Abendhaupt- und Abendrealschulen

Ein Angebot für junge Erwachsene ohne Schulabschluss

HLZ 12/2019: Erwachsenenbildung

Seit Langem beklagen Handwerk und Politik, dass immer mehr Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Nach dem aktuellen Berufsbildungsbericht gab es 2018 589.069 Lehrstellen und 555.953 Bewerberinnen und Bewerber. Gleichzeitig steigt die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss an, wie der Bildungschancenbericht der Caritas dokumentiert (www.caritas.de/bildungschancen). Allerdings wird es zunehmend schwerer, ohne Abschluss auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, da einfache und Anlernberufe durch Verlagerung der Industrieproduktion verloren gegangen sind.

Die Abendhaupt- und Abendrealschulen (AHRS) machen hier ein interessantes Angebot. Zum einen tragen sie als Schulen des Zweiten Bildungsweges in erheblichem Maße dazu bei, Jugendliche ohne Schulabschluss für eine betriebliche Ausbildung zu qualifizieren. Allein an der AHRS Frankfurt erlangen jedes Jahr rund 200 Studierende einen Schulabschluss. Die meisten Studierenden entscheiden sich danach für eine Lehre, eine geringere Zahl setzt das schulische Lernen an einem Abendgymnasium oder einer Fachoberschule fort. Studierende, die zunächst einen Hauptschulabschluss erworben haben, versuchen, dann auch noch den Realschulabschluss zu erwerben. Die AHRS haben damit einen großen Anteil daran, Lücken bei freien Lehrstellen zu schließen und dem befürchteten Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Damit bieten sie jungen Menschen, die auf dem Ersten Bildungsweg keinen schulischen Abschluss erlangt haben, eine neue Chance, ihre berufliche Zukunft zu gestalten und ihrem Leben eine neue Richtung zu geben, indem sie eine Ausbildung beginnen oder die schulische Laufbahn bis zum Abitur oder Fachabitur fortsetzen, um danach zu studieren.

Die Studierenden der Abendhaupt- und Abendrealschulen sind volljährig. Sie haben – wie alle Studierenden an den Schulen für Erwachsene – bereits Berufserfahrung. Die Zahl der Studierenden, die ihren Lebensunterhalt während des Studiums über Teilzeit- und Nebenjobs finanzieren müssen, ist gestiegen, seit BAFöG erst ab dem 3. Semester beantragt werden kann. Das gilt auch für alleinerziehende Mütter. Die schwierigen Rahmenbedingungen der Studierenden müssen bei der Unterrichtsgestaltung und bei der Unterrichtsorganisation berücksichtigt werden. Inzwischen bieten einige Schulen Kurse sowohl am Vormittag als auch am Nachmittag und am Abend an, wobei die Vormittagsschiene besonders stark nachgefragt ist. Damit ist es den Studierenden möglich, Familie, Arbeit und Schule besser unter einen Hut zu bekommen.

Eine Angleichung an die Tagesschule bezüglich Curricula und Prüfungszeiträumen nach dem negativen „Vorbild“ der Abendgymnasien wäre absolut kontraproduktiv. Das gilt vor allem für die aktuelle Regelung, Studierende am Ende eines jeden Semesters, also halbjährlich, zu versetzen und aufzunehmen und nicht nur am Ende des Schuljahres wie an den Tagesschulen. Bei einer Nichtversetzung in das nächste Semester müssten Studierende unter Umständen ein halbes Jahr warten, bis sie die Schule weiter besuchen können. Hans-Jürgen Malzacher, stellvertretender Schulleiter der AHRS Frankfurt, weiß um diese Problematik nur zu gut:
„Unsere Semestertaktung kommt den erwachsenen Studierenden sehr entgegen. Sie haben es in der Regel eilig, ihren Abschluss zu bekommen und ins Berufsleben einzutreten. Sie haben keine Zeit zu verlieren. Außerdem ist es eine Zumutung, sie bei einer Wiederholung des Semesters ein halbes Jahr warten zu lassen und ihnen somit Lebenszeit zu stehlen.“

Eine formale Angleichung an die Strukturen und Kerncurricula der Tagesschulen würde sich negativ auf die Schülerzahlen der AHRS auswirken. Schon die Anzahl der Lernjahre ist ein Problem: Schülerinnen und Schüler der Tagesschulen haben für den Hauptschulabschluss fünf Jahre Zeit, Studierende an Abendhauptschulen nur ein Jahr. Beim Realschulabschluss stehen sechs Jahren an der Tagesschule zwei Jahre an der Abendrealschule gegenüber. Auch Lerninhalte und Kompetenzen aus dem Kerncurriculum der Sekundarstufe I können nur schwerlich 1:1 für die erwachsenen Lernerinnen und Lerner an den AHRS übernommen werden.

Die Funktion der Abendschulen als Sprungbrett für eine berufliche und gesellschaftliche Integration wird auch dadurch deutlich, dass sich immer mehr Geflüchtete und Migrantinnen und Migranten um eine Aufnahme bewerben. Dabei erweist sich der obligatorische Deutschtest für einige der Kandidatinnen und Kandidaten als zu hohe Hürde. Hier könnten vorbereitende Deutschkurse Abhilfe schaffen.

Mein Fazit: Abendhaupt- und Abendrealschulen sind ein unverzichtbarer Teil des Zweiten Bildungsweges. Sie eröffnen Menschen neue Perspektiven und bringen potenzielle Auszubildende auf den Arbeitsmarkt. Sie berücksichtigen die besonderen Lebensumstände ihrer Studierenden, die nicht mit denen an Tagesschulen vergleichbar sind, und sollten auf Basis der jetzigen Strukturen weiterentwickelt werden.

Marko Hild, Abendhaupt- und Abendrealschule Frankfurt