Qualitätsoffensive Lehrerbildung

Lehramtsstudium und Professionalisierung

HLZ 1-2/2014: Lehrerbildung

Weil Lehrerinnen und Lehrer für den Erfolg unseres Bildungssystems von entscheidender Bedeutung sind, ist es die Aufgabe von Bund und Ländern, die Bedingungen für eine qualitätsvolle Lehrerausbildung bereit zu stellen. Entsprechend soll mit der wettbewerbsorientierten Qualitätsoffensive Lehrerbildung ein starker Impuls gegeben werden – es geht immerhin um 500 Millionen Euro – für eine qualitativ nachhaltige Verbesserung der Ausbildung angehender Lehrerinnen und Lehrer (1).

Die Ziele des Programms zeigen Richtungen für ein zeitgemäßes Lehramtsstudium auf. In der entsprechenden Bund-Länder-Vereinbarung aus dem Frühjahr 2013 wird unter anderem eine Qualitätsverbesserung des Praxisbezugs gefordert, eine Fortentwicklung im Umgang mit Heterogenität und Inklusion, eine Verbesserung der professionsbezogenen Beratung und Begleitung der Studierenden und eine Fortentwicklung der Fachlichkeit, der Didaktik und der Bildungswissenschaften.

Professionsbezogene Beratung und Begleitung

Was die Qualitätsoffensive Lehrerbildung bezogen auf eine professionsbezogene Beratung und Begleitung von Lehramtsstudierenden fordert, wird an einigen Hochschulen in Deutschland seit geraumer Zeit entwickelt und zum Teil auch schon praktiziert. Noch konkreter ist im § 3 von der Entwicklung von Verfahren zur gezielten Gewinnung geeigneter Studierender die Rede. Der Wissenschaftsrat hat bereits 2008 darauf hingewiesen, dass die Hochschulen bei der Eignungsfeststellung mitwirken sollten, indem ein Teil der Studieneingangsphase als Orientierungsphase genutzt werden könnte. Die Studierenden sollten ihre Fächerwahl und ihre Studieneignung selbst erproben und sich gegebenenfalls neu orientieren können (2). Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) empfiehlt inzwischen, der Eignungsabklärung in der ersten Phase der Lehrerbildung mehr Raum zu geben, indem Selbstreflexionsprozesse über das Berufsziel Lehrer/in initiiert werden sollen (3). Während es in zahlreichen Ländern bereits seit längerem Auswahlverfahren für das Lehramtsstudium gibt (4), haben in Deutschland erst in den letzten Jahren Hochschulen damit begonnen, für die Lehramtsstudiengänge Selbstabklärungs- oder Selbsterprobungsverfahren einzuführen (5).

Dass die Frage der Eignung insbesondere für das Lehramtsstudium relevant ist, hängt mit den gestiegenen Anforderungen an den Lehrerberuf zusammen, die es erforderlich erscheinen lassen, besonders leistungsorientierte, beziehungsfähige und belastbare junge Menschen zu gewinnen. In Finnland beispielsweise gibt es schon seit geraumer Zeit Auswahlverfahren für Lehramtsstudierende (6). Kohonen hebt zwei wesentliche Ziele der Lehrerbildung in Finnland hervor, Lehrerinnen und Lehrer als reflektierte Praktiker und als Professionelle, die ihre eigene Arbeit beforschen, auszubilden. Entsprechend werde bei Auswahlverfahren auf kommunikative, selbstreflexive, kognitive und sprachliche Fähigkeiten der Bewerberinnen und Bewerber geachtet. Aber auch Befunde der Lehrerbelastungsforschung, zur Berufszufriedenheit und zur Lehrergesundheit haben vor allem in Deutschland dazu geführt, dass die Potenziale von Lehramtsstudierenden mit identifizierten „Risikomustern“, günstigen „arbeitsbezogenen Erlebens- und Bewältigungsmustern“ und „gesundheitserhaltende Faktoren“ aus der Forschung in Beziehung gesetzt werden (7).

Auswahlverfahren: Auslese oder Unterstützung?

In der Diskussion über Verfahren zur Auswahl und zur Eignungsfeststellung von Lehramtsstudierenden wurde in den letzten Jahren problematisiert, ob sich die Ausrichtung eher auf Selektion oder auf Förderung und Qualifizierung konzentrieren sollte. Inzwischen gibt es Verfahren, die in erster Linie auf Professionalisierung ausgerichtet sind, in letzter Konsequenz aber auch selektive Auswirkungen haben können. Zu diesen Verfahren gehört das Konzept „Psychosoziale Basiskompetenzen für den Lehrerberuf“, das an der Universität Kassel seit 2008 für alle Studierenden der allgemein bildenden Lehramtsstudiengänge verpflichtend ist. Dabei werden in der Studieneingangsphase im Rahmen eines eineinhalbtägigen Kompaktseminars zentrale psychosoziale Kompetenzen für den Lehrerberuf in Handlungssituationen erprobt. Zu diesen Handlungssituationen gehören das Auftreten vor einer Gruppe mit anschließendem Peerfeedback oder die Kollegiale Fallarbeit zum Erproben der eigenen Fähigkeit zum Perspektivwechsel. Als weitere Kompetenzen können die Studierenden unter anderem ihre Durchsetzungsfähigkeit und ihre Wahrnehmungskompetenz auf sich selbst bezogen (auf eigene innere Prozesse und Emotionen) und nach außen gerichtet (auf das Verhalten anderer Personen) erproben. Damit erfolgt zu Beginn des Studiums eine erste Standortbestimmung über die bereits vorhandenen psychosozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Studierenden erhalten am Ende des Seminars eine Rückmeldung zu ihren Stärken und Entwicklungsbedarfen, damit sie ihren individuellen Professionalisierungsprozess gezielt voranbringen können. Angekoppelt an die Schulpraktischen Studien ist das Konzept – für eine vergleichsweise kleine Gruppe von Studierenden – insofern auch selektiv ausgerichtet, als Studierende mit hohem Entwicklungsbedarf im Rahmen ihrer Schulpraktischen Studien auf der Basis des Kompetenzstands, der während des Kompaktseminars ermittelt wurde, gezielt gefördert und begleitet werden, ihnen bei ungünstigen Lernentwicklungen aber auch kein erfolgreiches Absolvieren des schulpraktischen Ausbildungsteils attestiert werden kann (8).

Psychosoziale Ressourcen von Lehrkräften

Aus der salutogen, das heißt auf den Erhalt und die Förderung der Gesundheit ausgerichteten Lehrerforschung ist inzwischen bekannt, dass Lehrerinnen und Lehrer, die über ein hohes Maß an personalen und sozialen Ressourcen verfügen, berufliche Anforderungen eher als Herausforderung denn als Belastung erleben. Das bedeutet, je breiter und differenzierter die Basis an verfügbaren Ressourcen ist, auf die zurückgegriffen werden kann, desto eher werden bei Beanspruchung aktive statt passiv-resignativer Bewältigungsstrategien gewählt. Dies schützt nicht nur die Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern, sondern wirkt sich auch positiv auf die Qualität ihres Unterrichts aus. Lehrkräfte, die in einem hohen Maß mit psychosozialen Ressourcen ausgestattet sind, realisieren ein breites Spektrum von Unterrichtsformen und unterrichten schülerorientierter als ihre Kolleginnen und Kollegen mit einer fragilen Ressourcenbasis (9). Bezogen auf selbstregulative Fähigkeiten als Teil der professionellen Kompetenz von Lehrkräften kann Klusmann im Rahmen der COACTIV-Studie nachweisen, dass diejenigen, die im beruflichen Kontext effektiv mit den eigenen Ressourcen haushalten können, schülerangemessener unterrichten, während es Lehrkräften mit geringeren selbstregulativen Fähigkeiten schwerfällt, sich den Bedürfnissen ihrer Schülerinnen und Schüler auf kognitiver wie emotionaler Ebene anzupassen (10).

Die Forschungsbefunde unterstreichen noch einmal die Bedeutung, Lehramtsstudierenden frühzeitig Lerngelegenheiten zu bieten, um ihre psychosozialen Kompetenzen bewusst wahrnehmen und im Studienverlauf kontinuierlich weiter auf- und ausbauen zu können. Qualitativer Maßstab für das Bemühen um eine professionsorientierte Lehrerbildung sollte dabei stets die Frage sein, ob angehende Lehrerinnen und Lehrer mit den zu erwerbenden und bereits erworbenen Kompetenzen in die Lage versetzt werden, ihr Wissen und Können beständig zu erweitern, um im Laufe ihres Berufslebens auf die sich stetig wandelnden Bildungsanforderungen an Heranwachsende adäquat reagieren zu können.

Dabei kommt die Qualitätsoffensive Lehrerbildung gerade recht, um mit entsprechender Unterstützung in breiterem Maße, als dies bisher möglich war, Lerngelegenheiten zum Aufbau zentraler Ressourcen anbieten und weiterentwickeln zu können, die Lehramtsstudierende in ihrem individuellen Professionalisierungsprozess voranbringen.


(1) Bund-Länder-Vereinbarung über ein gemeinsames Programm „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ gemäß Artikel 91b des Grundgesetzes vom 12. April 2013

(2) Wissenschaftsrat (Hrsg.) (2008): Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium. Köln, www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/Qualitaetsverbesserung_Lehrer.pdf

(3) KMK, Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2013): Empfehlungen zur Eignungsabklärung in der ersten Phase der Lehrerausbildung. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 7.3.2013, Anlage IV zur NS 341, Berlin.

(4) Sliwka, A./Klopsch, B. (2012): Auf den Lehrer/die Lehrerin kommt es an. Lehrerbildung und Lehrerprofessionalität in internationaler Perspektive. In: Weyand, B./Justus, M./Schratz, M. (Hrsg.): Auf unsere Lehrerinnen und Lehrer kommt es an. Geeignete Lehrer/innen gewinnen, (aus-)bilden und fördern. Essen, 14-35

(5) Eine bundesweite Übersicht findet man bei Nieskens/Demarle-Meusel (2012): Für den Lehrerberuf geeignet? (herausgegeben von der Deutschen Telekom Stiftung). Lünen.

(6) Valli, R./Johanson, P. (2007): Entrance examinations as gatekeepers. Scandinavian Journal of Educational Research 51, 493-510; Kohonen, V. (2007): Auswahlverfahren für Lehramtsstudierende in Finnland: Aufbau einer „transformativen“ Professionalität. In: journal für lehrerInnenbildung, H. 2, 26-32.

(7) vgl. Hanfstingl, B./Mayr, J. (2007): Prognose der Bewährung im Lehrerstudium und im Lehrerberuf. In: journal für lehrerInnenbildung, H. 2, 48-56; Schaarschmidt, U./Kieschke, U. (2007): Gerüstet für den Schulalltag. Weinheim und Basel.

(8) Bosse, D./Dauber, H./Döring-Seipel, E./Nolle, T. (2012): Professionelle Lehrerbildung im Spannungsfeld von Eignung, Ausbildung und beruflicher Kompetenz. Bad Heilbrunn.

(9) Döring-Seipel, E./Dauber, H. (2013): Was Lehrerinnen und Lehrer gesund hält. Göttingen, S. 105 ff.

(10) Klusmann, U. (2011): Allgemeine berufliche Motivation und Selbstregulation. In: Kunter, M./Baumert, J./Blum, W./Klusmann, U./Krauss, S./Neubrand, M. (Hrsg.): Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Münster u.a., 277-295, S. 284 f.