Unterricht im Wechselmodell

Herausforderung auch für berufliche Schulen

Aus: Insider 4/2020

„Der Unterricht im Wechselmodell funktioniert wesentlich besser als im vollen Lockdown, weil wir die Schüler*innen jedes zweite Mal sehen und sie im persönlichen Kontakt unterstützen und Leistungen einfordern können.“, so die Einschätzung von Friedhelm Ernst, Lehrer und Personalratsvorsitzender an der Beruflichen Schule Groß Gerau, die seit dem 9. November im sogenannten Wechselmodell arbeitet. Dies bedeutet, dass circa 50% des Unterrichts in Präsenz stattfinden, die andere Hälfte in Form von Distanzunterricht oder vorsichtiger formuliert als Distanzlernen.

Bis zu dem drei Tage vor den hessischen Weihnachtsferien beginnenden Lockdown hielt das Land Hessen am Regelunterricht fest, ermöglichte Schulen aber für die Dauer der Pandemie im Rahmen des Programms „digitalgestützter Distanzunterricht“ ab der Klasse acht 25 % und in den Teilzeitklassen der Berufsschulen 50 % Digitalunterricht zu erteilen. Dies erfordert das Einverständnis aller betroffenen Schüler*innen bzw. deren Erziehungsberechtigter sowie eine aufwändige Antragsprozedur. Die Teilung von Lerngruppen ist dabei nicht vorgesehen. Nur wenige Schulen entschieden sich für dieses Programm, weil der mögliche Nutzen im Verhältnis zum Aufwand als zu gering eingeschätzt wurde. Z.B. entschied sich das Kollegium der Konrad-Adenauer-Schule im Main-Taunus-Kreis nach anfänglichem Interesse gegen den digitalgestützten Distanzunterricht. Eine Umfrage im Kollegium ergab jedoch Anfang Dezember, dass Wechselunterricht mit geteilten Klassen von der Mehrheit der Lehrkräfte befürwortet wird.

Formen von Wechselunterricht

Wechselunterricht kann auf unterschiedliche Weise organisiert werden. Dabei werden Lerngruppen mit mehr als 15 Personen in A- und B-Gruppen aufgeteilt. Kleine Gruppen z.B. im BZB müssen nicht geteilt werden, sondern erhalten wie bisher jeden Tag Präsenzunterricht. Bei der Aufteilung der Klassen sollte erfahrungsgemäß auf Wünsche und Freundschaften Rücksicht genommen werden. Dies fördert angesichts vieler Unsicherheiten der Lernenden, die sich unter den besonderen Bedingungen auf Prüfungen vorbereiten müssen, eine entspannte Atmosphäre und ist außerdem zur Vermeidung von Infektionen sinnvoll, weil befreundete Schüler*innen sich auch privat treffen. 

Möglich ist ein wochenweiser oder z.B. im Blockunterricht sogar zweiwöchiger Wechsel der A- und B-Gruppen bei gleichbleibendem Stundenplan oder auch ein tageweiser Wechsel. Je länger die Intervalle sind, umso mehr können, eine geringe Anzahl beruflicher und privater Kontakte vorausgesetzt, Ansteckungen vermieden werden. Kurze Intervalle z.B. beim täglichen Wechsel erhalten jedoch einen regelmäßigen Kontakt zwischen Lehrpersonen und Lernenden und verlangen den Schüler*innen weniger Selbstständigkeit ab. In der Stauffenbergschule Frankfurt wurde ein anderer Weg gewählt. Dort ist jeweils die Hälfte der Klassen im vollständigen Klassenverband anwesend. Jede Klasse wird auf zwei durch eine Tür verbundene Räume verteilt (FR vom 03.12.2020). Der Wechselunterricht ermöglicht in jedem Fall, dass im Klassenraum mehr Abstand gehalten werden kann, die Räume aufgrund der geringeren Personenzahl leichter zu belüften sind, die Schulgebäude und die Verkehrsmittel auf dem Schulweg weniger voll sind und so Infektionsrisiken reduziert werden.

Lernen zu Hause oder im Betrieb

Für das Lernen zu Hause gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Friedhelm Ernst berichtet, dass an der beruflichen Schule Groß-Gerau Flexibilität besteht. Manche Lehrkräfte geben ihren Schüler*innen schriftliche Aufgabenpakete mit, andere Lehrkräfte haben sich für die Übertragung ihres Unterrichts im Livestream entschieden. Im Nachmittagsunterricht hält sich in manchen Klassen die B-Gruppe in einem eigenen Raum im Schulgebäude auf und verfolgt dort auf der Leinwand die im Nebenraum gefilmte Tafel. Lehrmaterialien werden digital über eine Lernplattform, in Groß-Gerau Microsoft Teams, zur Verfügung gestellt. Wenn Unterricht gefilmt werden soll, sind Einverständniserklärungen aller Schüler*innen bzw. der Erziehungsberechtigten Voraussetzung sowie die Erklärung, dass der Unterricht nicht aufgezeichnet wird. Das Hessische Kultusministerium hält eine Einverständniserklärung seitens der Lehrkräfte nicht für erforderlich, diese könnten zum Unterricht per Livestream angewiesen werden. Die GEW hält solche das Persönlichkeitsrecht der Lehrkraft missachtende Anweisungen für rechtswidrig und geht juristisch dagegen vor.

Für Friedhelm Ernst als EDV-Lehrer ist der Einsatz der schulischen Lernplattform seit langem selbstverständlich. Auszubildende sowie Schüler*innen des Beruflichen Gymnasiums und der Fachoberschule erwerben dabei Kompetenzen, die sie in der Ausbildung und im Studium brauchen werden. In seinem zweiten Fach, im Physikunterricht hat er z.B. ein Experiment mit der Handykamera gefilmt und das Video hochgeladen. So kann das Experiment zur genaueren Auswertung wiederholt beobachtet und zur Wiederholung und Prüfungsvorbereitung erneut genutzt werden.

Ihm ist wichtig, dass die Lehrkräfte selbst über die Arbeitsweise entscheiden, die für ihren Unterricht passend ist. Der Schulpersonalrat achtet darauf, dass an der Groß-Gerauer Berufsschule keine Lehrkraft unter Druck gerät, sich gegen ihren Willen im Unterricht zu filmen.

Christoph Krekel, Abteilungsleiter für die technischen Ausbildungsberufe und die Fachoberschule an der Beruflichen Schule Groß-Gerau, hat dafür gesorgt, dass die Auszubildenden im Wechselunterricht keine Lernzeit verlieren und z.B. die angehenden KFZ-Mechatroniker*innen während der Reifenwechselsaison nicht von den Betrieben vereinnahmt werden, sondern zu Hause und in manchen Fällen sogar im Betrieb für die Berufsschule lernen können. Er nennt ein positives Beispiel aus einem Elektrobetrieb, der einem Auszubildenden ermöglicht hat, im Büro des Betriebes den PC zum Lernen zu benutzen. Die Anwesenheit im Betrieb gibt diesem Schüler Struktur. Er wird an den Berufsschultagen nicht zur Arbeit herangezogen, sondern erhält von seinem Ausbilder Unterstützung beim Lernen.

Manchmal sind individuelle Lösungen gefragt. Wenn in einer geteilten Lerngruppe weniger als 15 Lernende sind, nehmen in Groß-Gerau Schüler*innen, die besonderer Unterstützung bedürfen oder denen zu Hause die technische Ausstattung fehlt, am Präsenzunterricht der A- und B-Gruppe teil. Sie erledigen im Unterricht der B-Gruppe die häuslichen Aufgaben mit Unterstützung der Lehrkraft oder wiederholen  Lerninhalte. Besonders für lernschwache Schüler*innen ist der Distanzunterricht oft eine große Hürde.

Bedingungen für gelungenen Distanzunterricht

Organisatorische und rechtliche Voraussetzungen, Kompetenzen der Lehrenden sowie technische Voraussetzungen müssen gegeben sein. Die berufliche Schule Groß-Gerau hat vom Schulträger mittlerweile 200 Leihgeräte für Schüler*innen erhalten, so dass alle, die über kein eigenes Gerät verfügen, versorgt werden konnten. Die Geräte wurden der Schule jedoch ohne Software geliefert. Die Schule konnte eine studentische Hilfskraft einstellen, die die Leihgeräte einrichtete. Die berufliche Schule, an der Fachleute für EDV und Technik lehren, ist gegenüber anderen Schulen im Vorteil. Christoph Krekel weist jedoch darauf hin, dass die Arbeitszeit von Lehrkräften mit einzelnen Stunden aus dem Schuldeputat für den technischen Support nicht ausreicht. An einer großen Schule müssten ein bis zwei Techniker*innen fest angestellt werden, um professionellen Support zu gewährleisten.

Verknüpfung Distanz- mit Präsenzunterricht

Distanzunterricht kann auf unterschiedliche Weise mit Präsenzunterricht verknüpft werden. Auf die Darbietung neuer Inhalte durch Lernvideos oder Informationstexte kann eine Präsenzphase folgen, in der offene Fragen geklärt werden und mit Unterstützung der Lehrkraft Gelerntes geübt, wiederholt und angewendet wird. Oder umgekehrt kann im Präsenzunterricht Erlerntes im anschließenden Distanzunterricht geübt und wiederholt werden. Mit Hilfe von Videokonferenzen sind Gruppenarbeitsphasen im kooperativen Lernen möglich. Die Verknüpfung der unterschiedlichen Lernphasen ist eine der Hauptaufgaben beim Übergang zum Wechselunterricht. Vorhandene Unterrichtsmaterialien und -konzepte können nicht eins zu eins übernommen werden. Dies bedeutet besonders zu Anfang erhebliche Mehrarbeit für die Lehrenden.

Von der Werner-Heisenbergschule Rüsselsheim berichtet Martin Jöckel, dass Schülerinnen und Schüler sich im Distanzunterricht häufig überlastet fühlen und dass sie sich eine einheitliche Arbeitsstruktur seitens der Lehrkräfte wünschen. Lehrkräfte sehen sich durch das Wechselmodell zeitlich und organisatorisch mehr gefordert als im normalen Unterricht oder in einem reinen Distanzmodell.

Bisherige Rückmeldungen zum Wechselunterricht zeigen, dass sowohl Lehrkräfte als auch Schüler*innen Präsenzunterricht den Vorzug geben und dass Wechselunterricht keinesfalls die partielle Abschaffung des Lehrberufes, sondern im Gegenteil Mehrarbeit bedeutet. Während der Pandemie ist der Wechselunterricht eine Notlösung. Eine der positiven Erfahrungen ist die Arbeit in kleinen Lerngruppen, in denen intensivere Kommunikation sowie individuelle Unterstützung besser möglich sind. Langfristig sollten die gewonnenen Erfahrungen ausgewertet werden und zur Bereicherung und Weiterentwicklung des Unterrichts sowohl methodisch als auch im Hinblick auf digitale Kompetenzen als Unterrichtsinhalt beitragen.

Katja Pohl
Konrad-Adenauer-Schule Kriftel