Mehr Licht als Schatten

Neuauflage des Bündnisses für Ausbildung in Hessen

HLZ 1/2020

Am 17. Januar 2020 soll es soweit sein: Das in einem langen Prozess entwickelte Konzeptpapier des Bündnisses für Ausbildung soll von den „Spitzen“ der beteiligten Organisationen und Ministerien unterzeichnet werden. Es ist einerseits eine Fortsetzung des bereits seit vielen Jahren bestehenden Bündnisses Ausbildung, andererseits in vielen Teilen eine echte Neuauflage. Viele Maßnahmen und Vereinbarungen aus den Bereichen Berufsorientierung, Berufsvorbereitung, Unterstützung beim Übergang in die Ausbildung sowie in der Ausbildung und Förder- und Weiterbildungsmaßnahmen werden vom Bündnis fortgeschrieben, aber auch um neue Aspekte ergänzt.

Verhandlungen und Kompromisse

Gegenüber der vorherigen Bündnisperiode haben sich Bedingungen entscheidend verändert: Die Arbeitgeber müssen sich darum bemühen, Ausbildungsstellen auch tatsächlich zu besetzen. Sie müssen sich neue Konzepte überlegen, um attraktive Ausbildungswege aufzuzeigen, und die Ausbildungsqualität steigern, um Jugendliche in der Ausbildung zu halten. Das öffnete den Dialog für die Gewerkschaften. So zeigt unter anderem der Ausbildungsreport des DGB auf, dass in vielen Branchen schlechte Ausbildungsbedingungen und hohe Abbruchquoten in Verbindung stehen. Die Forderungen der Gewerkschaften nach hoher Qualität in der Ausbildung sind nicht neu, aber jetzt sind die Chancen, diese Forderungen bei Land und Arbeitgebern auch durchzusetzen, gestiegen.

Für die Neuauflage des Bündnisses hatten der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften ein breit angelegtes Forderungspapier entwickelt und in den insgesamt elf Sitzungen dafür gestritten. Alle Seiten mussten in den Verhandlungen zurückstecken und Kompromisse schließen. Der Verzicht auf Schuldzuweisungen an vermeintlich faule und dumme Jugendliche, unwillige Unternehmer oder unfähige Ministerien führte zu einem positiven Verhandlungsklima. Dabei rückten vor allem Fördermaßnahmen für beeinträchtigte und benachteiligte Jugendliche in den Mittelpunkt, um „die Ausbildungschancen von Schülerinnen und Schülern mit Hauptschulabschluss“ zu stärken: „Die besonderen Unterstützungsbedarfe von jungen Menschen mit schwierigen Startvoraussetzungen sollen mit einer besser angepassten Förderung Berücksichtigung finden. Hierzu gehört auch eine eng mit den relevanten berufsfachlichen Inhalten verknüpfte vorbereitende bzw. ausbildungsbegleitende Deutschförderung. Unternehmen, die zur Ausbildung von Jugendlichen mit größerem Unterstützungsbedarf bereit sind, sollen gefördert werden.“

Der Begriff „Ausbildungsreife“ kommt in dem Bündnispapier nicht mehr vor. Er wird vor allem vom Unternehmerlager gerne genutzt, um den Jugendlichen die Schuld zuzuschieben, wenn diese keinen Ausbildungsplatz finden oder wenn aufgrund angeblich ungeeigneter Bewerberinnen und Bewerber nicht genug Azubis eingestellt werden können. Der Verzicht auf diesen Kampfbegriff ist vor allem unserem Plädoyer für Jugendliche mit großen Startschwierigkeiten zu verdanken. Vielfältige Maßnahmen sollen die Jugendlichen unterstützen, die benachteiligt oder diskriminiert werden, sei es aufgrund von Sprache, Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, Krankheit und psychosozialen Probleme oder wegen geringen Sozialkapitals und fehlender Unterstützung durch die Eltern.

Auch in den folgenden Punkten haben sich die gute Kooperation der DGB-Gewerkschaften und unsere Hartnäckigkeit ausgezahlt: Wir konnten durchsetzen, dass das Fach Arbeitslehre (AL) gestärkt werden soll. Um die Ausbildung der AL-Lehrkräfte zu verbessern, soll die Lehrerausbildung so ausgestaltet werden, dass der Bedarf an den Schulen gedeckt werden kann. Mit der Forderung, die mangelnden Kapazitäten für die AL-Lehrkräfteausbildung für die Sekundarstufe I dezidiert zu benennen und einen Ausbau gerade auch in Frankfurt einzufordern, konnten wir uns allerdings nicht durchsetzen.

Die Überschrift „Berufliche Orientie­rung zielgerichtet weiter entwickeln“ kann als Öffnung angesehen werden, um, wie von den Gewerkschaften gefordert, eine Lebens- und Arbeitsweltweltorientierung an die Stelle einer ausschließlich auf die Berufswahl gerichteten „Berufsorientierung“ zu setzen. Um Jugendliche erfolgreich an die Arbeits- und Berufswelt heranzuführen, müssen Unterrichtsinhalte und -projekte an den Lebenswelten und Lebenswirklichkeiten der Jugendlichen ansetzen.

Auch bei den Kompetenzfeststellungsverfahren konnten wir eine Öffnung durchsetzen. Die Formulierung, dass sie „in der Regel in der 7. Klasse“ durchgeführt werden sollen, gibt den Schulen, die dies wünschen, die Möglichkeit, sie erst in Klasse 8 durchzuführen. Außerdem ist die einseitige Festlegung auf das Verfahren Kompo 7 entfallen, so dass Schulen auch andere Verfahren wählen können. Ungeklärt geblieben ist allerdings die Finanzierungsfrage. Wir fordern weiterhin die Übernahme der Kosten durch das Land.

Keine Ausbildungsplatzgarantie

Die von den Gewerkschaften geforderte Ausbildungsplatzgarantie stößt bei der Unternehmerseite und bei der Landesregierung weiter auf hartnäckige Ablehnung. Allerdings streben die Bündnispartner an, dass alle Jugendlichen, die dies wollen, einen betrieblichen Ausbildungsplatz finden und Betriebe ihre Ausbildungsstellen besetzen können. Ausbildungsbetriebe sollen dabei unterstützt werden, deutlich mehr Ausbildungsstellen unabhängig vom Schulabschluss zu besetzen: „Ausbildungsbetriebe sollen in der Ausbildung gehalten und Betriebe, die sich zurückgezogen haben, wieder als Ausbildungsbetrieb gewonnen werden.“

Hart debattiert wurde die Wiedereinführung und Finanzierung der Berufseinstiegsbegleitung. Vor allem die Bundesagentur für Arbeit und die Gewerkschaften wollten die flächendeckende Wiedereinführung einer individuellen Begleitung beim Übergang von der Schule in den Beruf. Rückendeckung gab es auch von den Arbeitgebern. Das Land stellte sich hier quer, sodass letztendlich eine eher unverbindliche Formulierung herauskam: „Die Landregierung prüft, ob und wie die Begleitung am Übergang von Schule zu Beruf unter Einbeziehung der regionalen Netzwerke verbessert werden kann.“

Die Forderung der Gewerkschaften, Jugendberufsagenturen nach dem Hamburger Modell einzuführen, wurde sowohl von der kommunalen Seite als auch aus den Ministerien abgelehnt, die sich nicht dem angeblich damit verbundenen Diktat der Agentur für Arbeit unterwerfen möchten. Wir konnten dennoch einige Verpflichtungen zur rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit durchsetzen.
So streben die Bündnispartner nach dem Wortlaut des Papiers eine Intensivierung der Zusammenarbeit „unter Beachtung der regionenspezifischen Anforderungen und Bedarfe“ an: „Die Zusammenarbeit der Partner bei der Entwicklung, Abstimmung und Umsetzung von Angeboten für die Berufliche Orientierung, den Übergangsbereich und die ausbildungsbegleitende Unterstützung in der Region wird im Rahmen der regionalen OloV-Steuerungsgruppen intensiviert.“

Anders als im letzten Bündnispapier findet man in der Neuauflage keine konkreten Zahlen zur Reduzierung des Übergangssystems. Bei Veränderungen müsse man auch die Gründe analysieren und ernstnehmen, weshalb Jugendliche dort landen: „Die Gründe, die Jugendliche zunächst auf den Übergangsbereich verweisen, sind mannigfaltig und müssen von allen Akteuren des Übergangsbereichs berücksichtigt werden, um eine spätere berufliche Eingliederung zu ermöglichen. Bedeutsam sind u.a. Benachteiligungen aufgrund von Herkunft, Geschlecht und sexueller Orientierung, sprachliche oder schulische Benachteiligungen, mangelnde berufliche Orientierung, psychosoziale Probleme und jugendspezifische Entwicklungsprozesse. Das Angebot ist transparent und systematisiert zu gestalten.“

Auch die folgenden Vereinbarungen sind aus unserer Sicht positiv zu bewerten: Produktionsschulen werden im Rahmen des Programms „Qualifizierung und Beschäftigung junger Menschen“ gefördert.
Das Schüler- und Azubiticket wird vom Land weiter gefördert.

Das Land will prüfen, „wie die bestehenden Ansätze zur Wohnförderung für Auszubildende aus Landes- und Bundesmitteln erweitert werden können“. Die Qualifizierte Ausbildungsbegleitung in Betrieb und Berufsschule (QuABB) wird fortgeführt. Äquivalent gibt es die Verpflichtung, Geflüchtete stärker zu fördern. So soll der zweite Berufsschultag zur zusätzlichen Deutschförderung von Auszubildenden mit Zuwanderungs- oder Fluchthintergrund weiterhin flächendeckend ermöglicht werden.

Ausbildungsbegleitende Hilfen (abH) und assistierte Ausbildung (AsA) sollen weiterentwickelt werden, um Ausbildungsabbrüchen verstärkt entgegenzuwirken. An den berufsbildenden Schulen sollen die Lernortkooperation mit den Betrieben intensiviert, die Berufsschul­standorte bedarfsgerecht entwickelt und der Nachwuchs an Berufsschullehrkräften sichergestellt werden. Die Pläne des Kultusministeriums, die Gewerkschaften nicht mehr an der Festlegung der schulträgerübergreifenden Fachklassenstandorte zu beteiligen, konnten mit Unterstützung der Arbeitgeberseite abgewehrt werden. Die Arbeitnehmervertretungen können zukünftig zwei Vertreterinnen und Vertreter in den OloV-Steuerungskreis entsenden. Verabredungen zu OloV wird es also zukünftig nicht mehr hinter unserem Rücken geben.

Duales Studium

Eine weitere Forderung der Gewerkschaften betraf die Praxisphasen im Dualen Studium. Durch die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes ist die Verpflichtung zu Rahmenvereinbarungen entfallen, so dass wir eine Regelung auf Landesebene durchsetzen wollten. Schließlich haben wir uns auf den folgenden Prüfauftrag an das Land eingelassen: „Das Land prüft, ob auf Basis der Empfehlungen, die auf Bundesebene entwickelt werden sollen, ergänzende Regelungen auf Landesebene zur Sicherung der Qualität der Praxisphasen in praxisintegrierten dualen Studiengängen notwendig sind, und setzt diese bei Bedarf um.“

Unter Haushaltsvorbehalt

Trotz aller Erfolge: Die schwarz-grüne Landesregierung hat alle Umsetzungen unter Haushaltsvorbehalt gestellt. Ob und wie unsere Forderungen umgesetzt werden, hängt schließlich doch von dem politischen Willen des Landes ab. Aber: In der Bilanz sehen wir das neue Bündnis Ausbildung überwiegend positiv. Es bietet eine neue Chance, gewerkschaftliche Forderungen im Land Hessen umzusetzen.

Helena Müller, Christoph Baumann

Helena Müller leitet die Abteilung Bildung, berufliche Bildung, Frauen und Gleichstellung des DGB Hessen-Thüringen. Christoph Baumann ist Mitglied im Vorsitzendenteam des Referats Schule und Bildung der GEW Hessen. Auch Ralf Becker (GEW) ist Teilnehmer der Bündnissitzungen.


Bündnis für Ausbildung

Im Hessischen Bündnis für Ausbildung sind die folgenden „Bänke“ vertreten: die Arbeitnehmervertretungen (DGB, IG BAU, GEW), die Arbeitgebervertretungen (VHU, IHK, HWK) sowie die Vertreterinnen und Vertreter der hessischen Ministerien für Kultus, Wirtschaft, Soziales und Hochschule, der Regionaldirektion Hessen der Bundesanstalt für Arbeit und der Kommunalen Spitzenverbände. Das erste Bündnispapier für die Jahre 2015 bis 2019 stand jetzt auf dem Prüfstand.

Bildunterschriften

Den Ausbildungsreport der DGB-Jugend gibt jährlich Auskunft über Entwicklungen, Probleme und Forderungen für den Bereich der dualen Ausbildung (www.dgb.de > Suche: Ausbildungsreport).

Helena Müller (DGB), Christoph Baumann (GEW) und andere Kolleginnen und Kollegen vertreten den DGB im Bündnis Ausbildung.