Abenteuer Lehramtswechsel

Vier Staatsexamen und noch ein Refendariat

HLZ 11/2014: Lehrerausbildung in Hessen

Wenn man in Hessen als Lehrerin oder Lehrer die Probezeit bestanden hat und zum Beamten auf Lebenszeit ernannt wurde, dann sollte sich doch ein großer Traum erfüllt haben. Doch was passiert, wenn man plötzlich merkt, dass das gewählte Lehramt doch nicht das richtige ist?

Wer das Lehramt für Gymnasien erworben hat, kann in Hessen auch in den Bildungsgängen Hauptschule und Realschule unterrichten. Das Merkblatt der Zentralstelle Personalmanagement (ZPM) zur Bewerbung im Ranglistenverfahren enthält dazu folgenden Hinweis: 

„Bewerberinnen und Bewerber mit dem Lehramt an Gymnasien können sich auf Wunsch zusätzlich für Stellen des Lehramtes an Haupt- und Realschulen bewerben. (...) Dadurch erhöhen sich die Chancen auf Einstellung in den hessischen Schuldienst.“ Dabei fragt niemand, wie sich diese Lehrkraft pädagogisch an der Universität und im Referendariat auf die Herausforderungen der Inklusion oder der Arbeit mit Schülerinnen und Schülern mit sozialen Problemen und massivem Förderbedarf vorbereitet hat. Wer jedoch als Lehrer mit dem ehramt Haupt- und Realschule zusätzlich das Lehramt für Gymnasien erwirbt und an ein Gymnasium wechseln will, muss sich auf Abenteuerliches einstellen. So geschehen in meinem Fall. 

Nach fünf Jahren Lehrtätigkeit an einer Haupt- und Realschule wollte ich mich fachlich weiterentwickeln. Ich ließ mich an ein Gymnasium abordnen, das zu dieser Zeit meine Fächer nicht optimal abdecken konnte, und unterrichtete dort in der Sekundarstufe I. Deshalb ließ ich mich an meiner ehemaligen Universität einschreiben und holte das erste Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien berufsbegleitend nach. Nicht ohne Strapazen erwarb ich so mein drittes Staatsexamen. Doch trotz dreier Staatsexamina, trotz eines zweijährigen Referendariats, trotz eines Zweiten Staatsexamens für das Lehramt an Haupt- und Realschulen und trotz der vergleichsweise geringeren didaktischen Anforderungen an einem Gymnasium verlangte das Land Hessen von mir für den Erwerb des Lehramts an Gymnasien ein weiteres Referendariat, also ein viertes Staatsexamen. Für die vielen Quereinsteiger ohne Lehramt reicht dagegen ein erstes Staatsexamen für den Unterricht in der pädagogisch sensiblen Sekundarstufe I völlig aus (und manchmal ist noch nicht einmal das vorhanden).

Dazu wartet man ein bis zwei Jahre auf eine Stelle im Vorbereitungsdienst, wird wieder zum Lehrer im Vorbereitungsdienst (samt dessen Besoldung), auch wenn man bereits Beamter auf Lebenszeit ist. Nach 15 Monaten und einem finanziellen Verlust von 30.000 Euro netto hätte man es dann geschafft, wenn man denn ein Einstellungsangebot bekommt. Auch als Beamter auf Lebenszeit kann man nämlich auch nach dem 4. Staatsexamen keineswegs an ein Gymnasium versetzt werden, sondern nur, wenn man über die Rangliste der ZPM eingestellt wird, auf der man sich zusammen mit allen anderen Bewerberinnen und Bewerbern befindet.

Wer dieses Ziel erreicht, erfährt dann, dass auf die Einstellung eine mindestens einjährige Probezeit bis zur Feststellung der Bewährung im gymnasialen Lehramt folgt, erneut mit Unterrichtsbesuch und didaktisch-pädagogischer Rechtfertigung. Doch die größte und fast unüberwindbare Hürde bleibt das Referendariat. Auch während des geforderten zweiten Referendariats findet die Hälfte aller Lehrproben wieder in der Sekundarstufe I statt, obwohl man dort schon jahrelang unterrichtet hat. Geradezu grotesk wird dieser Sachverhalt, wenn man als HR-Lehrer bereits an der Ausbildung von Referendarinnen und Referendaren mitgewirkt hat – sei es als Mentor oder als Ausbildungsbeauftragter am Studienseminar. 

Möchte aber dieselbe Lehrkraft das gymnasiale Lehramt erwerben, wird sie plötzlich selbst wieder zum Referendar. Wer sich diese hessischen Zustände nicht leisten kann oder will, sollte sich in Rheinland-Pfalz (Schullaufbahnverordnung §23), in Nordrhein-Westfalen (Lehrerausbildungsgesetz §14 f.) und in Sachsen-Anhalt (Schuldienstlaufbahnverordnung §7) umsehen. Dort reichen die drei Staatsexamina aufgrund moderner Schulgesetze aus, und im Falle einer Stellenvergabe erfolgt dort sofort die Ernennung zum Studienrat. Die hessische Regelung dagegen sorgte sogar bei unserer ehemaligen Kultusministerin Nicola Beer für Fassungslosigkeit, als ich ihr diese Verhältnisse letztes Jahr persönlich schildern konnte. Sie versprach Besserung, doch dann kam die Wahl.

Es sollte deshalb darüber nachgedacht werden, ob es im Interesse des Landes Hessen ist, zu riskieren, einen Teil seiner erfahrenen Lehrerinnen und Lehrer an andere Bundesländer zu verlieren, nachdem diese teuer ausgebildet wurden, ob es im dienstlichen Interesse liegt, Lehrerinnen und Lehrern keine Aufstiegsmöglichkeiten zu geben und sie somit zu demotivieren, oder ob man sich auch öffnet, so wie es in den Nachbarländern geschehen ist, und die Lehrerbildungsgesetze ändert oder mit Zusätzen versieht.


Der Autor des Artikels wurde 1999 als Lehrer an der Konrad-Lorenz-Schule, einer Haupt- und Realschule mit Förderstufe in Usingen, eingestellt. Von seiner Stammschule wurde er 2005 zunächst mit einem Teil seiner Stunden, später mit voller Stelle an die Christian-Wirth-Schule, ein Gymnasium in Usingen, abgeordnet.