Forderungen an die neue Landesregierung 

Moderne Ausstattung und landesweites Digitalkonzept 

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„Digitalisierung“ heißt das Zauberwort, mit dem die Regierenden in Land und Bund die Bildung beflügeln wollen. Allerdings ist es bisher überwiegend eine Politik der Ankündigungen. Sollten irgendwann einmal die Mittel fließen, die momentan durch die Differenzen zwischen Bund und Ländern über den „Digitalpakt“ blockiert sind, dann wird die Politik auch Pläne und Konzepte zur Verteilung entwickeln und – wie im Schulwesen üblich – Top down verordnen. Nach dem, was bisher bekannt ist, dürften diese eher von den Vermarktungsinteressen der Wirtschaft als von den Bildungsinteressen von Schülerinnen und Schülern und Pädagoginnen und Pädagogen geprägt sein.

Deshalb müssen wir uns, muss sich die GEW einmischen und ihre Einflussmöglichkeiten nutzen, um den Ausverkauf der Schulen an die IT-Unternehmen zu verhindern, aber auch um sinnvolle pädagogische Konzepte umzusetzen, akzeptable Arbeitsbedingungen für Lehrer und Schüler zu erreichen und den sicheren Umgang mit der Datenflut zu gewährleisten.

Leitlinie: Pädagogische Konzepte

Um den Stellenwert des Einsatzes digitaler Medien im Unterricht gibt es eine heftige Debatte. Die einen wollen zum Beispiel in den Grundschulen möglichst noch gar keine PCs, Notebooks oder Tablets einsetzen, für andere geht es nur um die Frage des Zeitpunkts: Schon ab dem ersten Schuljahr, erst ab Klasse drei oder nur auf eine gewisse Anzahl von Stunden oder einzelne Fächer begrenzt? Auch bei methodisch-didaktischen Themen sind viele Fragen offen: Lesen lernen – mit PC oder ohne? Sollen Grundschulkinder programmieren lernen, zum Beispiel mit dem Calliope mini? Können Onlinetests Diagnosen unterstützen? Im Bereich der Sekundarstufe ist der Einsatz elektronischer Medien weniger umstritten, aber auch hier gibt es Kontroversen über den Umfang des Einsatzes im Fachunterricht, über die Einführung eines eigenen Fachs Medienbildung und über den Umgang mit Internet, sozialen Medien, Lernplattformen oder Schulclouds. Sollen alle Schülerinnen und Schüler Tablets bekommen? Dürfen Smartphones im Unterricht genutzt werden? Sollen diese Medien von den Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern bezahlt werden oder müssen sie von der Schule zur Verfügung gestellt werden? 

Für all diese Themen gibt es in Hessen bisher nur wenige Regelungen durch Verordnungen und Erlasse. Soll sich das ändern? Soll die GEW hier klare Vorgaben fordern? Oder soll jede Lehrkraft, jedes Kollegium, jede Schulgemeinde „freie Hand“ haben, wie digitale Medien, Hard-und Software am förderlichsten für das Lernen eingesetzt werden, und die Möglichkeit haben, eigene Konzepte zu entwickeln und auszuprobieren?

Ausgangspunkt für Konzepte zur digitalen Ausstattung der Schulen ist nicht „Was haben wir und was kriegen wir?“, sondern muss immer die Antwort auf die Frage sein: „Was brauchen wir, um zu besten Lernergebnissen unter den bestmöglichen Bedingungen zu kommen?“ 

Standards ja – aber wofür?

Die hessischen Schulen stehen weder konzeptionell noch ausstattungsmäßig am Punkt Null, auch wenn manches Statement in den Medien diesen Eindruck vermittelt. Die Hessische Lehrkräfteakademie bietet Fortbildungen an, die beispielsweise die Nutzung von Lernplattformen mit einem pädagogischen Konzept verbinden. 

Auch die regionalen Medienzentren führen medienpädagogische Gemeinschaftsprojekte mit Schulen durch und bieten Medienfortbildungen, Hard- und Softwarewareschulungen und ideelle Unterstützung bei der Medienbeschaffung an. Sie verfügen über einen großen Bestand an Onlinemedien für Unterrichtszwecke. 
An vielen Schulen gibt es erprobte und bewährte Konzepte. Jedoch existieren in Hessen weder einheitliche Standards zur Ausstattung der Schulen mit Hardware noch gibt es Richtlinien oder Empfehlungen zur Art und Leistungsfähigkeit der einzusetzenden Geräte. Unterschiedlich ist auch die Ausstattung – je nach Plan und Finanzlage des zuständigen Schulträgers, der in der Regel für eine Hardwaregrundausstattung zu sorgen hat. Es gibt auch Beispiele, wo die Schule einen entsprechenden Etat zur Verfügung hat und die Hardware selbst beschafft. Oft gibt es auch eine Mischfinanzierung: Die Grundausstattung bezahlt der Schulträger, zusätzliche Geräte muss die Schule aus ihrem Etat oder über Sponsorenmittel finanzieren. 

Deshalb ist zuerst einmal eine Bestandaufnahme einzufordern, wie die Schulen ausgestattet sind. Nach einer sich daraus ergebenden Bedarfsanalyse sollte die zukünftige Landesregierung ein Konzept für eine Mediengrundausstattung einer Schule entwickeln. Jede Schule sollte einen Anspruch auf die Finanzierung einer Mediengrundausstattung haben und darüber entscheiden können, wie diese in der Schule eingerichtet wird. 

Der notwendige Ausbau von inhaltlichen Angeboten – nicht von Vorschriften – für den methodisch-didaktischen Einsatz digitaler Medien im Unterricht steht damit in enger Verbindung. Dazu muss die nicht-kommerzielle Fortbildung in öffentlicher Verantwortung gestärkt werden. Nicht akzeptabel sind Angebote, die auf private Stiftungen und Organisationen, Schulbuchverlage oder IT-Konzerne setzen.

Derzeit ist die Nutzung privater Geräte durch die Schülerinnen und Schüler für Unterrichtszwecke in der Regel nicht erlaubt. Es fehlt an klaren Regelungen für den Datenschutz und an einem sicheren und stabilen WLAN. Die Zugänge ins pädagogische Netz einer Schule sind im Regelfall streng limitiert. Lehrkräfte haben große Bedenken, ob sie in der Lage sind, die Nutzung ausreichend zu steuern und Missbrauch zu verhindern. Dazu kommen soziale Aspekte bezüglich der Verfügbarkeit teurer mobiler Endgeräte. Chancengleichheit bedeutet für die GEW deshalb im digitalen Zeitalter auch „Hard- und Softwaregleichheit“.

Bring your own device?

Dass Schulbücher unter die in der Hessischen Verfassung garantierte Lernmittelfreiheit fallen, ist unbestritten. Wenn diese aber nur mit elektronischen Medien gelesen werden können, fallen auch diese Geräte unter die Lernmittelfreiheit. Im Unterricht benötigte elektronische Medien müssen im Hinblick auf eine einheitliche Hard- und Software, aus pädagogischen und sozialen Gründen und unter dem Aspekt des Datenschutzes den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung gestellt werden. Wenn nötig, erhält jeder Schüler kostenlos ein Notebook oder ein Tablet von der Schule.

Unübersichtlich ist auch die Verfügbarkeit innerschulischer Netze: Einige Schulträger haben – wie zum Beispiel die Stadt Frankfurt – fast alle Unterrichtsräume in ihren Schulgebäuden verkabelt, so dass alle im gleichen pädagogischen Netzwerk sind. In anderen Regionen betreiben die Schulen ihr Netzwerk in eigener Regie, in der Regel über Kabelverbindungen. WLAN-Lösungen sind bisher die Ausnahme. Über die Probleme bei der Einrichtung von WLAN-Zugängen in Frankfurter Schulen, die pädagogisch und datenschutzrechtlich vertretbar sind, informiert Sebastian Guttmann in dieser HLZ (S.23).

Deshalb müssen Vorgaben und technische Lösungen entwickelt werden, die es jeder Schule ermöglichen, ein ihrem Medienkonzept entsprechendes Netzwerk und die notwendigen Internetverbindungen einzurichten.

Welche Software ist die richtige?

Bei Schulen in kommunalen Netzwerken gibt es in der Regel eine vom Schulträger festgelegte Softwareplattform. In diesen Netzwerken hat die Einzelschule kein Recht, selbst Software aufzuspielen. Dies muss jeweils beim Schulträger beantragt werden. Grundsätzlich ist die Softwarefinanzierung nicht geregelt: Mitunter übernimmt der Schulträger direkt die Kosten, z.B. bei den Softwaregrundplattformen, überwiegend muss sie jedoch aus dem Schuletat finanziert werden.
Eine neue Landeregierung muss Mindeststandards für die Softwareausstattung der Schulen entwickeln. Die Schulen benötigen einen kostenlosen Zugriff auf das Angebot einer Softwaregrundplattform. Zusätzliche Mittel, um die schulische Softwareplattform nach Bedarf zu erweitern, sollten darüberhinaus zur Verfügung stehen. Die Entscheidung, welche Software eingesetzt wird, muss bei den Schulen und ihren Lehrkräften liegen. 

In den Wolken: Nutzung von Schulclouds

Als Lösung für digitalen Zugang und Kommunikation innerhalb der Schule sind „Schulclouds“ in der Diskussion und zum Teil auch schon in der Erprobung (HLZ S.8-9). Ein Beispiel ist die „HPI-Cloud“, die vom Hasso-Plattner-Institut für Digital Engineering entwickelt wurde, das von dem Milliardär und SAP-Mitbegründer Hasso Plattner ins Leben gerufen wurde. Unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung soll sie die technische Grundlage schaffen, dass Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler moderne digitale Lehr- und Lerninhalte über Smartphones oder Tablets nutzen können. Den Vorteilen einer solchen Schulcloud stehen gravierende Nachteile gegenüber, denn die HPI-Cloud soll nach eigenem Bekunden, dazu beitragen, „einen prosperierenden Bildungsmarkt mit innovativen digitalen Bildungsprodukten zu etablieren“ (1). Die Cloud dient der Erschließung weiterer Märkte für Digitalprodukte und mit ihrer Hilfe sollen der Einfluss der Wirtschaft und die Vermarktung von Bildung vorangetrieben werden. Sie soll außerdem die Möglichkeit bieten, mit Hilfe von Learning Analytics differenzierte Nutzerprofile zu erstellen. Datenrückkanäle dienen dazu, das Lernverhalten der Nutzer zu analysieren, um den Unterricht zu „personalisieren“. Mit Hilfe von Lernprotokollen lassen sich Feinanalysen erstellen, um Nutzergewohnheiten zu analysieren und die Lernsoftware an die Nutzergewohnheiten anzupassen. Schülerinnen und Schülern können dann – selbstverständlich gegen Geld – individuelle Lernprogramme angeboten werden. Ob der „gläserne Schüler“ das Vertrauensverhältnis zur Lehrperson verbessert, sei dahingestellt. 

Vor der Einführung einer Schulcloud müssen alle Details öffentlich zugänglich gemacht werden: Wie funktioniert sie? Wer administriert sie und was geschieht mit den Daten? Nur so wird eine breite Diskussion über das Für und Wider des Einsatzes im pädagogischen Raum möglich. 

Christoph Baumann

(1) zitiert nach Ingo Leipner: „Spinnennetz am Himmel“, Schulverwaltung Hessen 7/8, 2018, S. 196

Die Forderungen an eine neue Landesregierung zur Ausstattung und Nutzung digitaler Medien in Schulen sind in einem Artikel nicht erschöpfend zu behandeln. Christoph Baumann befasst sich in dem vorliegenden Artikel vorrangig mit der Ausstattung und den dafür zu entwickelnden Rahmenkonzepten. Weitere Themenbereiche im IT-Sektor sind die IT-Administration, die individuelle dienstliche Medienausstattung der Lehrkräfte, der Aufbau eines zweiten Verwaltungsnetzes zum Austausch sensibler Daten durch Lehrkräfte untereinander und mit der Schule, der Jugendmedienschutz und die Einführung eines Fachs Medienbildung. Zu diesen Fragen, mit denen sich auch die Arbeitsgruppe „Digitalisierung“ im GEW-Landesvorstand befasst, bereitet Christoph Baumann einen weiteren Artikel für die nächste HLZ vor.