Sand im digitalen Getriebe

Kommentar

HLZ 5/2021: Digitalisierung

Neben zunehmenden Problemen im Bereich Medienerziehung und Jugendmedienschutz hat die Coronakrise unerbittlich aufgedeckt, dass es der deutschen Schullandschaft an allen Ecken und Enden an leistungsfähiger Infrastruktur und Hardware, IT-Support und Medienkompetenz mangelt. Der IT-Support für Schulen ist Lichtjahre vom professionellen Standard entfernt, wie er in Firmen und Behörden selbstverständlich ist. Dort wird eine volle IT-Stelle pro rund 100 Endgeräten angesetzt, während an vielen Schulen eine einzige Lehrkraft mit einer Wochenstunde Unterrichtsentlastung in Do-it-yourself-Manier über 100 Endgeräte administrieren soll …

Von daher war das digitale Lockdown-Debakel für Schulinsider keine Überraschung, denn Deutschlands Schulen rangieren seit zwei Jahrzehnten in sämtlichen internationalen Studien zur Digitalisierung unter „ferner liefen …“. Im November 2019 landete das deutsche Bildungswesen in der CEPS-Vergleichsstudie unter den EU-Mitgliedsländern im Bereich E-Learning auf dem letzten Platz. Dass unter diesen Voraussetzungen Onlineunterricht nicht erfolgreich laufen konnte, war vorprogrammiert. Aber auch ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie ist noch immer jede Menge Sand im Getriebe – was zu allerletzt den Schulen anzukreiden ist.

Als die Schulen Mitte März 2020 bundesweit zum Distanzunterricht wechseln mussten, wurde schlagartig offensichtlich, was IT-Lehrkräfte seit 20 Jahren erfolglos angemahnt hatten. Der digitale Nicht-Unterricht wurde zum Offenbarungseid und zwang Eltern zu Hause in die Lehrerrolle. Noch schlimmer: Zu Beginn des zweiten Lockdowns im Dezember wiederholte sich die Katastrophe. Überall brachen die Lernplattformen der Länder oder der örtlichen Schulträger unter dem Schüleransturm zusammen, weil sie nicht für solche Nutzerzahlen ausgelegt waren.

Einzig kommerzielle Plattformen wie Microsoft Teams oder Zoom funktionierten zuverlässig, sind aber aus Gründen des Datenschutzes heftig umstritten. Dass sich die Situation inzwischen nicht mehr ganz so desaströs darstellt wie noch im März 2020, ist vor allem der Eigeninitiative vieler Lehrkräfte geschuldet, die auf eigene Kosten ihre private Hardware aufrüsteten und in Sachen Digitalkompetenz deutlich zugelegt haben, was insbesondere dem großen Engagement der IT-Fachgruppen an den Schulen zu verdanken ist.

Auf der technischen Seite stehen schnelle Internetanbindungen, WLAN in den Klassenräumen, professioneller Support und leistungsfähige, zuverlässig funktionierende Lernplattformen auf der Agenda. Schülerinnen und Schüler sind mit Endgeräten auszustatten, denn der digitale Schulerfolg darf nicht vom Bankkonto ihrer Eltern abhängen. Und Lehrkräfte brauchen schon aus Gründen des Datenschutzes Dienstgeräte für den digitalen Unterricht. Schließlich muss auch der Chirurg sein OP-Besteck nicht selbst beim Discounter kaufen!

Im pädagogischen Bereich gilt es, ein Aus- und Fortbildungskonzept zur Digitalkompetenz aufzusetzen, das in den Universitäten und Studienseminaren beginnen und mit kontinuierlicher, fachspezifischer Fortbildung der Lehrkräfte fortgesetzt werden muss. Hier sind die Bereiche Medienbildung, Medienerziehung und Jugendmedienschutz gleichermaßen abzudecken, denn Medienbildung kann nur auf der Grundlage einer intensiven digitalen Präventionsarbeit gelingen.

Günter Steppich

Günter Steppich ist Lehrer an der Gutenbergschule Wiesbaden und vielen Eltern und Lehrkräften in Hessen von Elternabenden und Pädagogischen Tagen als Experte für Jugendmedienschutz bekannt. Vielfältige Veröffentlichungen,
Materialien und weiterführende Links findet man in seinem Internet-Portal. www.medien-sicher.de

In dieser HLZ befasst er sich mit den neuen Herausforderungen des Jugendmedienschutzes in Corona-Zeiten. Artikel