Berufliche Bildung

2019: Zum Koalitionsvertrag in Hessen

„Wo bleiben die Ideen zur Stärkung der beruflichen Bildung?“

Einzelne Aussagen des Vertrags zum Bereich berufsbildende Schulen hören sich erst mal gut an, aber zumeist fehlen Aussagen zur konkreten Umsetzung. Andere Aussagen sehe ich kritisch und viele Forderungen der GEW tauchen nicht auf. Die duale Ausbildung soll gestärkt werden. Dies ist zu begrüßen, doch dazu gehört mehr als eine „breit angelegte Informationskampagne“.

Die Aussagen zur beruflichen Bildung befassen sich zur Hälfte mit dem Thema Fachklassenstandorte. Die Zusagen zur Sicherung der Berufsschulstandorte sind als ein Erfolg der Initiativen der GEW zu werten. Schwierig wird es mit der Aussage, dass Landes- und Bezirksfachklassen vorwiegend im ländlichen Raum an den Kreisberufsschulen gebildet werden sollen. Um dies umsetzen, muss auch auf dem Land die notwendige Infrastruktur geschaffen werden. Dazu gehören Wohnheime für Auszubildende und Angebote zur Freizeitbetreuung. Darüber hinaus muss überlegt werden, wie die städtischen Berufsschulen ebenfalls gefördert werden und wie man mit dem betroffenen Personal sozialverträglich umgeht. Wichtig ist, dass dies, wie im Vertrag versprochen, „gemeinsam mit den Kammern und den Berufsverbänden (Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften)“ erfolgt. Die Zusammenlegung von Fachklassenstandorten ist zweifellos mit Einsparungen verbunden. Davon ist im Koalitionsvertrag nichts zu lesen. Deshalb ist das Gerede von Qualitätsverbesserungen in diesem Zusammenhang scheinheilig. Die Aussage aus der schwarz-grünen Koalitionsvereinbarung von 2013, dass die eingesparten Mittel im System bleiben, fehlt in der Neuauflage von 2018. Erst dann ließe sich unter Umständen eine Qualitätsverbesserung erzielen.

Zum Übergang von der Schule in den Beruf enthält der Vertrag fast nur Allgemeinplätze. Die neue „Berufsfachschule zum Übergang in Ausbildung“ (BÜA) soll „als Erfolgsmodell“ ausgebaut werden. Wie das erfolgen soll, erfährt man nicht. Fehlanzeige ist auch bei den Forderungen der BÜA-Schulen nach einer auskömmlichen Stellenzuweisung und nach zusätzlichen Stellen zur sozialpädagogischen Unterstützung. Neue Produktionsschulen sollen zwar möglich werden, aber lediglich beim Sozialministerium verankert sein. Hier hat sich im Verständnis dessen, was Produktionsschulen ausmacht, anscheinend das weiterhin CDU-geführte Kultusministerium gegen die Grünen durchgesetzt. Produktionsschulen sind Bildungseinrichtungen und somit nach meiner Auffassung beim Kultusministerium zu verankern. Lächerlich wird es bei der Aussage, dass zur Optimierung des Übergansprozesses das Programm „Joblinge“ fortgesetzt werden soll. Dieses Programm kennt fast niemand, und es wird von weniger als 100 Jugendlichen pro Jahr durchlaufen.

Zu den weiteren Schulformen der beruflichen Schulen gibt es nur die Aussage, dass die Stundentafel der Fachoberschule in Deutsch, Mathematik und Englisch erweitert werden soll. Auch das entspricht den Forderungen der GEW und ist auch als ihr Erfolg anzusehen. Festlegungen, in welchen Jahrgängen und in welchem Umfang „eine Erweiterung der Stundentafel“ vorgesehen ist, findet man nicht.

Die GEW vermisst außerdem Aussagen zur dringend notwendigen Neugestaltung und zum Ausbau der Fortbildung für Lehrkräfte im beruflichen Bereich und zu den dafür notwendigen Mitteln.

Zum Mangel an ausgebildeten Lehrkräften in den berufsbildenden Schulen, der bereits seit Jahrzehnten bekannt ist, wird im Wesentlichen auf Quereinstiegsprogramme verwiesen. Neu ist die Aussage, dass in Mangellehrämtern bzw. Mangelfächern mit finanziellen Anreizen gearbeitet werden soll. Die Landesregierung will für den Bereich der beruflichen Schulen „mit Angeboten der Privatwirtschaft konkurrieren“. Die genannten Stipendien werden hier angesichts dessen, was in den Mangelbereichen in der Privatwirtschaft gezahlt wird, nicht ausreichen, um zusätzliche Menschen für den Schuldienst zu motivieren.

Während in dem vorhergehenden Koalitionsvertrag noch Aussagen zur Qualifizierung von bereits tätigen Lehrkräften ohne Lehramt an berufsbildenden Schulen zu finden waren, fehlen diese hier gänzlich. Auch die dringend gebotene Schaffung der Möglichkeit, dass arbeitstechnische Fachlehrerinnen und Fachlehrer in den höheren Dienst aufsteigen können, wurde noch im letzten Vertrag erwähnt und taucht hier nicht mehr auf.

Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrag am 20.12.2019 rühmte Ministerpräsident Bouffier (CDU), dass berufliche Bildung ein Schwerpunkt der neuen Landesregierung sein werde. Dies kann ich auch nach intensivem Studium des Vertrags nicht nachvollziehen. Ich sehe viel mehr die Gefahr, dass die berufliche Bildung vernachlässigt wird und als Sparschwein dient. Hier muss die GEW wachsam bleiben und sich gemeinsam mit möglichst vielen Partnern für eine echte Stärkung der beruflichen Bildung einsetzen.

Ralf Becker

Ralf Becker leitet gemeinsam mit Carsten Leimbach und Markus Heberling die Landesfachgruppe Berufliche Bildung der GEW Hessen.