Lehrerbildungsgesetz novelliert

Änderungen im Referendariat bilanziert

Am 9. Juni 2011 beschloss der Hessische Landtag in 3. Lesung das novellierte Hessische Lehrerbildungsgesetz (HLbG),im August 2011 entschied das Kultusministerium über die geänderte Verordnung zur Umsetzung des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes (HLbG-UVO,UVO). Beide Rechtsgrundlagen traten danach in Kraft. Über den langwierigen(politischen) Prozess informierte die HLZ ausführlich und kontinuierlich,zuletzt in der HLZ 7-8/2011.

GEW-Forderungen eingelöst

In mehreren fachpolitischen Gesprächen zwischen Kultusministerin 
Dorothea Henzler (FDP) und der hessischen GEW wurden strukturelle und inhaltliche Vereinbarungen erzielt, die von der Ministerin fast ausnahmslos eingehalten wurden. Heutzutage hat dies Seltenheitswert. Sowohl zum HLbG als auch zur UVO legte die GEW jeweils einen eigenen vollständigen Rechtsentwurf vor. Die von ihr für alle Lehrämter empfohlenen wesentlichen Änderungen im Referendariat sind:

  • Der Vorbereitungsdienst wird von 24 auf 21 Monate verkürzt.
  • Die neuen Einstellungstermine sind am 1. Mai und 1. November.
  • Die Einführungsphase ist bewertungsfrei.
  • Die Zahl der bewerteten Module wird von zwölf auf acht verringert.
  • Die Ausbildung an den Ausbildungsschulen ist modulfrei.
  • Das Schulleitergutachten wird doppelt gewichtet.
  • Die nicht bewerteten Module werden durch Veranstaltungen ersetzt.
  • Die pädagogische Facharbeit ist keine Prüfungsleistung mehr.
  • Die Prüfung ist auch dann bestanden, wenn die pädagogische Facharbeit oder mündliche Prüfung mit weniger als fünf Punkten bewertet wurde.
  • Die Regelungsdichte und der Verwaltungsaufwand werden erheblich dezimiert.

Nur teilweise stellt zufrieden, dass eine Lehrkraft des Vertrauens zwar wieder Mitglied im Prüfungsausschuss ist, aber als Gast kein Stimmrecht hat. Hier wurde der Grundsatz „one man, one vote“ verletzt. Kein Verständnis gibt es für die Entscheidung, die Leistungen am Prüfungstag (zwei Prüfungslehrproben und mündliche Prüfung) zukünftig mit 40 %, hingegen die in 18 Monaten erbrachten (Vor-)Leistungen (acht Module, Schulleitergutachten und pädagogische Facharbeit) nur noch mit 60 % auf die Gesamtbewertung zu gewichten.Die GEW forderte die 2:1-Regelung. Resümee: Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Hans-Jürgen-Irmer sprach zu Recht nicht von einer „Reform“, sondern von „Änderungen“ des HLbG. Diese, von der GEW Hessen seit fast 2 ½ Jahren in Beschlüssen des Landesvorstands formuliert, sind insgesamt grundsolide und lassen erwarten, dass zumindest der enorme, nicht mehr legitimierbare Arbeits- und Prüfungsdruck auf die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst (LiV) deutlich verringert wird. Strukturelle Überstunden bei den Ausbilderinnen und Ausbildern entfallen. Auch dürfte die sogenannte Entbürokratisierung der pädagogischen Ausbildung und der Prüfung zu einer erheblichen Verringerung der Verwaltungsarbeit in den Studienseminaren und im Amt für Lehrerbildung (AfL)führen.

Positive UVO-Novellierung, aber auch mit WermutstropfenDie Umsetzungsverordnung (UVO), in der die konkreten Ausführungsbestimmungen zum Lehrerbildungsgesetz geregelt sind, wurde neu strukturiert. Sie enthält konkrete Regelungen zum AfL, zu Studienseminaren, Personal, Prüfungsbestimmungen für Studium und pädagogischen Vorbereitungsdienst, zum Erwerb einer einem Lehramt gleichgestellten Qualifikation („QuiS“), zur Anerkennung von EU-Lehrerdiplomen, Lehrerfortbildung und Weiterbildung.Hinsichtlich des Referendariats und der Studienseminare sind dies die – von der Gewerkschaft ausdrücklich geforderten – wesentlichen künftigen Änderungen für alle Lehrämter:

  • Die ständigen Vertreterinnen und Vertreter können wieder Ausbildungsaufgaben wahrnehmen.
  • Der Aufgabenumfang der Ausbilderinnen und Ausbilder wird deutlich verringert.
  • Die Arbeitszeit der Ausbilderinnen und Ausbilder ist in allenLehrämtern gleich. Ihre Unterrichtsverpflichtung wird von 8,5 beziehungsweise 7,5 auf einheitlich sechs Wochenstunden verringert.
  • Nur noch die Anwesenheitszeit der LiV in den Modulen und verbindlichen Veranstaltungen des Studienseminars wird bestimmt. Damit entfallen die Festlegungen von Leistungspunkten (Creditpoints), Gesamtumfang der Arbeitszeit (Workload) und Arbeitszeit für Module.
  • Zwei Module sind lehramtsspezifisch.
  • Das Gutachten der Schulleiterin oder des Schulleiters enthält auch Aussagen zur Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen sowie zur Wahrnehmung dienstlicher Aufgaben.
  • Die Dauer der Erörterung der Prüfungslehrproben wird auf 45 Minuten begrenzt, die Dauer der mündlichen Prüfung auf 60 Minuten, bei Fachlehreranwärterinnen und Fachlehreranwärtern für arbeitstechnische Fächer auf 45 Minuten.

Aus gewerkschaftlicher Sicht gibt es eine kontroverse Einschätzung, wie die
Erhöhung der Zahl der Unterrichtsbesuche von zwölf auf 14 zu beurteilen ist. Der eigenverantwortete Unterricht bleibt unverändert, Der Gesamtumfang des Ausbildungsunterrichts der LiV in den beiden Hauptsemestern wird von
16 auf zwölf bis 14 Wochenstunden, reduziert. Der eigenverantwortete Unterricht bleibt unverändert, wobei bis zu vier Stunden mit Mentorenbetreuung möglich sind. Für die LiV bedeutet dies eine gewisse Arbeitsentlastung. Wie bereits bei den Gesprächen zum HLbG mit der Ministerin war anlässlich der UVO-Überarbeitung die Arbeits- und Gesprächsatmosphäre auch mit den Verantwortlichen im Ministerium produktiv, konstruktiv. Infolgedessen wurden weitestgehend alle GEW-Forderungen zum Vorbereitungsdienst, die als
GEW-Landesvorstandsbeschlüsse gefasst wurden, übernommen.
Die langfristige finanzielle Entscheidung, die von der Ministerin ursprünglich zugesagte materielle Mentorenentlastung aufgrund der Verkürzung der Ausbildungsdauer nicht zu gewähren, ist jedoch ein Wermutstropfen. Es gibt lediglich eine Sparvariante: Bis zu vier Wochenstunden ist mit der LiV eine „Doppelbesetzung“ möglich. Während so der Status quo noch gehalten werden konnte, müssen sich das AfL und die Studienseminare aufgrund der angekündigten Sparmaßnahmen warm anziehen.

Modularisierung: gescheitert und faktisch beendet

Die neuen Module nach HLbG-UVO sind zwar noch nicht beschlossen, doch ist aufgrund der offiziösen Entwürfe bereits heute eine (vorläufige) Gesamtbeurteilung möglich. Danach ist die Modularisierung im Referendariat faktisch, materiell in toto gescheitert. Der Begriff Modul bleibt zwar weiterhin in Gebrauch, weil man nach Auffassung im Kultusministerium sonst diesen 
gängigen Begriff mit ungezählten Änderungen in anderen Texten hätte ersetzen müssen, eine „Riesenarbeit“. Gleichwohl sind die neuen Module in keiner Weise mehr Module. Sie enthalten lediglich noch Kompetenzen, Standards und Inhalte und entsprechen damit ganz gewöhnlichen Lehrplänen oder den künftigen Kerncurricula in den Unterrichtsfächern der Schulen. Voll gescheitert ist damit die Implementierung dieses technokratischen Ausbildungsdiktats, das ein „Anti-Bildungsverständnis“ zum Ausdruck bringt.
Zum Abgewöhnen und zur Erinnerung: Hessens ehemalige Kultusministerin Karin Wolff (CDU) ließ hessische (!) Module entwickeln, deren Markenzeichen zehn Kriterien waren:

  • Kompetenzen und Standards
  • Themen und Inhalte
  • Organisationsformen und Methoden
  • Voraussetzungen zur Teilnahme
  • Arbeitsaufwand
  • Leistungspunkte
  • Leistungserwartungen
  • Dauer des Moduls und Angebotsturnus
  • Verwendbarkeit
  • Modulverantwortung

Formal war dieser bildungstheoretische Offenbarungseid auf 640 (!) Seiten in Tabellenform eingekästelt. Nur wenige Studienseminare widersetzten sich diesem „Budenzauber“. Auch dies war Realität. Bemerkenswert der Prozess, dass vornehmlich gymnasiale Studienseminare und die hessische GEW eine unausgesprochene Allianz gegen dieses Bürokratiemonstrum bildeten. Ohne die politische Entscheidung durch Kultusministerin Henzler und eine adäquate Umsetzung durch das Kultusministerium würde dieser Ausbildungsunsinn jedoch fortbestehen.  
Dieser Modul-Spuk ist nach sieben Jahren vorbei. In nicht wenigen „LiV-Köpfen“ dürfte er unangenehme, tiefe Spuren hinterlassen haben.

Eine nicht minder große, schwierige Aufgabe wird die weitere Auseinandersetzung mit kompetenzorientierten Lehrprobenentwürfen und einem Unterricht gemäß Kompetenzen sein. Seit sieben Jahren gibt es dies im Referendariat bereits förmlich. Erfolge werden bisweilen zwar behauptet, sind aber unbekannt.

Fader Nachgeschmack, aber auch Perspektive

Entgegen fast 40-jähriger gängiger Bildungspraxis wurde die GEW seit der Wolff-Ära systematisch und Zug um Zug aus allen Arbeitsgruppen herauskatapultiert. Dieser undemokratische Vorgang einer strukturellen Ignoranz gegenüber der größten hessischen Lehrerorganisation, die zwei Drittel der Mitglieder im Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer (HPRLL) stellt, musste auf Dauer misslingen. Andere Lehrerorganisationen und Fachverbände vertraten sehr lange andere Vorstellungen hinsichtlich der HLbG-Überarbeitung. Ziemlich spät schwenkten sie auf die GEW-Spur ein, die der HPRLL von Anfang an uneingeschränkt mittrug. 
Die gewerkschaftlichen Überlegungen haben offensichtlich Ministerin und Ministerium überzeugt. So lässt sich der Erfolg auch erklären. Der lange Atem hat gewirkt und gelohnt. Seit Inkrafttreten des HLbG sind sieben Jahre vergangen, eine verlorene Zeit für eine echte Reform der Lehrerausbildung. Die GEW Hessen hat in ihren letzten Beschlüssen zur HLbG- Novellierung eine  „Große Reform“ in den Blick gerückt. Die letzte Reform des Referendariats gab es 1977, vor fast 35 (!) Jahren. Eine neue Lehrergeneration kommt, mit anderen Vorstellungen von Ausbildung. Dauer, Struktur, Organisation müssen auf den Prüfstand:

  • Ist angesichts der erheblichen gesellschaftlichen Veränderungen noch eine Zweiphasigkeit angesagt, sind drei (!) Ausbildungsorte (Universität, Studienseminar, Ausbildungsschule) erforderlich?
  • Verhindert die gegenwärtige Struktur den kontinuierlichen Theorie-Praxis-Bezug? Müssen erste Unterrichtserfahrungen nicht schon im Studium erworben werden und nicht erst etwa sechs Jahre später im Vorbereitungsdienst?
  • Sind universitäre Praxissemester und Referendariat erforderlich? Ist eine
    Berufseingangsphase erforderlich? 

Fragen über Fragen! In etwa sieben Jahren könnte eine grundlegend veränderte Lehrerausbildung Realität in Hessen werden. Ein Gelingen setzt den Konsens aller im Landtag vertretenen Parteien voraus.