Erklärung zur Situation und Perspektiven

Fachtagung: Grundschullehrer_innen in Hessen

21. Februar 2017

 

Ergebnis der GEW-Fachtagung "Die Grundschullehrerin. Der Grundschullehrer. Die Profession, ihr Alltag und ihre Zukunft" am 21. Februar 2017, Frankfurt

Vorab

Kern der beruflichen Identifikation der Grundschullehrerin und des Grundschullehrers ist es, für die Bildung und Erziehung von Kindern bestmögliche pädagogische und didaktische Voraussetzungen zu schaffen, ihre Entwicklung zu begleiten und ihre individuellen Bedürfnisse zu erkennen. Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer leisten diese Arbeit mit hohem Engagement und  großer Motivation. Dass sie dabei unter den schwierigsten Bedingungen immer häufiger Abstriche an der Qualität ihrer Arbeit machen müssen, die mit ihren eigenen pädagogischen Überzeugungen nicht in Einklang zu bringen sind, ist für viele zu einem erheblichen Belastungsfaktor geworden.

Zur aktuellen Situation an den Grundschulen

Die Grundschulen in Hessen stehen unter einem enormen Anpassungsdruck an gesellschaftliche Forderungen, unter dem die erforderliche Entwicklungsarbeit faktisch nicht mehr geleistet werden kann. Eine zu hohe Unterrichtsstundenverpflichtung in zu großen Klassen, keine ausreichende Personalausstattung, keine Vertretungsreserve, immer mehr unausgebildete Kräfte, gestiegene Beratungs- und Koordinationsaufgaben, Verlagerung von Betreuungsaufgaben vom Hort in die Schule, Klassenräume, die nicht länger als „Raum für die Klasse“, sondern als Multifunktionsraum vom Unterricht über das Mittagessen bis zur Nachmittagsbetreuung herhalten müssen, das Nebeneinander unterschiedlicher, konzeptionell nicht abgestimmter Angebote,  Vergleichsarbeiten, Dokumentationspflichten und vieles mehr führen zu einer nicht länger hinnehmbaren Situation.

Anforderungen an die Arbeit in multiprofessionellen Teams

Die Organisation und Steuerung der Sonderpädagogischen Förderung durch die Beratungs- und Förderzentren (BFZ) wird von Grundschullehrkräften nicht als Hilfe, sondern vielmehr als ein  strukturelles Hindernis bei der Schulentwicklung erlebt. Die Zuweisung der Förderschullehrkräfte durch das BFZ ist intransparent, ebenso wie deren Einsatz in den Klassen bzw. die Vergabe von Förderstunden für einzelne Kinder. Wir wenden uns entschieden gegen die intransparente Verteilung von Förderschullehrkräften und Förderstunden an Schulen ohne tatsächlichen Einbezug und Mitsprache. Grundschulen benötigen dagegen eine ausreichende sonderpädagogische Grundversorgung, die allen Kindern zu Gute kommt. Grundschul- und Sonderpädagoginnen und -pädagogen müssen sich auf Augenhöhe begegnen können, um Schule und Unterricht gemeinsam zu entwickeln. Heute haben beide Professionen eine unterschiedliche und auch eine gemeinsame Expertise. Auf der Grundlage von Reflexionsvermögen und gegenseitiger Beratung in schulischen Peer-Groups kann es gelingen, Spezialwissen zu einzelnen Förderschwerpunkten mit allgemeinen grundschuldidaktischen und pädagogischen Erkenntnissen und dem Wissen über Lernentwicklungsprozesse in heterogenen Gruppen zusammen zu führen. Dieser Austausch auf der Basis von Reflexion und kollegialer  Beratung ermöglicht die  Entwicklung einer Schule, die allen Kindern gerecht werden kann. Sozialpädagogische Fachkräfte können dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. Teilhabeassistenz im Sinne des Sozialgesetzbuches kann eine Hilfestellung für einzelne Schülerinnen und Schüler leisten, aber den Einsatz von pädagogischen Fachkräften nicht ersetzen.

Anforderungen an eine demokratische Schulentwicklung hin zu einer Schule für alle

Inklusion ist Aufgabe der allgemeinen Schule und muss in einem demokratischen Prozess entwickelt werden. „Die Gesamtkonferenz beschließt über die pädagogische und fachliche Gestaltung der Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schule...“ (§ 133 Hessisches Schulgesetz). Wie keine andere Schulform haben sich Grundschulen auf den Weg gemacht, die Aufgabe inklusiver Schulentwicklung anzunehmen. Die dafür nötige Entwicklungszeit, Zeit die eingeleiteten Entwicklungsprozesse zu reflektieren und weiterzuführen, muss den Schulen gegeben werden. Die dafür erforderlichen Deputate sind dringend einzurichten. Eine koordinierte und staatlich finanzierte wissenschaftliche Begleitung der einzelnen Schule sowie der gesamten Entwicklung eines inklusiven Schulsystems ist darüber hinaus erforderlich. Für inklusive Grundschulbildung sind kleine Lerngruppen (1. Schritt „keine Klasse über 20“ und im zweiten Schritt Anpassung an den Durchschnitt der OECD von max. 15 Schülerinnen und Schülern), Zeit (Reduktion der Unterrichtsstundenverpflichtung auf 25) und Unterstützung für das einzelne Kind, ebenso wie Zeit für Beratung und Koordination in multiprofessionellen Teams unerlässlich.

Weiterentwicklung der Profession – A 13 für alle!

Der heute bereits bestehende und zukünftig absehbare Mangel an ausgebildeten Grundschullehrkräften führt erneut zu einer unverantwortlichen Verschärfung der Arbeits- und Lernbedingungen an Grundschulen. Die in einem historischen und überholten Kontext zu sehende Ungleichbehandlung von Grundschullehrkräften in Hessen gegenüber allen anderen Lehrämtern führt ursächlich zu diesem Mangel an ausgebildeten Grundschulpädagoginnen und -pädagogen. Der Versuch, ruhestandnahe und im Ruhestand befindliche Grundschullehrkräfte zur Unterrichtsabdeckung heranziehen zu wollen, stellt für uns einen Offenbarungseid verfehlter Personalpolitik des Hessischen Kultusministeriums dar. Ausdruck dieser verfehlten Personalpolitik ist es, dass die Landesregierung, den berechtigten Forderungen nach Gleichstellung des Grundschullehramtes mit allen anderen Lehrämtern in Hessen seit Jahren eine Absage erteilt. Neben der höchsten Unterrichtsverpflichtung und einer schier nicht enden wollenden Aufgabenfülle ist es auch die niedrige Besoldung nach dem Motto „Kleine Kinder – kleines Geld“, welche den Lehrkräftemangel an Grundschulen herbeiführt. Die damit einhergehende geringe Wertschätzung und mangelnde Anerkennung der Grundschulprofession rächt sich nun durch den Lehrkräftemangel an Grundschulen.

Durch die Anhebung des Lehramtes auf das Besoldungsniveau A 13 könnten auch mehr bereits ausgebildete Lehrkräfte für eine Weiterqualifizierung auf das Grundschullehramt gewonnen werden.  Durch die Gleichstellung und Gleichwertigkeit des Grundschullehramtes mit anderen Lehrämtern wäre auch die Entscheidung junger Menschen für den Beruf der Grundschullehrkraft sicher leichter zu erreichen.  Von einem erweiterten Studiengang, in dem es wie bei dem „Berliner Modell“ möglich ist, Sonderpädagogische Förderschwerpunkte als ein Fach im Studium des Grundschullehramtes zu studieren, versprechen wir uns neben einer besseren Vorbereitung auf die zukünftige Praxis, auch eine höhere Motivation junger Menschen, sich für den Beruf der Grundschullehrkraft zu entscheiden. Heute schon ist das  Anforderungsniveau in der gemeinsamen Arbeit von Grundschul- und Sonderpädagoginnen und -pädagogen gleich hoch und gleichwertig. „A13 für alle“, genauer A 13 auch für Grundschullehrkräfte ist die Konsequenz, die eine verantwortliche Politik zu ziehen hat.

Erklärung