Zuspitzung der Situation der Lehrerausbildung an den Studienseminaren

Seit der Novellierung des HLbG im November 2011

Stellungnahme des Studienseminars für Gymnasien Heppenheim 

"Am 1. 11.2011 trat das neue Hessische Lehrerbildungsgesetz in Kraft. Das Gesetz, so das Ministerium damals, habe eine Reihe 'positiver Folgen': 'Dass wir mehr Wert auf die Praxis legen, steigert die Qualität der Ausbildung', sagte die Ministerin. 'Ein positiver Nebeneffekt dieser sinnvollen Maßnahmen sei, dass damit Einsparungen in Höhe von rund 25 Millionen jährlich verbunden seien.' (Kultusministerin Renzier in einer Presseerklärung vom 1.11.2011; Hervorhebungen PR HP)."

"Nach zwei Jahren ziehen wir am Studienseminar für Gymnasien Heppenheim Bilanz. 

Verkürzung des Vorbereitungsdienstes und Veränderung der Einstellungstermine: Drei Kalendermonate, faktisch jedoch nur 7-9 Unterrichtswochen stehen den Lehrkräften im Vorbereitungsdienst (LiV) zum Einstieg in die Ausbildung zur Verfügung; in dieser Zeit unterrichten sie nicht, haben aufgrund einer Vielzahl von Einführungsveranstaltungen in den unterschiedlichen Modulen wenig Zeit für Hospitationen und können auch im Unterricht kaum angeleitet werden. Durch die Verkürzung der Einführungsphase ist eine hinreichende Vorbereitung für den eigenverantwortlichen Unterricht somit stark erschwert. Weniger vorbereitet übernehmen die Li V 10-12 Wochenstunden Unterricht in fachlicher und pädagogischer Verantwortung mit allen Konsequenzen, die das für ihre professionelle Entwicklung und für die von ihnen unterrichteten Schülerinnen und Schüler hat.

Verkürzung des Ausbildungsfaktors von 5,9 auf 4,9

Der Faktor gibt an, wie viele Wochenstunden pro LiV dem Studienseminar für die Ausbildung zur Verfugung stehen. Diese Einsparungen haben ihren Preis.

Den Preis zahlen die LiV- und dies mehrfach: 

Parallel zur hohen Belastung durch eigenverantwortlichen Unterricht, in den die LiV weniger gut vorbereitet und begleitet einsteigen, müssen sie eine Vielzahl bewerteter Unterrichtsbesuche (UBs) absolvieren - allein acht im ersten Hauptsemester. Um diese hohe Zahl zu bewältigen, ist es erforderlich, UBs in den Fächern mit allgemeinpädagogischen UBs zu koppeln. Dies führt zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Terminfindung.

Zusätzlich sehen die LiV sich unter Druck, verschiedenen Anforderungen gerecht werden zu müssen. Die Kürzung des Ausbildungsfaktors hat zur Folge, dass die Zeit für Beratungen drastisch eingeschränkt werden muss, was in Koppel-UBs verschärft zum Tragen kommt. All dies betrifft den Kern der Lehrertätigkeit und, wie wissenschaftlich unstrittig, den Kern von Schul- und Unterrichtsqualität.

Wer hier spart, spart langfristig an der Bildung der Schülerinnen und Schüler. Anders als vom Ministerium im Vorfeld versprochen, sind die durch die Verkürzung der Ausbildung eingesparten Gelder nicht in die Entlastung der Mentorinnen und Mentoren an den Schulen geflossen. Die Schulen haben damit keine Ressourcen, die reduzierte Betreuung der LiV durch die Seminare zu kompensieren. Mentorinnen und Mentoren werden wieder stärker in die Ausbildung einbezogen; sie geben dem Schulleiter/ der Schulleiterin Informationen über die Lernentwicklung der LiV, die ins Schulgutachten einfließen. Sie nehmen als 5. Prüfungsmitglied beratend an Staatsexamina teiL So sinnvoll die Einbindung der Mentorinnen in Ausbildung und Examen ist, so widerspricht dem die Tatsache, dass es trotz gestiegener Anforderungen keine Entlastungsstunden gibt. Diese Situation fuhrt dazu, dass LiV zunehmend Schwierigkeiten haben, überhaupt Mentorinnen zu finden.

Den Preis zahlen die hauptamtlichen Ausbilderinnen und Ausbilder,

deren Arbeitszeit mit den jüngsten Veränderungen um weitere 20 % erhöht wird, denn die Kürzung steht nicht im Verhältnis zur Kürzung der Ausbildungsdauer der LiV und der Reduzierung der Ausbildungsveranstaltungen. Die Anzahl der zu betreuenden LiV ist drastisch gestiegen, gleichzeitig auch die Unterrichtsverpflichtung an den Schulen. Die damit einher gehenden reduzierten Beratungsmöglichkeiten behindern nicht nur eine angemessene individuelle Betreuung, sondern fuhren auch zu Bewertungskonflikten. Darüber hinaus zieht die Verdichtung der Arbeitsprozesse erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich der zeitlichen Koordinierung der unterschiedlichen Tätigkeiten nach sich. Terminabsprachen für Unterrichtsbesuche gestalten sich schwierig, insbesondere bei Koppelbesuchen. Für die Ausbilderinnen und Ausbilder ist Unterrichtsausfall dabei oft unvermeidlich, mit allen Schwierigkeiten, die daraus mit Schulleitungen, Schülerinnen und Schülern und Eltern resultieren.

Verkürzte Ausbildungsdauer, stark variierende LiV-Zahlen in den einzelnen Fächern und erhöhte Arbeitszeit führen vermehrt zu kurzfristigen Veränderungen des Einsatzes der Ausbilderinnen und Ausbilder in unterschiedlichen Modulen. Die unter Zeitdruck erfolgende Einarbeitung erhöht die Belastung zusätzlich. Eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Modulveranstaltungen, flankiert von Fortbildungen und Literaturstudium kann nur noch in unbefriedigendem Maße stattfinden. Die Bereitschaft und Möglichkeit zur Mitarbeit in Gremien wie Seminarrat und Personalrat hat spürbar abgenommen.

Den Preis zahlen Kolleginnen und Kollegen mit einem Ausbildungsauftrag am Studienseminar

An vielen Seminaren hat die Reform eine ganze Gruppe von Kolleginnen und Kollegen bereits "überflüssig" gemacht. Versucht man Ausbildungsbeauftragte allen Widrigkeiten zum Trotz längerfristig zu binden, bedeutet dies auch für sie, sich oft kurzfristig in neue Aufgabenfelder einarbeiten zu müssen. Ein Aufwand, der vor dem Hintergrund einer hohen Belastung durch Unterricht an der Schule, von der sie lediglich abgeordnet sind, kaum zumutbar ist. Die Bereitschaft der Kolleginnen und Kollegen an den Schulen, sich für Ausbildungsaufgaben abordnen zu lassen, hat vor diesem Hintergrund deutlich abgenommen. Durch die mit der Reform verbundenen Einsparungen opfert man demnach die Personalentwicklungsmöglichkeiten der Seminare. Wo und wie qualifizieren sich zukünftige hauptamtliche Ausbilderinnen und Ausbilder?

Erhöhter Unterrichtseinsatz der Ausbilderinnen und Ausbilder, erhöhte Anrechnung der LiV auf das Stundendeputat der Schulen

Die LiV werden nun mit mehr Stunden auf die Gesamtstundenzahl einer Schule angerechnet. Rechnerisch ist jede Ausbildungsschule damit besser mit Lehrkräften versorgt als bisher. Faktisch wird dadurch keine einzige Unterrichtsstunde mehr gehalten. Bereits beim Einstellungsverfahren in den Vorbereitungsdienst zum 1.11. 2012 wurde nach Berichten aus verschiedenen Studienseminaren deutlich, dass die Befürchtung, die Ausbildungsbereitschaft der Schulen könnte sinken, \Virklichkeit geworden ist und dieser Trend verstärkt sich zunehmend. Immer mehr Schulen wollen keine oder weniger LiV ausbilden, denn für die Schulen hat die Erhöhung des Anrechnungsfaktors völlig unakzeptable Folgen. Große Schulen, die bspw. 15 LiV ausbilden, haben rein rechnerisch nun plötzlich etwa eine Stelle mehr durch den Unterricht der Li V. Auf dem Papier erhielten die Schulen eine Zuweisung von 101 Prozent, in der Realität haben sie dann durch die neue Anrechnung gar nicht mehr Stunden zur Abdeckung des Unterrichts zur Verfügung als im Schuljahr zuvor. So führt die Anrechnung von 8,0 an den Schulen dazu, dass es wenige Spielräume gibt, die LiV "ausbildungsgerecht" einzusetzen.

Die Durchführung der vorn Lehrerbildungsgesetz ermöglichten "Doppelsteckungen" von LiV und Mentor/in, d .h. ihr gerneinsamer Einsatz in einer Lerngruppe, wird erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht. Eine der Ausbildungsqualität äußerst förderliche Lernsituation wird nur noch selten realisie11, ebenso wenig eine angemessene Entlastung der Mentorlnnen. Verschärfend kommt hinzu, dass durch den Wegfall einer kompletten Jahrgangsstufe im Zusammenhang mit G8, die meisten Schulen bereits jetzt einen Überhang an Lehrerstunden haben. Angestammtes Personal ist dadurch von Abordnungen bedroht und die Aufnahme von Li V verstärkt dieses Problem.

Die erhöhte Unterrichtsverpflichtung der Ausbilderinnen und Ausbilder erweckt gleichfalls nur den Schein einer besseren Unterrichtsabdeckung. Die vielfaltigen Dienstpflichten dieser Gruppe (Unterrichtsbesuche, weite Anfaln1swege zu den entsprechenden Schulen, Staatsexamina, landesweite Konferenzen etc.) produzieren Unterrichtsausfall, der den Schulen nicht ersetzt wird.

Die im Laufe der letzten zwei Jahre eingetretenen Verschlechterungen in der Lehrerausbildung (vgl. dazu den Bericht "Im Eiltempo ins Klassenzimmer" in den HNA vom 17.04.2012) sind nicht weiter hinnehmbar. Die nach der Landtagswahl im Herbst 2013 politisch Verantwortlichen im Parlament und in der Regierung sind nun aufgefordert Bedingungen zu schaffen, die ein gerechtes und auf Chancengleichheit basierendes Bildungswesen garantieren und Bildung nicht einer rein ökonomischen Sparpolitik zu unterwerfen.

Um die Qualität der Ausbildung zu sichern, fordern wir

  • die Rücknahme des Faktors von 4,9 Ausbildungswochenstunden/LiV,
  • die Rücknahme der erhöhten Anrechnung der LiV auf das Stundendeputat der Schulen,
  • Anrechnungsstunden für Mentorinnen und Mentoren,
  • insgesamt eine Zuweisung von Ressourcen für Ausbildung, die sich an den real zu erbringenden Ausbildungsleistungen und dem Ziel einer guten Ausbildung zukünftiger Lehrerinnen und Lehrer orientiert."