Pakt für ökologische Bildung

Der ökologische Umbau der Schule ist überfällig

„Dem Klimawandel entgegenzutreten, heißt, sich hohe Ziele zu stecken und diese ambitioniert zu verfolgen.“ (Ministerpräsident Bouffier, KLIMAZIN 1/2018; co2.hessen-nachhaltig.de)

Bislang haben die streikenden Schülerinnen und Schüler nur am Rande Forderungen an die Bildungspolitik gerichtet. Zu Recht: Schnelle Änderungen in der Klimapolitik können nicht von Bildungspolitikern durchgesetzt werden.

Die Streikenden betreiben die Mobilisierung der Politik, indem sie das Thema Generationengerechtigkeit auf die Tagesordnung gesetzt haben - auch durch die kalkulierte Regelverletzung als Basis ihrer Proteste. Freitags beenden die Protestierenden den Unterricht früher, um danach mehrere Schulstunden lang im Einklang mit grundlegenden Erziehungszielen und Verfassungsartikeln (Artikel 2, 5, 8 und 20a GG) und unter Berufung auf einen übergesetzlichen ökologischen Notstand für eine konsequente Umsetzung international vereinbarter Klimaziele und gegen business as usual in Politik und Gesellschaft zu demonstrieren. Die oft abwiegelnd gemeinte Forderung von Kritikern, das Thema verstärkt im Unterricht zu behandeln, sollte man konstruktiv-kritisch aufgreifen – schon deswegen, weil es nicht zweitrangig ist, was und wie in den Schulen gelernt wird.

Stiefkind der Bildungspolitik

Ökologische Bildung (offiziell: Bildung für nachhaltige Entwicklung - BNE) steht spätestens seit der „Rio-Erklärung“ von 1992 international und national im Pflichtkatalog von Bildungsprogrammen. In der Schulwirklichkeit sind oft nur Schwundformen davon angekommen oder Modellversuche, die selten in Serie gehen und bisher kaum Breitenwirkung erzeugen. Hätte man seit Anfang der 1990er Jahre unsere Schulen zu Schulen des Umwelt- und Klimaschutzes umgebaut, dann wäre unsere „Unfähigkeit zur Zukunftsbewältigung“ (Günther Anders) weniger stark ausgeprägt.

Die gute Nachricht: Es ist gar nicht notwendig, die bildungspolitische Reset-Taste zu drücken. Es reichen ein Systemcheck mit anschließender Revitalisierung von oft nur brach liegenden Ressourcen und der notwendige Ausbau der Ressourcen. Die föderale, regionale und lokale, aber zersplitterte Vielfalt kann, reorganisiert, zur Stärke werden. Grundlegend für eine erfolgreiche ökologische Bildung sind ein ökologischer Schulbau, in dem ein ökologischer Alltag praktiziert wird, fächerübergreifendes, handlungsorientiertes Lernen in Projekten zur Umweltbildung, und – last, but not least - eine ausreichende Finanzierung, die eine kontinuierliche, flächendeckende und qua­litativ hochwertige Arbeit erst ermöglicht.

Eine ökologische Schule ist im Idealfall gebaut aus ökologischen Baumaterialien, hat einen wabenförmigen Grundriss, gestaltet Klassenräume offen für selbstorganisiertes Lernen, öffnet sich nach außen zur Gemeinde oder Stadt (z. B. durch Zusammenarbeit mit der Lokalen Agenda 21 oder mit Hochschulen). Sie sucht vielfältige Naturerfahrungen, ausgehend etwa vom schuleigenen Biotop, bietet ein ökologisches und regionales Mittagessen und praktiziert insgesamt einen ökologischen Alltag zur Einübung eines nachhaltigen Lebensstils, wie es schon viele Schulen tun, etwa mit Initiativen zur Mülltrennung. Dabei sollten möglichst viele dieser Elemente umgesetzt sein, da sonst der nicht nachhaltige Alltag die hochgesteckten Ziele dementiert.

Das Lernen erfolgt idealerweise nicht im Rahmen eines neuen Faches „Nachhaltigkeit“ oder „Umwelt und Klima“, sondern fächerübergreifend – etwa zwischen natur- und geisteswissenschaftlichen Fächern. Vernetzte Probleme und Risiken können nur durch vernetzende Analysen und die Vernetzung verschiedener Akteure erkannt werden. Die Konzepte dafür sind lange vorhanden (F. Vester, Syndromansatz), so wie vieles nicht neu ist und auch längst praktiziert wird, aber oft in Zeitnischen wie vor den Sommerferien, getragen von Idealisten, unkoordiniert und als Ausnahmefall, da der Lehrplan ruft, die Stofffülle drängt.
Im Bereich der hessischen Landesregierung ist das Umweltministerium federführend zuständig für die Förderung der 2017 auch im Hessischen Schulgesetz verankerten Bildung für nachhaltige Entwicklung (www.umwelt-hessen.de). Ein Runder Tisch mit 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmern berät über Aktivitäten auf Landesebene.

Beispiele aus Hessen

Zu den vier Teilprojekten der Hessischen Bildungsinitiative Nachhaltigkeit, die zusammen rund eine Million Euro kosten, gehören
das „Schuljahr der Nachhaltigkeit“ (Modellprojekt an 22 Grundschulen in sechs Modellregionen; Laufzeit: Januar 2014 bis Februar 2016), regionale Netzwerke BNE (für acht, bald neun Regionen, mit je eigener Homepage; siehe: www.anu-hessen.de) Bildungsmaßnahmen zum Klimaschutz für weiterführende Schulen und die Nawa-Tour (Unterrichtseinheit zum Thema nachwachsende Rohstoffe).

Die Initiative zum „Schuljahr der Nachhaltigkeit“ wurde hessenweit über 40-mal präsentiert; alle Initiativen werden ausgewertet und sollen den viel beschworenen Schritt „vom Modell zur Struktur“ durchlaufen. Wettbewerbe und Auszeichnungen von Schulen („Hessische Umweltschule“) fördern die ökologische Bildung ebenso wie die elf regionalen Umweltbildungszentren von Nord- bis Südhessen. Beispielhaft soll dafür das vielfach ausgezeichnete Ökologische Schullandheim Licherode genannt werden (umweltbildungszentrum-licherode.de). Weitere Informationen findet man unter www.hessen-nachhaltig.de (Bildungsinitiative Nachhaltigkeit u.a.) und www.anu-hessen.de (Schuljahr der Nachhaltigkeit, Klimabildung u.a.).

Das Vorzeigeprojekt „Schuljahr der Nachhaltigkeit“ soll auf alle Grundschulen ausgeweitet werden. Das entspricht im Idealfall der Übertragung des Programms von 22 Grundschulen mit etwa 1.000 Schülerinnen und Schülern auf über 1.100 Schulen mit über 200.000 Kindern. Verbindliche Bestandteile sind die Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer und die Durchführung von 18 bis 20 Schulstunden pro Klasse. Diese Beispiele illustrieren, dass in Hessen wertvolle Arbeit im Bereich BNE geleistet wird, dass aber das Wünschenswerte das derzeit Machbare bei Weitem übersteigt.

Angesichts sich schließender Zeitfenster für die Umsetzung einer wirkungsvollen Klimapolitik gilt aber auch: Das Wünschenswerte ist nicht mehr das Wünschenswerte, sondern es ist das absolut Notwendige! Verräterische Vokabeln wie „beispielhaft“ und „Modellprojekt“ sind als Symptome der Mängelverwaltung zu enttarnen, die ökologische Bildung muss endlich schnell mit einem dem Problem angemessenen Etat ausgerüstet werden!

Verglichen etwa mit der intensiven Debatte über die Digitalisierung der Bildung fristet die vielbeschworene Bildung für nachhaltige Entwicklung ein Schattendasein. Der Budgetvergleich ergibt für den Digitalpakt eine Milliarde Euro pro Jahr für die Dauer von fünf Jahren und damit das Zigfache der Ausgaben für BNE im Jahr 2016! (1)

Ein Aktionsplan liegt vor

Das Bündnis Zukunftsbildung aus Nichtregierungsorganisationen von BUND über GEW und Greenpeace bis Welthungerhilfe hat im Frühjahr 2018 einen Acht-Punkte-Maßnahmenkatalog mit Stufen- und Zeitplan zur Umsetzung einer wirkungsvollen BNE vorgelegt - einschließlich der Berechnung der jeweils nötigen Finanzmittel. So sollen die an jeder Schule einzuführenden BNE-Koordinatoren sechs Deputatstunden bekommen und zu zwei jährlichen Fortbildungen verpflichtet werden (Kosten 454 Millionen Euro pro Jahr). Die erreichte Konkretisierung ist vorbildhaft und nur in zwei Punkten zu ergänzen: Es sind keine Mittel vorgesehen für ökologische Schulbauten bzw. Schul­umbauten, für neue Umweltbildungsstätten und für eine regionale und ökologische Ernährung an Schulen. Außerdem terminiert der Plan die vorgesehene Umsetzung für den Zeitraum bis 2030. Hier sind Möglichkeiten der Abkürzung und Beschleunigung zu suchen, indem zum Beispiel die geforderte „Integration von BNE in und Austausch von Lehrmaterialien“ vorgezogen wird (2).

Die Zeit drängt

Das Bundesbildungsministerium sollte über die Finanzierung eines so ausgestalteten Paktes hinaus als Sofortmaßnahme ein Gremium einsetzen, das die Vielzahl vorliegender Best-Practice-Beispiele von Unterrichtskonzepten und -materialien sammelt, auswertet, weiterentwickelt und allen Lehrkräften unbürokratisch zur Verfügung stellt. Dort mitarbeiten sollten Lehrkräfte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, aktive Naturschützer und andere Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft.

Dabei tragen auch die Lehrkräfte selbst eine besondere Verantwortung für die ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler. Im Rahmen ihrer pädagogischen Freiheit können sie jederzeit - ob in Arbeitsgemeinschaften, für Präsentations- und Abiturthemen oder im Wahlpflichtunterricht – die ökologische Bildung fördern. Und viele tun dies auch bereits engagiert!

Der ökologische Umbau der Schule ist überfällig, auch als Beispiel für andere gesellschaftliche Bereiche! Er sollte von den Protestierenden gefordert und mit ihnen realisiert werden. Dadurch werden aber öffentliche Proteste nicht überflüssig, sondern glaubwürdiger und auf mittlere Sicht wirkungsvoller.

Die Voraussetzungen für die Umsetzung eines Digitalpakts Schule sind geschaffen worden: mit einer Änderung des Grundgesetzes, einem Finanzierungsfonds und der Einigung auf eine Arbeitsteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Doch nach dem Digitalpakt ist vor dem Pakt für ökologische Bildung: Frau Karliczek, übernehmen Sie!

Norbert Pfaff

Norbert Pfaff war bis Juli 2018 Lehrer an einem hessischen Gymnasium mit den Fächern Deutsch, Politik/Wirtschaft und Evangelische Religion.
Unter www.klimareporter.de/protest/all-days-for-future findet sich ein inhaltlich ähnlicher Beitrag des Autors mit zahlreichen Links.

(1) Das Bündnis Zukunftsbildung schätzt die Ausgaben für BNE in Schulen für das Jahr  2016 auf insgesamt 39 Millionen Euro; davon entfallen nur 7 Prozent auf die Kultusministerien; Download der Studie zur Finanzierung von BNE in Schulen: www.buendnis-zukunftsbildung.de/infos.html
(2) www.buendnis-zukunftsbildung.de/pdfs/Zusammenfassung_BNE_Schule.pdf

Das Foto der Demonstration „Fridays for Future“ entstand am 15. März 2019 in Wiesbaden (Foto: Manon Tuckfeld). Kultusminister Lorz, der noch im April erklärt hatte, er wäre selbst dabei, wenn er noch jung wäre, denkt inzwischen über Ordnungswidrigkeiten und Bußgelder nach. Die GEW-Vorsitzende Maike Wiedwald kritisierte den Kurswechsel: „Die Debatte über Sanktionen für das Versäumen der Unterrichtszeit soll offensichtlich vom eigentlichen Anliegen der Schülerinnen und Schüler ablenken.“