Leserbrief aus dem Jahr 2035

Joachim Eulers Plädoyer für die Einphasigkeit

HLZ 1-2/2014: Lehrerbildung

Zufällig ist mir die Ausgabe der HLZ vom November 2013 mit dem Titelthema „Politikwechsel in Hessen?“ in die Hände geraten. Dort setzte sich der ehemalige Leiter des Referats Aus- und Fortbildung im GEW-Landesvorstand Joachim Euler, der bis 2012 Leiter des Studienseminars für berufliche Schulen in Frankfurt war, grundlegend mit der Lehrerausbildung auseinander und skizziert ein aus seiner Sicht dringendes Reformvorhaben für Hessen.

Dieser Artikel ist damals von vielen als dramatisierender Weckruf verstanden worden. Liest man diesen Aufruf aus der Distanz von 22 Jahren, kann man ein leichtes Schmunzeln kaum unterdrücken. Erstaunlich, was sich mittlerweile verändert hat und als selbstverständlich angesehen wird. Auf einige Veränderungen soll an dieser Stelle hingewiesen werden. Seit Anfang der zwanziger Jahre gibt es einen Numerus Clausus für den Lehrerberuf. Er gilt für Lehrerinnen und Lehrer der Primarstufe und der Sekundarstufen I und II. Nur die besten Abiturientinnen und Abiturienten können den Lehrerberuf ergreifen. Verantwortlich dafür ist ein Wertewandel, der Bildung und Ausbildung in der Rangliste nach ganz oben katapultiert hat. Viele Bewerberinnen und Bewerber müssen abgelehnt werden, unabhängig von den Fächern, die sie studieren wollen.

Bildung steht auf der Rangliste ganz oben …

Vor Eintritt in das Lehrerstudium findet eine vierzehntägige Vorbereitungsphase statt, in der die Erfahrungen der eigenen Schulzeit und die Motive für die geplante Berufswahl bearbeitet werden. Ziel dieser Einführungsphase ist zudem, Gruppenfähigkeit und Eignung für die Leitung von Gruppen zu thematisieren. In der Mitte des Studiums und am Ende finden vergleichbare Seminare statt. Damit wird ein Prozess initiiert, der die Grundlage für ein professionelles Reflexionsvermögen legen soll. Diese studienbegleitenden Seminare sind nicht als Prüfungen für eine Eignung für den Lehrerberuf konzipiert, sollen aber schon die Möglichkeit bieten, die eigene Berufswahl zu überprüfen. Entsprechende Beratungsangebote können wahrgenommen werden, in denen gegebenenfalls berufliche Alternativen aufgezeigt werden.

Die heutige Lehrerausbildung im Jahr 2035 geht von dem Grundsatz aus, dass „gute Lehrerinnen und Lehrer“ „guten Unterricht“ sehen können müssen. Das hat Konsequenzen. Alle Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer im Bereich der Lehrerbildung unterrichten mindestens vier Wochenstunden an einer in der Nähe der Universität gelegenen Schule. Auch die Ausbilderinnen und Ausbilder an den Studienseminaren, natürlich auch deren Leitungen, unterrichten zwischen vier und sechs Stunden pro Woche an Schulen und sind für mindestens ein Ausbildungsseminar verantwortlich.

Kopfschüttelnd liest man, dass nach Aussage von Joachim Euler im Jahr 2013 „mehr als 50 Prozent der Ausbilderinnen und Ausbilder (…) über Jahre nicht unterrichteten“. Das ist heute undenkbar, allein deswegen, weil Ausbilderinnen und Ausbilder, ob an der Hochschule oder am Seminar, regelmäßig, mindestens einmal alle fünf Jahre, Unterricht vor einer Gruppe von Kolleginnen und Kollegen halten und sich anschließend im Gespräch über Fragen der Unterrichtsbesprechung austauschen. Entweder ist der unterrichtende Kollege von Beginn an bei der Besprechung dabei oder sie findet – zum Beispiel bei der Seminarleitung – erst einmal ohne den unterrichtenden Kollegen statt. Er wird dann mit dem Beratungsergebnis konfrontiert, über das dann in der ganzen Gruppe geredet wird.

… Ausbilder zeigen ihren Unterricht …

Dieses Prinzip, dass Ausbilderinnen und Ausbilder unterrichten, in ihrem Unterricht besucht werden und auch ihr Unterricht analysiert wird, ist Grundlage der Lehrerausbildung an Universitäten und Seminaren. Bis es so weit war, gab es heftigste Widerstände, vor allem der betroffenen Institutionen, die im Interesse einer nachhaltigen Lehrerbildung überwunden werden konnten. Es gibt ein computergestütztes Anmeldesystem, so dass Studierende und Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst (LiV) regelmäßig in den Unterricht ihrer Ausbilderinnen und Ausbilder kommen können. So wird auch für die LiV der Besuch ihres Ausbildungsunterrichts zur willkommenen Selbstverständlichkeit. Die technischen Möglichkeiten, Unterricht mit mehreren Kameras aufzunehmen, können genutzt werden, oder es wird auf Transkriptionen von Unterrichtsstunden zurückgegriffen.

Die Kolleginnen und Kollegen des Jahres 2013 würden staunen, was mittlerweile in der Ausbildung für Lehrerinnen und Lehrer selbstverständliche Praxis ist, obwohl man auch schon damals wusste, dass es zur wissenschaftlichen und fachärztlichen Ausbildung eines Chirurgen gehört, dass er guten Operateuren lange genug zusehen konnte, bevor er seine erste Blinddarmoperation vornehmen sollte. Heute im Jahr 2035 wird die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern gesellschaftlich als genauso wichtig angesehen wie die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten.

… und Geld für Bildung ist auch genug da

Und die Finanzierung? Sie wollen wissen, was aus der Schuldenbremse geworden ist? Auch hier hat ein Mentalitätswandel stattgefunden. Diese Gesellschaft ist nicht arm, wie die Diskussion um die Staatsverschuldung lange Zeit hat glauben lassen, sondern sie ist reich, und zwar so reich, wie dieses Land in seiner Geschichte noch nie war. Heiner Geißler, ein CDU-Politiker aus Ihrer Zeit, wusste das schon am Anfang des 21. Jahrhunderts: „Geld ist da wie Dreck, es ist nur in den falschen Händen.“ Für Bildung und Ausbildung unserer Kinder ist zum Glück heute genug Geld da, weil die Bewältigung der Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft im öffentlichen Bewusstsein Priorität hat. Und das kommt den Hochschulen, Studienseminaren und Schulen zugute und vor allem den Schülerinnen und Schülern.