Offenbarungseid der Landesregierung

Lehrermangel in Grundschulen und Förderschulen

Hessenweit das gleiche Bild: Grundschulen berichten davon, dass ausgebildete Lehrkräfte fehlen, die Ranglisten sind ausgeschöpft. Insbesondere an Grundschulen in Frankfurt und in der Rhein-Main-Region war bereits zum Schuljahresbeginn im September 2016 deutlich geworden, dass viele Stellen nicht oder nur mit erheblicher Verzögerung besetzt werden können. An ausgebildeten Berufsschullehrkräften besteht schon seit vielen Jahren ein eklatanter Mangel. Darüber hinaus können auch Stellen für Förderschullehrkräfte zunehmend nicht besetzt werden, insbesondere in Nordhessen. Im kommenden Schuljahr wird diese Situation noch dramatischer werden
Wieso fehlen die Lehrkräfte?

Kultusminister Lorz hat jetzt persönlich fast 2.200 Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen angeschrieben, von denen 1.600 in den letzten drei Jahren pensioniert worden sind und weitere 600 kurz vor dem Eintritt in die Pension stehen. Darüber hinaus sollen für den Erwerb der Lehrämter an Förderschulen und Grundschulen Weiterbildungsangebote für arbeitslose Lehrkräfte mit dem Lehramt für Haupt- und Realschule oder Gymnasien eingerichtet werden. Für das nächste Schuljahr rechnet das Kultusministerium mit 200 bis 300 fehlenden Lehrerinnen und Lehrern an hessischen Grundschulen. An Förderschulen liegt die Zahl der unbesetzten Stellen mindestens in einer zweistelligen Größenordnung. Und auch im laufenden Schuljahr konnten bei weitem nicht alle unbefristeten Stellen mit qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern besetzt werden, von befristeten Stellen ganz zu schweigen.

Die Ausbildungskapazitäten für das Lehramt an den Grundschulen sind in den letzten Jahren nicht nennenswert erweitert worden. Das Lehramt an Grundschulen kann man in Hessen an den Universitäten in Kassel, Gießen und Frankfurt studieren. Für Studienanfängerinnen und –anfänger stehen hierfür jedes Jahr knapp 500 Studienplätze zur Verfügung. Die Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber übersteigt die Zahl der Studienplätze bei weitem, sodass es für alle Lehramtsstudiengänge einen Numerus Clausus (NC) gibt. So gab es im Wintersemester 2016/2017 allein an der Goethe-Universität Frankfurt für 2.025 Bewerberinnen und Bewerber gerade einmal 120 Studienplätze. Der Notendurchschnitt für die 80 % der Studienplätze, die nach Noten vergeben werden, lag bei 2,2. Bei einem Schnitt von 3,3 müsste man zehn Halbjahre warten, um einen Studienplatz über die Anzahl der Wartesemester zu bekommen.

Nach Angaben des Statistischen Landesamtes legten in den letzten Jahren durchschnittlich rund 400 Studierende das Erste Staatsexamen für das Lehramt an Grundschulen (L1) ab. Hinzu kommen jedes Jahr rund 80 Kollegen und Kolleginnen, die ein Ergänzungs- oder Erweiterungsstudium abschließen. Allen, die dieses wollten, wurde ein Referendariatsplatz angeboten. Zum 1.11.2016 sollten nach Vorgaben des Hessischen Kultusministeriums 222 Einstellungen in den pädagogischen Vorbereitungsdienst vorgenommen werden. Aber nicht alle Stellen konnten besetzt werden. Es gab lediglich 206 Einstellungen in den pädagogischen Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Grundschulen. Beenden diese den Vorbereitungsdienst, verlassen sie viel häufiger als früher Hessen.

Grundschulen schlagen Alarm

Die Leiterinnen und Leiter vieler Grundschulen in Frankfurt zeigen sich darüber nicht verwundert. In einem Offenen Brief an Kultusminister Lorz (siehe Kasten) schreiben sie: „Viele Grundschullehrkräfte ziehen nach Vorstellungsgesprächen in Frankfurter Grundschulen Stellen im Umland oder in anderen Bundesländern vor, auch die hohen Mieten im Ballungsraum spielen dabei eine Rolle!“
Die Tatsache, dass die an Hessen angrenzenden Bundesländer vermehrt einstellen und deshalb Hessen auch nicht mehr dort ausgebildete Lehrkräfte „abwerben“ kann, wird auch von Minister Lorz nicht bestritten. Aber auch viele in Hessen ausgebildete Lehrkräfte entscheiden sich für ein Angebot außerhalb Hessens, da dort die Arbeitsbedingungen attraktiver sind.

Unter der Überschrift „Grundschulen schlagen Alarm“ berichtete die Frankfurter Rundschau am 27.1.2017 über einen von 57 Leiterinnen und Leitern und 18 Konrektorinnen und Konrektoren Frankfurter Grundschulen unterzeichneten Brief. Der Pressesprecher des Kultusministeriums Stefan Löwer tat die Kritik damit ab, dass Frankfurt „als wachsende Stadt“ ein „Sonderfall“ sei, dass es aber „landesweit gesehen bisher ausreichend Bewerber“ gegeben habe. Den aktuellen Lehrermangel habe „niemand prognostiziert“. Nur im kommenden Schuljahr müsse man nun kurzfristig mit Pensionären und Weiterbildungen gegensteuern. Langfristig wolle man aber die Ausbildungskapazitäten an den Unis ausweiten.

Die Regierung ist gefordert

Grundschullehrkräfte fehlen aber nicht nur im kommenden Schuljahr und den Bedarf an Lehrkräften gibt es auch nicht erst seit Kurzem. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler in den Klassen 1 bis 4 in Hessen ist im Schuljahr 2016/2017 von 207.850 auf 210.700 gestiegen. Hinzu kommen noch die Schülerinnen und Schüler, die in den Intensivklassen an den Grundschulen waren und zu Beginn des Schuljahres noch nicht in diese Zahl eingerechnet worden sind. Der Lehrkräftebedarf an Grundschulen ist also nicht erst durch die Zuwanderung von Flüchtlingen akut geworden. Es ist in den vergangenen Jahren schlicht versäumt worden, frühzeitig die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften auszubauen. Dass die Geburtenzahlen in Hessen wieder steigen, ist nicht neu. Auch die Anzahl der Lehrkräfte, die in Hessen in Pension gehen, ist weitgehend bekannt. Im Schuljahr 2015/2016 waren fast 8.300 Lehrkräfte älter als 60 Jahre.

Die Landesregierung und das Kultusministerium sind jetzt gefordert. Die erste Maßnahme ist schon angekündigt worden: In Gesprächen mit dem Wissenschaftsressort soll erreicht werden, dass die Ausbildungskapazitäten erhöht werden. Gut so! Nur durch eine deutliche Erhöhung der Ausbildungskapazitäten können überhaupt wieder genug Grundschullehrkräfte ausgebildet werden. Dies braucht natürlich Zeit. Kurzfristig sollen anderen qualifizierten Lehrkräften, die in ihrem Lehramt keine Stelle bekommen haben, Weiterbildungsmöglichkeiten für das Grundschullehramt angeboten werden.

Kontraproduktiv sind aber alle Maßnahmen, die die Lern- und Arbeitsbedingungen an Grundschulen weiter verschlechtern, wie zum Beispiel die Heraufsetzung von Gruppengrößen. Sie verschlimmern die Situation und erhöhen den Druck auf die Kolleginnen und Kollegen. Auch ein möglicher Einsatz sogenannter „Assistenzkräfte“, die Klassen und Gruppen nur noch beaufsichtigen, hat nichts mit einer professionellen pädagogischen Arbeit an Schulen zu tun. Alle Maßnahmen, die darauf abzielen, die wöchentliche Arbeitszeit oder auch die Lebensarbeitszeit zu erhöhen, gehen in die völlig falsche Richtung.

Benötigt wird eine nachhaltig angelegte Strategie, um die Gewinnung von qualifizierten Lehrkräften für die Zukunft sicherzustellen. Dazu bedarf es eines deutlichen Ausbaus der Studienplätze, die an den hessischen Universitäten zumeist durch einen NC zulassungsbeschränkt sind. Auch im Vorbereitungsdienst müssen entsprechend mehr Plätze eingerichtet werden. Zum letzten Einstellungstermin in den pädagogischen Vorbereitungsdienst im November 2016 wurden nur 206 Bewerberinnen und Bewerber für das Lehramt an Grundschulen eingestellt sowie 131 für das Förderschullehramt.

A13 für alle!

Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen dem nun offensichtlich werdenden Mangel einerseits und unzureichenden Arbeitsbedingungen andererseits. Für das Lehramt an Grundschulen kommt hinzu, dass die Kolleginnen und Kollegen deutlich geringer besoldet werden als an anderen Schulformen.
Auch diese Forderung nach einer besseren Besoldung der Lehrkräfte an Grundschulen findet die Unterstützung der Frankfurter Grundschulleitungen: „Wir brauchen (…) eine attraktive und angemessene Bezahlung der Grundschullehrkräfte – im Ballungsraum unter Umständen auch eine Ballungsraumzulage, um die Mieten finanzieren zu können.“

Und das nicht nur, um mehr Grundschullehrkräfte zu gewinnen (was sicher auch eine positive Folge wäre), sondern weil es aufgrund der zu leistenden Aufgaben schon lange angemessen und geboten ist. Auch Grundschullehrkräfte müssen endlich nach der Besoldungsgruppe A13 bezahlt werden!
Jetzt ist das Kultusministerium gefordert!