Digitale Mindestausstattung

Wie hoch sind die Mehrbedarfe der berufsbildenden Schulen?

HLZ 12/2019: Erwachsenenbildung

Im Frühjahr 2019 hat die Bundespolitik mit einer Grundgesetzänderung den Weg frei gemacht für die Umsetzung des Digitalpakts. Dieser soll Bundesmittel im Umfang von fünf Milliarden Euro an die Schulen bringen, Länder und Kommunen geben mindestens zehn Prozent hinzu. Die Fördersumme erhöht sich so auf gut 5,5 Milliarden Euro. So sollen die Schulen mit schnellem Internet, digitalen Präsentationsmedien und Endgeräten ausgestattet werden. In Hessen hat die Landesregierung zur Umsetzung das Gesetz zur Förderung der digitalen kommunalen Bildungsinfrastruktur als Teil des Programms Digitale Schule Hessen auf den Weg gebracht (HLZ 7-8/2019). CDU und Grüne erheben dabei den Anspruch, „die Belange der beruflichen Schulen bei der Digitalisierung besonders zu berücksichtigen“ (1). Doch welche Bedarfe haben die berufsbildenden Schulen und wie unterscheiden diese sich von den allgemeinbildenden Schulen? Reichen die im Rahmen des Digitalpakts zur Verfügung gestellten Mittel überhaupt aus?

Antworten auf diese Frage ermöglicht eine Studie, die wir im Rahmen der GEW-Initiative „Bildung. Weiter denken!“ erstellt haben. (2) Bei der Abschätzung des Bedarfs der berufsbildenden Schulen orientieren wir uns an der Methodik und an den Modellannahmen einer Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Bremen. Sie gehen von Durchschnittskosten von 402 Euro pro Jahr und Schülerin bzw. Schüler an einer idealtypischen allgemeinbildenden Schule der Sekundarstufe aus. Die zugrunde gelegten Modellannahmen sehen u.a. die Ausstattung aller Klassen- und Fachräume mit modernen Präsentationsmedien sowie ein digitales Endgerät für jede Schülerin und jeden Schüler vor. Auch der IT-Support durch Fachkräfte findet Berücksichtigung. (3)

Die Kosten für das Land

Wir übertragen diese Modellannahmen und die für 14 Einzelpositionen ausgewiesene Kostenschätzung, nehmen aber an einigen Stellen Anpassungen an die spezifischen Bedürfnisse der berufsbildenden Schulen vor. So tragen wir beispielsweise höheren Lizenzkosten aufgrund berufsfeldspezifischer Software sowie einem höheren Aufwand für die pädagogische Koordination in Form von Anrechnungsstunden Rechnung. Außerdem ergänzen wir zwei weitere Ausgabenpositionen, die in der erwähnten Studie unberücksichtigt bleiben: dienstliche Endgeräte für Lehrerinnen und Lehrer sowie regelmäßige Fortbildungen. Dienstliche Endgeräte sind nicht zuletzt aus Gründen des Datenschutzes geboten. Damit die Möglichkeiten einer integrativen Nutzung der digitalen Medien für den Fachunterricht genutzt werden können, sind regelmäßige Fortbildungen unerlässlich. Darüber hinaus berücksichtigen wir auch, dass Berufsschülerinnen und -schüler in der dualen Ausbildung als Teilzeitschüler bzw. Teilzeitschülerinnen weniger schulische Ressourcen binden, als das im Rahmen der vollzeitschulischen Berufsbildung der Fall ist. Im Ergebnis können wir mit jährlichen Durchschnittskosten in Höhe von 387 Euro pro Schülerin oder Schüler an der Teilzeit-Berufsschule rechnen. Für die Vollzeitschülerinnen und -schüler gehen wir von 470 Euro aus.

Anhand dieser Schätzwerte lassen sich die zu erwartenden Kosten unter Zugrundelegung der aktuellen Schülerzahlen berechnen (Tabelle 1). Für die gut 81.000 Schülerinnen und Schüler, die in Hessen einen vollzeitschulischen Bildungsgang an einer berufsbildenden Schule besuchen, wäre für eine digitale Mindestausstattung ein Betrag von 38 Millionen Euro pro Jahr erforderlich. Für die gut 103.000 Schülerinnen und Schüler, die im Rahmen einer dualen Ausbildung an den Lernorten Betrieb und in der Teilzeitberufsschule lernen, wären es knapp 40 Millionen Euro. In der Summe ist für die berufsbildenden Schulen in Hessen pro Jahr mit Kosten von 78 Millionen Euro zu rechnen. Bundesweit ergibt sich so ein Bedarf von gut einer Milliarde Euro.

Schulträger und Unternehmen

Darüber hinaus können wir auch abschätzen, welcher Anteil auf die Kommunen als Träger der „äußeren“ Schulangelegenheiten und welcher Anteil auf das für die „inneren Angelegenheiten“ zuständige Land entfällt. Auch private Ersatzschulen werden gesondert berücksichtigt. Wir gehen davon aus, dass auch die ausbildenden Unternehmen einen Anteil der Kosten tragen müssen: Digitale Endgeräte können inzwischen durchaus als unerlässliche Ausbildungsmittel verstanden werden, so dass im Kontext der dualen Ausbildung die ausbildenden Unternehmen für deren Anschaffung aufkommen müssen. Die Verteilung auf die Kostenträger für Hessen sowie für Gesamtdeutschland sind Tabelle 2 zu entnehmen. Von dem Gesamtbedarf der berufsbildenden Schulen in Höhe von 78 Millionen Euro pro Jahr entfällt mit knapp 56 Millionen Euro der Großteil auf die kommunalen Schulträger. Auf die ausbildenden Unternehmen entfallen gut 12 Millionen, auf das Land knapp sieben Millionen und auf die Privatschulen drei Millionen Euro.

Mit unserer Bedarfsschätzung für die berufsbildenden Schulen lässt sich eine bestehende Forschungslücke schließen. Die erwähnte Studie der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Bremen ermöglicht eine Kostenschätzung nur für die allgemeinbildenden Schulen. Für diese wird ein jährlicher Bedarf von rund 2,8 Milliarden Euro kalkuliert. Unter Berücksichtigung der Kosten für die Fortbildung und die Ausstattung der Lehrerinnen und Lehrer mit dienstlichen Endgeräten lässt sich der Finanzbedarf der allgemeinbildenden Schulen für die Laufzeit von fünf Jahren auf 15,76 Milliarden Euro beziffern. Zusammen mit den 5,265 Milliarden Euro Bedarf der berufsbildenden Schulen ergibt sich eine Summe von rund 21 Milliarden Euro.

Das bisher vorgesehene Volumen des Digitalpakts würde also lediglich ein Viertel des Gesamtbedarfs aller Schulformen abdecken oder – anders betrachtet – gerade ausreichen, um den Bedarf der berufsbildenden Schulen abzudecken.
Hessen erhält in den fünf Jahren der Laufzeit des Digitalpakts 372 Millionen Euro an Bundesmitteln, die mit 10 Prozent kofinanziert werden müssen. In Hessen wird dieser Eigenanteil allerdings auf 25 Prozent aufgestockt, das Land wie auch die entsprechenden Gebietskörperschaften schießen jeweils 12,5 Prozent zu. Auf diesem Weg werden insgesamt 496 Millionen Euro mobilisiert. Dem steht allein für die berufsbildenden Schulen in Hessen ein Bedarf von hochgerechnet 390 Millionen Euro in fünf Jahren entgegen. Die Mittel werden nach dem Gesetz zur Förderung der digitalen kommunalen Bildungsinfrastruktur in Abhängigkeit von den Schülerzahlen an allen Schulformen auf die kommunalen und privaten Schulträger verteilt, für die Verteilung auf die einzelnen Schulformen im Bereich der Schulträger gibt es jedoch keinerlei Vorgaben. Wenn man überschlägig davon ausgeht, dass entsprechend der von uns geschätzten Bedarfe ein Viertel der Mittel den berufsbildenden Schulen zukommen sollte, so entspräche dies einem Betrag von 124 Millionen Euro. Wenn diesem Betrag der von uns geschätzte Bedarf von 372 Millionen Euro entgegengestellt wird, so wird deutlich, dass die Mittel des Digitalpakts in Hessen – trotz der zusätzlichen Eigenmittel – bei weitem nicht ausreichen, um eine angemessene digitale Ausstattung sicherzustellen.

Mehr als digitale Endgeräte

Dabei geht es um weit mehr als die Ausstattung mit digitalen Präsentationsmedien und Endgeräten. Insbesondere zur Bereitstellung des technischen Supports durch IT-Fachkräfte besteht ein erheblicher Personalbedarf, denn diese Aufgabe kann und soll nicht von den Lehrkräften zusätzlich geleistet werden. Wir schätzen in Anlehnung an die genannte Studie, dass pro 300 bis 400 Endgeräten eine Vollzeitstelle für die Systemadministration benötigt wird. Das entspricht für die hessischen Schulträger einem Volumen von 460 bis 614 Stellen, allein für die Systemadministration an den berufsbildenden Schulen. Auch die von uns vorgesehenen Entlastungsstunden für Koordinatorinnen und Koordinatoren werden selbstverständlich personalwirksam. Nur mit qualifiziertem Fachpersonal und entsprechenden Fortbildungsangeboten können die Potentiale der Digitalisierung gehoben werden.

Mit dem Digitalpakt wird das bisherige „Kooperationsverbot“ gelockert, der Bund kann Hilfen zur Unterstützung der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren. Dazu gehören aber auch die kommunalen Volkshochschulen und die Musikschulen. Daher ist nach unserem Verständnis der Digitalpakt Schule um die Volkshochschulen als Orte der Erwachsenenbildung sowie die Musikschulen zu erweitern und zu verstetigen.

Roman George und Ansgar Klinger

Roman George ist Referent für Bildungspolitik der GEW Hessen, Ansgar Klinger leitet den Vorstandsbereich Berufliche Bildung und Weiterbildung im GEW-Hauptvorstand.


(1) Hessischer Landtag, Drucksache 20/844
(2) Roman George/Ansgar Klinger (2019): Mehrbedarfe für eine adäquate digitale Ausstattung der berufsbildenden Schule im Lichte des Digitalpakts, Frankfurt.
(3) Andreas Breiter/Anja Zeising/Björn Eric Stolpmann (2017): IT-Ausstattung an Schulen: Kommunen brauchen Unterstützung für milliardenschwere Daueraufgaben, Gütersloh.