Ab in die Zukunft – aber wie?

Schulen brauchen einen professionellen IT-Support

HLZ 7-8/2019: Digitalpakt

Das Fazit vorweg: Deutschland 2019 ist ein digitales Entwicklungsland! Als ich 1999 und 2001 Schüler zum Austausch nach England und in die USA begleitete, verfügten die Schulen schon damals über hauptamtliche IT-Fachleute vor Ort. Lehrkräfte konnten sich auf den Unterricht mit digitalen Arbeitsmitteln konzentrieren und bei Störungen „den Admin“ informieren, der diese zeitnah behob. Für deutsche Schulen ist das immer noch Zukunftsmusik.
Ausstattungsmäßig steht meine Schule in Wiesbaden ganz gut da: Breitbandanschluss und flächendeckendes WLAN, ein gut ausgestatteter PC-Raum, vier Klassensätze Hi-End-Tablets inklusive abnehmbarer Tastatur sowie etliche digitale Whiteboards. Was aber fehlt, ist professioneller IT-Support auf einem Niveau, das in Firmen und Behörden Standard ist, d.h. eine Vollzeitkraft auf rund 100 Geräte. Davon sind unsere Schulen weit entfernt, denn häufig ist ein beim Schulträger angestellter IT-Techniker für mehr als 1.000 Endgeräte zuständig. An unserem örtlichen Medienzentrum leisten aktuell 6,5 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit großem Engagement den IT-Support für rund 80 Schulen. Notwendig wären aber zehnmal so viele, und zwar an den Schulen verortet und bei Störungen kurzfristig ansprechbar.

Die Schulen versuchen, dieses Defizit mit medienaffinen Lehrkräften zu kompensieren, aber mit der Reduzierung von ein bis zwei Unterrichtsstunden oder Mehrarbeitsgeld für solche Zusatzaufgaben ist das auch nicht ansatzweise zu schaffen. Keine Firma oder Behörde käme auf die Idee, einen Mitarbeiter zusätzlich zu seinem regulären Job zum de facto ehrenamtlichen Vollzeitadmin zu ernennen, weil sie das unweigerlich in den Konkurs treiben würde – doch im Schulbereich ist das Standard. Dass dieses Konzept nicht funktionieren kann, ist offensichtlich. Da studierte Informatiklehrkräfte an den Schulen Seltenheitswert haben und im Grundschulbereich gar nicht zu finden sind, müssen sich schulische IT-Beauftragte  nötige Kenntnisse fachfremd und autodidaktisch aneignen.

Digitales Milliardengrab

Zusatzinvestitionen wie die geplanten fünf Milliarden aus dem Digitalpakt sind zweifellos dringend nötig, werden aber keine Wirkung erzielen, wenn sie – wie avisiert – nur in neue Infrastruktur und Hardware investiert werden dürfen, aber nicht in professionellen Support. Nach den digitalen Whiteboards hätten wir das nächste digitale Milliardengrab, und ich möchte gar nicht wissen, wie viele davon in deutschen Schulen hängen und nicht mehr richtig funktionieren. Für zusätzliche Probleme sorgen die auf der Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) beschriebenen verteilten Zuständigkeiten:
„Der Bund stellt finanzielle Mittel zum Aufbau digitaler Bildungsinfrastrukturen bereit. Die Länder entwickeln pädagogische Konzepte, kümmern sich um die Qualifizierung von Lehrkräften – über das Referendariat bis hin zur Weiterbildung – und stellen gemeinsam mit den Kommunen Betrieb, Support und Wartung sicher. Daneben entscheiden die Länder, ob und wie sie mobile Endgeräte in ihren Lernmittelregelungen berücksichtigen.“ (1)

Der Bund fühlt sich also vor allem für Breitbandanschlüsse, WLAN und stationäre Hardware zuständig. Für mobile Endgeräte und Support sollen die Schulträger sorgen, also Städte und Gemeinden. Didaktische Konzepte sowie Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte sind wiederum Sache der Kultusministerien.

Wenn aber ein Schulträger wegen knapper Kassen den Support für die neue Hardware nicht leisten kann (oder will) und das pädagogische Personal nicht ausreichend geschult ist, um einen Mehrwert aus der digitalen Ausstattung zu ziehen, verdampfen Milliarden im digitalen Nirwana. Zudem werden mit diesem Konzept Schülerinnen und Schüler in finanzstarken Regionen deutlich besser auf die digitale Welt vorbereitet als andere.

Praxisbeispiel 1: Die Tabletwagen an meiner Schule können für den Unterricht gebucht werden. Die Tablets müssen anschließend einsortiert, mit dem Ladegerät des Wagens verbunden und dieses an eine Steckdose gehängt werden, was gerne vergessen wird. Einen Techniker vor Ort, der sich um die Geräte kümmert, gibt es nicht. Der nächste findet dann nicht aufgeladene Tablets vor und kann seine geplante Stunde vergessen. Also greift Plan B: Analog - man muss immer doppelt planen, was auf Dauer nicht geht. Unsere Arbeitsbelastung hat auch abseits der Digitalisierung stark zugenommen, Arbeitszeit und Verwaltungsaufgaben wurden erhöht, die Kinder sind nicht einfacher geworden, die Eltern auch nicht, da wägt man sehr genau ab, wofür man Zeit investieren kann. Nicht zuverlässig funktionierende digitale Endgeräte sind ein K.O.-Kriterium für effizienten Unterricht.

Praxisbeispiel 2: Man hat das digitale Whiteboard eingeplant, das installiert aber nach dem Einschalten erst einmal 20 Minuten lang Updates oder lädt aus unerfindlichen Gründen das Userprofil des Lehrers im Schneckentempo oder gar nicht. Also wieder Plan B. IT-Profis wenden an dieser Stelle ein, dass man das doch anders konfigurieren könne – und genau deswegen brauchen wir diese Profis vor Ort in den Schulen! Die Frage, ob der Arbeitsmarkt die erforderliche Anzahl solcher Fachkräfte überhaupt hergibt und ob diese für die Schulträger bezahlbar sind, wirft das nächste Problem auf, denn die Antwort lautet zweimal NEIN!

BYOD ist keine Alternative

Die Idee von BYOD (Bring Your Own Device = Einsatz von Schülerhandys im Unterricht) als Lösung aller oben genannten Problemen ist keine ernsthafte Alternative, weil dieses Konzept eine ganze Reihe eklatanter Schwachpunkte aufweist und keinesfalls gleichwertigen Ersatz für schuleigene IT darstellt: Zum einen arbeiten die Schülerinnen und Schüler dabei unter extrem unterschiedlichen Voraussetzungen bezüglich Hard- und Software, Internetzugang oder Speicherplatz, zum anderen bieten die auf privaten Geräten installierten populären Apps ein gigantisches Ablenkungspotenzial, gegen das auch der weltbeste Lehrer so machtlos ist wie bei dem Versuch, mit Boardmarkern gegen Schusswaffen anzutreten.

Deshalb ist auch die Einschränkung des BMBF, dass der Anteil an Fördermitteln, der für mobile Endgeräte aufgewendet wird, „20 % aller Fördermittel pro Schulträger nicht überschreiten“ darf, nicht nachvollziehbar, da sie den sinnvollen Trend weg von Computerräumen hin zu flexiblen Endgeräten ausbremst.

Fachspezifische Fortbildung

In internationalen Studien erweisen sich deutsche Lehrkräfte als unterdurchschnittlich medienkompetent. Dass wir schon immer eine unterdurchschnittlich technikaffine Berufsgruppe sind, belegen sowohl eine Studie von Ralf Biermann über den „medialen Habitus von Lehramtsstudierenden“ (2009) als auch meine aktuellen Erfahrungen mit rund 250 Referendarinnen und Referendaren pro Schuljahr. Digitales Interesse und Medienkompetenz sind nicht primär altersbedingt, auch bei vielen jungen Kolleginnen und Kollegen endet der digitale Horizont kurz hinter Whatsapp und Facebook. Bei Kindern und Jugendlichen populäre Apps wie Snapchat, Instagram oder TikTok und Videospiele sind der großen Mehrheit der Lehrkräfte absolut fremd, so dass sie auch als Beratungsinstanz ausfallen. Das wird aber immer wichtiger, da der Großteil der Eltern mit diesem Thema heillos überfordert ist und die Schulen sich schon aus „Notwehr“ damit befassen müssen, weil digitale Konflikte und Probleme immer stärker in den Schulalltag hineinwirken.

Fundiertes digitales Fachwissen bringen nur wenige Nachwuchskräfte mit, denn auch über 20 Jahre nach dem Einzug des Internets an den Schulen ist digitale Lehrerbildung an den Universitäten immer noch ein fakultatives Randthema, das längst obligatorisch sein müsste. Fraglich ist allerdings, ob dafür ausreichend medienkompetente Dozentinnen und Dozenten zur Verfügung stünden. An den Studienseminaren ist das definitiv nicht der Fall, hier sind fast alle Ausbilder selbst Lehrkräfte mit überschaubaren IT-Kenntnissen.

Dass Kritiker der Digitalisierung auf diverse Studien verweisen können, die keinen Nutzen des Lernens und Lehrens mit digitalen Medien aufzeigen konnten, liegt schlicht daran, dass der Großteil der Lehrkräfte mangels Digitalkompetenz nicht in der Lage ist, deren Mehrwert auszuschöpfen. Die Evaluation eines zweijährigen, wissenschaftlich begleiteten Tablet-Projekts an vier Wiesbadener Schulen ergab denn auch ein klares Schülerfazit: „Wenn Lehrer sich auskennen, ist es cool, macht Spaß und man lernt mehr. Bei denen, die schon mit der Bedienung der Technik kämpfen, ist es reine Zeitverschwendung.“

Auf der pädagogischen Ebene mangelt es insbesondere an intensiver fachspezifischer Fortbildung, die unabdingbar ist, wenn bei der Arbeit mit digitalen Arbeitsmitteln ein Mehrwert herausspringen soll. Andernfalls wird ein digitales Whiteboard zur überteuerten Anzeigefläche für Filme und Präsentationen degradiert! Effizient sind hier vor allem Schulungen durch medien- wie fachkompetente Lehrkräfte, die dafür aber entsprechend freigestellt werden müssen. Externe Referentinnen und Referenten aus dem IT-Bereich haben leider häufig zu wenig Einblick in unsere Berufswirklichkeit und kaum fachdidaktische Kenntnisse.

Wenn wir nicht zeitnah deutlich mehr Ressourcen in professionellen Support sowie die digitale Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte investieren, werden wir international immer mehr ins digitale Hintertreffen geraten. Eine Bildungs- und Industrienation kann sich das nicht leisten, denn die Welt ist nun einmal digital und sie wird immer weiter digitalisiert werden. Die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt nach IT-Kompetenzen ist gigantisch, das Angebot dagegen defizitär. Dass diese Schere immer weiter aufgeht, lässt sich nur verhindern, wenn die Schulen damit beginnen, allen Schülerinnen und Schülern solide digitale Kompetenzen zu vermitteln.

Günter Steppich

Günter Steppich ist Fachberater für Jugendmedienschutz am Staatlichen Schulamt für Wiesbaden und den Rheingau-Taunus-Kreis und Referent für Jugendmedienschutz am Hessischen Kultusministerium. Außerdem verantwortet er die Internetseite www.medien-sicher.de mit zahlreichen Informationen und Materialien aus der medienpädagogischen Arbeit des Autors.

(1) www.bmbf.de/de/wissenswertes-zum-digitalpakt-schule

Bildunterschrift
In einem flott animierten Video erklärt Günter Steppich am Beispiel von Herrn Emsig, dem IT-Beauftragten einer Gesamt­schule, den „Denkfehler im Digitalpakt in fünf Minuten“. Die Sisyphosarbeit des Lehrers, der neben der Administration von 80 digitalen Endgeräten und der Beratung seiner Kolleginnen und Kollegen noch 25 Stunden unterrichten muss, endet letzlich auf oder unter einem Berg von Elektro­schrott, der durch den nicht zu Ende gedachten Digitalpakt nur noch größer wird.
Man findet den Film, der das Problem auf den Punkt bringt, auf Youtube