Stellungnahme der GEW Hessen zur geplanten Neuregelung der Lerngruppen mit erhöhtem Praxisbezug

31. Januar 2021 an das Hessische Kultusministerium

Hiermit nimmt die GEW Hessen Stellung zum vorgelegten Entwurf einer Verordnung zur Neuregelung der Lerngruppen mit erhöhtem Praxisbezug an allgemeinbildenden Schulen sowie zum Entwurf des aktualisierten ausführenden Erlasses. Bezüglich des Anhörungsverfahrens bemängeln wir die ausgesprochen knapp bemessene Zeitspanne zur Vorlage einer Stellungnahme. Die Einladung zu dieser wurde seitens des Hessischen Kultusministeriums am 11. Januar 2022 versendet, die Einreichung wurde spätestens zum 31. Januar erbeten. Somit blieben nicht einmal drei Wochen Zeit, was für eine sorgefältige Überprüfung des Entwurfs deutlich zu knapp bemessen ist.

Die GEW Hessen bekräftigt ihre grundsätzliche Position, die sie bereits 2015 zu den Vorgängerprojekten SchuB („Lernen und Arbeiten in Schule und Betrieb“) und PuSch („Praxis und Schule“) formuliert hat:

„Die GEW Hessen setzt sich für ein Schulwesen ein, in dem alle Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren Fähigkeiten optimal gefördert werden. Oberster Grundsatz für eine solche bildungspolitische Orientierung ist: Alle gehören dazu, alle sind willkommen, niemand darf ausgegrenzt und beschämt werden. Die Heterogenität von Lerngruppen ist ein nicht hoch genug einzuschätzendes Moment von Bildung, wenn im Kontext angemessener Gruppengrößen und ausreichender Zeit zuallererst die Potenziale der Lerngruppe, d.h. aller Mitschülerinnen und Mitschüler, für den Lernprozess jeder Schülerin und jedes Schülers genutzt werden können. Grundsätzlich plädiert die GEW Hessen für eine an Prophylaxe ausgerichtete Bildungspolitik an Stelle einer Politik zur Linderung der gravierendsten negativen Folgen falscher Grundsatzentscheidungen.“

Rückblickend lässt sich feststellen, dass eine Maßnahme wie PuSch im Rahmen des in Hessen praktizierten gegliederten Schulsystems Erfolge vorweisen kann, weil sie vergleichsweise gute Rahmenbedingungen – relativ kleine Lerngruppen, gute Lehrkräfteversorgung und intensive zusätzliche Betreuung durch Sozialpädagoginnen und -pädagogen – sicherstellt. So ist es gelungen, die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die einen Hauptschulabschluss erreichen, deutlich zu steigern.

Die GEW begrüßt die vorgesehene Verkleinerung der Lerngruppen mit erhöhtem Praxisbezug, indem die Mindestzahl der Schülerinnen und Schüler von 13 auf 10 und die Höchstzahl von 18 auf 16 reduziert wird. Auch die vorgesehene umfangreiche sozialpädagogische Begleitung im Umfang von einer Stelle je Klasse heißen wir gut. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass sich in der Schulpraxis die Gewinnung der benötigten Fachkräfte aufgrund des Mangels in den sozialpädagogischen Berufen ausgesprochen schwierig gestaltet. Daher muss sichergestellt werden, dass hierzu nicht beispielsweise die an einer Schule beschäftigte UBUS-Kraft herangezogen wird.

Nach unserer Einschätzung gibt es insgesamt deutlich mehr Schülerinnen und Schüler, die einer gezielten Förderung zum Erreichen des Hauptschulabschlusses bedürfen, als es Angebote für diese Zielgruppe gibt. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass mindestens eine parallele Regelklasse vorhanden sein muss, so dass an vielen Schulen – trotz bestehender Bedarfslage – die Einrichtung einer Lerngruppe mit erhöhtem Praxisbezug nicht in Frage kommt.

Der Ansatz des 2015 ausgelaufenen Vorgängerprogramms von PuSch war es, den Schulstoff des 9. Hauptschuljahres auf zwei Jahre zu verteilen und ihn um Berufspraktika anzureichern. Dies war in unseren Augen ein zielführender Ansatz. Der mit der Einführung von PuSch eingeschlagene Weg soll nun jedoch fortgeführt werden, es wird also weiterhin ein mehr an betrieblicher Praxis in das ohnehin anspruchsvolle 9. Schuljahr gepackt, ohne dass sich die Schulbesuchszeit insgesamt verlängert. Bei einer zweijährigen Durchführung gehen die Lerngruppen mit erhöhtem Praxisbezug sogar bereits in der Jahrgangsstufe 8 deutlich auf Kosten des Fachunterrichts. Die vorgesehene Stundenzahl insbesondere in den Naturwissenschaften fällt dann deutlich geringer aus. Dies ist kontraproduktiv, da gute Kenntnisse in diesen gerade in den typischerweise angestrebten Berufsfeldern von elementarer Bedeutung sind. Ähnliches gilt für die Reduktion des Bereichs Gesellschaftslehre auf zwei Stunden. Die hohe gesellschaftliche Bedeutung, die diesen beiden Feldern aktuell zukommt, muss sicherlich nicht noch einmal extra aufgeführt werden!

Für integrierte Gesamtschulen steht die Einrichtung von Lerngruppen mit erhöhtem Praxisbezug in einem Spannungsverhältnis zu deren integrativen Konzepten. Eine Verpflichtung wäre ein massiver Eingriff in deren integratives Verständnis. Die Einrichtung kann daher nur nach pädagogischer Einzelfallentscheidung durch die schulischen Gremien beschlossen werden – sie sollte keinesfalls regulärer Schulkonzeptbestandteil werden. Auch hier soll an die SchuB-Maßnahme bis 2015 erinnert werden, die ein additives Förderkonzept ermöglichte, so dass Schülerinnen und Schüler in ihren angestammten Lerngruppen bleiben konnten.

Die GEW Hessen lehnt eine ersatzlose Aufgabe der PuSch B Klassen an berufsbildenden Schulen ab. Zwar fokussieren sich die derzeitigen Aktivitäten auf BüA, jedoch handelt es sich dabei immer noch um einen Modellversuch. Der Zugang zu BüA bleibt Schülerinnen und Schülern verwehrt, die älter als 18 sind. Im Rahmen von PuSch B werden zum Teil auch noch 19-Jährige beschult. Weiterhin wechseln auch ehemalige BüA-Schülerinnen und Schüler in PuSch B. Dies geschieht dann, wenn sie nach dem ersten Jahr BüA abgehen müssen und keinen Ausbildungsplatz gefunden haben.

Wir möchten darüber hinaus bezüglich des Erlassentwurfs auf folgende Probleme hinweisen:

  • Für Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache, die aus einer Intensivmaßnahme in eine Lerngruppe mit erhöhtem Praxisbezug übergehen, ist eine Fortsetzung der Sprachförderung sicherzustellen.
  • Insbesondere in den Gesamtschulen sollte es keinesfalls zu einer Ausweitung der Differenzierung nach vorne, also ab Jahrgang 8 kommen. Vielmehr sollte die Bildung dieser Lerngruppen auf den Jahrgang 9 beschränkt bleiben.
  • Die Öffnung für Schülerinnen und Schüler mit einem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf darf nicht dazu führen, dass sich die Lerngruppen mit erhöhtem Praxisbezug zu einem Auffangbecken primär für diese Gruppe entwickeln, denn dies würde dem Ziel eines inklusiven Schulsystems widersprechen.

Für eine Rückmeldung, inwiefern Sie unsere Anregungen berücksichtigen, wären wir dankbar.