen gleichzeitig betreuen sollen, können der notwendigen Aufsichtspflicht nicht mehr genügen. Dementsprechend kann schnell auch mal ein Unfall passieren, der sich unter „normalen Umständen“ hätte vermeiden lassen.
Auch die Folgen der Überlastung, wie zu lange Arbeitszeiten, keine Pausen, häufigere persönliche Erkrankung durch Stress/Überlastung, aber auch Mängel in der Versorgung, Betreuung oder der raschen Einleitung von Maßnahmen, sollten in der Gefährdungsanzeige benannt werden. Es ist sinnvoll, den Arbeitgeber aufzufordern, die Tätigkeiten zu benennen, welche unter den gegebenen Bedingungen nicht oder nicht länger prioritär zu bearbeiten sind. 

Das Wichtigste ist aber, dranzubleiben und nachzuhaken! Betriebsrat und Personalvertretungen können dabei helfen! Den Handlungsdruck auf den Arbeitgeber erhöhen  – sich im Team oder der Abteilung besprechen! Eine Gefährdungsanzeige muss jede/r Beschäftigte für ihr/sein Arbeitsgebiet individuell abgeben. Es ist aber sinnvoll, die Absicht eine Gefährdungsanzeige zu stellen, im Team oder in der Abteilung zu besprechen und auch gemeinsam zu handeln. Denn eine Gefährdungsanzeige allein bringt noch keine Entlastung, und es wird sicherlich auch Arbeitgeber geben, die nicht oder mit kosmetischen Maßnahmen reagieren. Eine Gefährdungsanzeige, vor allem, wenn sie von mehreren Beschäftigten bis hin zu ganzen Abteilungen und unter Einbeziehung der Personalvertretung kommen, setzen den Arbeitgeber grundsätzlich jedoch unter den Handlungsdruck, sich mit den Arbeitsbedingungen zu beschäftigten. Außerdem entlasten sich die Beschäftigten dadurch, indem sie die Verantwortung für die Folgen unzureichender Arbeitsbedingungen ein Stück weit dorthin schieben, wo sie hingehören, zum Arbeitgeber.