Kein Licht am Ende des Tunnels

Chance zur Erneuerung des Lehramtsstudiums vertan

HLZ 11/2022: Lehrkräftebildung

Kurz vor den Sommerferien 2021 legte die hessische Landesregierung einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes vor, dessen steinbruchartige Fragmentierung keinen Zweifel an der Intention des Gesetzgebers ließ: Es wurde alles getan, um den im Beteiligungsverfahren anzuhörenden Verbänden die Meinungsbildung zur Novellierung so schwer wie möglich zu machen. Natürlich hat sich die GEW dadurch nicht davon abhalten lassen, sich auf breiter Ebene über eine Stellungnahme mit Änderungsvorschlägen zum HLbG zu verständigen (1), die dann sowohl in der Anhörung als auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren durch das Hessische Kultusministerium (HKM) weitestgehend ignoriert wurde. Letzten Endes wurde das geänderte Gesetz, das jetzt den Namen Hessisches Lehrkräftebildungsgesetz (HLbG) trägt, unter deutlichem Protest der meisten beteiligten Verbände und der Opposition am 13. Mai 2022 verabschiedet. Mit den für die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst relevanten Änderungen befasst sich der Artikel von Christina Nickel in dieser HLZ (S.12f). Im Folgenden stellt Andrea Gergen die relevanten Neuerungen in der ersten Phase der Lehrkräftebildung vor.

Positiv anzumerken ist, dass jetzt gendergerecht von der Lehrkräftebildung gesprochen wird, dass Kooperationskonferenzen zur Verzahnung der drei Phasen der Lehrkräftebildung eingerichtet werden sollen und dass das HLbG nur bis zum 31. Dezember 2029 gültig ist. Leider bedeutet dies, dass über sieben Jahre Zeit bleiben, um in der hessischen Lehrkräftebildung viel Schaden anzurichten.

In Zukunft soll sich die Lehrkräftebildung nach § 1 Abs.1 HLbG an den Standards für die Lehrerbildung der KMK und den Kriterien des Hessischen Referenzrahmens Schulqualität orientieren. Das heißt, dass in allen Phasen der Lehrkräftebildung über den Kompetenzbereich „Unterrichten“ hinaus auch die Kompetenzbereiche „Erziehen“, „Beurteilen“ und „Innovieren“ berücksichtigt werden. Dies wird in den theoretischen Ausbildungsabschnitten der ersten Phase erhebliche Auswirkungen auf die Neuausrichtung von Studiengängen in Bezug auf Individualisierung, Differenzierung, Diversität, Beratung, Umgang mit digitalen Medien und Evaluationsinstrumenten und Kenntnisse zum Schulrecht haben. Diesen Anforderungen muss auch in den praktischen Ausbildungsabschnitten entsprochen werden.

Zur Umsetzung der Lehrerbildungsstandards benötigen Studierende und Lehrkräfte entsprechende Aus- und Fortbildungsveranstaltungen. Sie sollten im Zuge der Neugestaltung der Studiengänge und der Einführung des Praxissemesters von Studierenden und universitären Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern laut und deutlich eingefordert werden. Dass sie von der Landesregierung eigentlich nicht vorgesehen sind, zeigt sich auch darin, dass in der Gesetzesnovelle nur marginale Ausführungen zur zukünftigen Umsetzung der Inklusion, zur Arbeit in multiprofessionellen Teams, zur förderpädagogischen Unterstützung und zur sozialpädagogischen Förderung in der ersten Phase der Lehrkräftebildung zu finden sind.

Fortlaufendes digitales Portfolio

Nach § 2 HLbG sollen alle Lehrkräfte in Zukunft über alle Ausbildungsabschnitte hinweg und während des gesamten Berufslebens ein fortlaufendes (digitales) Portfolio führen, das in der zweiten Phase auch prüfungsrelevant wird. Dazu heißt es: „Unter einem fortlaufenden Portfolio ist eine individuelle und berufsrelevante Sammlung von Belegen zu verstehen. Ziel dieser Sammlung sind die Dokumentation und Reflexion der eigenen Kompetenzentwicklung der Studierenden, der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst und der Lehrkräfte im Berufsleben während der Lehrkräfteausbildung, Lehrkräftefortbildung und Lehrkräfteweiterbildung. Belege (...) sind insbesondere Bescheinigungen über die Teilnahme an Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie persönliche Aufzeichnungen und Dokumentationen, wie zum Beispiel Reflexionen über Unterrichtsverläufe, Beratungen und Erfahrungen im Schulleben bis hin zu Fotodokumentationen. (...) Das fortlaufende Portfolio soll digital geführt werden.“ (§ 2 Abs.3 HLbG)

Die GEW kritisiert die Einführung eines solchen über ein Berufsleben hinweg zu führenden digitalen Portfolios, da ungeklärt ist, ob es sich um ein Qualifizierungs- oder um ein Leistungsportfolio handelt. Ungeklärt ist auch, ob das Portfolio einstellungs- und beförderungsrelevant ist, ob Ausbildungsveranstaltungen vorgesehen sind, in denen Studierende und LiV in Bezug auf die Führung des Portfolios beraten werden, ob das Portfolio (z.B. durch die Schulleitung) ungefragt eingesehen werden kann und wann es vorgelegt werden muss. Als Grundlage der mündlichen Staatsprüfung ist das digitale Portfolio kritisch zu sehen, da es die Gefahr erhöht, eher als Instrument der Selbstdarstellung denn als (Selbst-) Reflexionsinstrument zu dienen. Auch die Verpflichtung, das Portfolio fortlaufend digital zu führen, ist datenschutzrechtlich problematisch und erfordert aus Sicht der GEW eine konkrete Definition der Inhalte und der im Portfolio gespeicherten Daten sowie eine Antwort auf die Frage, ob und wann die Daten wieder gelöscht werden können und welche Personen Zugriff darauf haben. Die Lehramtsfachschaften an den Universitäten sollten nun bei den Studienseminaren an ihren Studienstandorten in Erfahrung bringen, welche Voraussetzungen für den Vorbereitungsdienst schon im Studium bei der Führung des Portfolios erfüllt werden müssen.
Auch bei den folgenden Punkten wurde die vehemente Kritik im Vorfeld nicht aufgegriffen:

 

  • Die Zwischenprüfung wurde abgeschafft.
  • Die Freiversuchsregelung nach unterbrochenem Lehramtsstudium wurde abgeschafft.
  • Die Studienzeiten bleiben auch für das Grundschullehramt unverändert.
  • Wie bisher ist das Recht auf Fortbildung im HLbG nicht verankert.

Praxisphasen: Mehr Arbeit für die Schulen

Besonders weitreichend sind die veränderten Regelungen für die Praxisphasen mit den entsprechenden Auswirkungen für Lehramtsstudierende und Mentorinnen und Mentoren in den Schulen. Zukünftig müssen die Studierenden während der Praxisphasen in den Schulen nicht mehr zwingend von Beauftragten der Universität besucht werden. Auch die Kooperation aller an der Lehrkräftebildung beteiligten Personen und Institutionen wird in den Praxisphasen in Zukunft nicht mehr vorausgesetzt. Die Durchführungsverordnung zum HLbG (HLbGDV) sieht nur noch vor, dass die praktische Ausbildung im Rahmen des Studiums durch Veranstaltungen der Hochschulen vorbereitet, begleitet und ausgewertet wird. Die Anleitung von Unterrichtsversuchen wird an schulische Praxislehrkräfte als Mentorinnen und Mentoren delegiert, die durch Hochschulen und Studienseminare fortgebildet werden sollen. Außerdem soll die Praktikumsschule den (nicht notwendigerweise an der Schule präsenten) Praktikumsbetreuerinnen und Praktikumsbetreuern einen schriftlichen Würdigungsbeitrag über die Leistungen der Studierenden zur Verfügung stellen (§ 19 HLbGDV). Auch dies dürfte in Zukunft in den Aufgabenbereich der Mentorinnen und Mentoren an Ausbildungsschulen fallen, so dass Bewertung und Beratung in einer Hand liegen würden.

Es zeichnet sich also ab, dass je nach Ausgestaltung der Praktikumsordnungen der hessischen Universitäten in Zukunft wesentliche Anteile der Beratung von Studierenden, insbesondere in Bezug auf Klassenführung, Gesprächsführung und den Umgang mit Unterrichtsstörungen, auf die praktikumsbegleitenden Lehrkräfte an den Ausbildungsschulen entfallen werden. An den Universitäten regt sich der Widerstand, denn diese Vorgaben könnten zu massiven Stellenkürzungen im Bereich der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen. Die GEW, die schon sehr früh auf dieses Problem hingewiesen hat, bekräftigte ihre Kritik in einem einstimmigen Beschluss der Landesdelegiertenversammlung am 7. Oktober (HLZ S.6f.): „Die GEW fordert die Landesregierung dazu auf, hessenweit einheitliche Aufgabenbeschreibungen für Mentor:innen (Betreuer:innen der Praktikant:innen) im Praxissemester festzulegen. Außerdem muss auch in Zukunft dafür gesorgt sein, dass Praktikant:innen in allen Phasen des Praxissemesters und in allen Fächern von Ausbildungsbeauftragten der Universitäten vorbereitet, begleitet und bewertet werden. Diese Aufgaben können nicht von Mentor:innen übernommen werden. Vielmehr benötigen sie Zeit zur Unterrichtsreflexion mit den Praktikant:innen. Die Mentor:innentätigkeit im Praxissemester muss daher mit zwei Anrechnungsstunden pro Praktikant:in vergütet werden.“

Grundsätzlich muss man sagen, dass die Vorgehensweise des HKM im Beteiligungsverfahren zur aktuellen Novellierung des HLbG neben inhaltlicher Kritik die Frage nach der Sinnhaftigkeit solcher Beteiligungsverfahren bzw. nach dem Verantwortungsbewusstsein der verantwortlichen Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker aufwirft, da sich der Gesetzgeber dem öffentlichen Diskurs zur Lehrkräftebildung systematisch entzieht. Unserer Meinung nach ist es höchste Zeit, die Vorgaben zur Beteiligungsverfahren neu zu regeln, Verbänden angemessene Zeiträume zur mündlichen und schriftlichen Stellungnahme einzuräumen und dafür zu sorgen, dass einhelliger Protest nicht einfach ignoriert werden kann, wenn der Politikverdrossenheit auch unter gewerkschaftlich organisierten Lehrkräften nicht weiterhin Vorschub geleistet werden soll.

Andrea Gergen

Andrea Gergen leitet im Team mit Christina Nickel das Referat Aus- und Fortbildung der GEW Hessen.


(1) Informationen und Stellungnahmen der GEW zum Thema Lehrkräftebildung gibt es unter www.gew-hessen.de > Bildung > Referat Aus- und Fortbildung.
Die aktuelle Fassung des Hessischen Lehrkräftebildungsgesetzes (HLbG) mit den vom Hessischen Landtag am 13. Mai 2022 beschlossenen Änderungen ist auf der Seite Bürgerservice Hessenrecht (https://www.rv.hessenrecht.hessen.de) zu finden oder unter dem Kurzlink bit.ly/3Cv1P1n.
Die aktuelle Fassung der Durchführungsführungsverordnung zum HLbG (HLbGDV), die im Rahmen der Novellierung des HLbG ebenfalls geändert wurde, findet man ebenfalls im Informationsportal Hessenrecht oder unter dem Kurzlink bit.ly/3ykbcP5.