Atmosphärische Verbesserungen, aber weiter große Mängel

Schwarz-grüne Hochschulpolitik | HLZ Juni 2023

In der zweiten schwarz-grünen Koalition in der 20. Legislaturperiode des Hessischen Landtags wurde der heutige Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) zum Landtagspräsidenten, seine Nachfolgerin im Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWuK) wurde Angela Dorn von Bündnis90/Die Grünen, die ihren Stimmenanteil gegenüber 2013 von 11,1 % auf 19,8 % gesteigert hatten und damit mehr Gewicht in der zweiten schwarz-grünen Landesregierung beanspruchen konnten.


Der wohl größte Unterschied nach dem personellen Wechsel im Wissenschaftsministerium bestand im persönlichen Umgang. Sowohl Gewerkschaften als auch Personalräte erlebten eine deutlich stärker den Beschäftigten und den Studierenden zugewandte Ministerin, die ein ernsthaftes Interesse an Lösungen vermittelte, ein besonderes Interesse an Gleichstellungspolitik zeigte und sogar punktuelle Veränderungen und Verbesserungen durchsetzte. Letzteres aber immer so, dass sie den Hochschulleitungen nicht zu sehr auf die Füße trat, und mit Blick darauf, was mit der CDU umzusetzen möglich war.


Minimalinvasive, sanfte Steuerung ...


Dabei praktizierte das Ministerium und der Landesgesetzgeber eine minimalinvasive, „sanfte“ Steuerung der hessischen Hochschulen: Vereinbarungen, Ziele, Selbstverpflichtungen und möglichst begrenzte gesetzliche Vorschriften waren die Kernelemente dieser Politik. Programmpunkte, die wenig kosten, wurden umgesetzt, zu Kontroverses „wegmoderiert“.


Ein Beispiel für diese Art der Politik ist der im Dezember 2021 von Vertreter:innen der Hochschulleitungen, des Hauptpersonalrates sowie des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst unterzeichnete Kodex für gute Arbeit an hessischen Hochschulen. Dieser Kodex ist als Selbstverpflichtungserklärung ein zentrales hochschulpolitisches Instrument des schwarz-grünen Koalitionsvertrages, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und Befristungen an den Hochschulen einzudämmen.


Tatsächlich hat sich im Bereich der Befristungen aber nur  wenig bewegt. Angesichts einer unverbindlichen Steuerung über Selbstverpflichtungen oder langfristige Zielvereinbarungen ist dies auch wenig verwunderlich. Weiterhin sind über 80 Prozent des wissenschaftlichen und rund 20 Prozent des administrativ-technischen Personals auf Zeit angestellt. Die geringe Zahl unbefristeter Arbeitsverhältnisse schadet letztlich der Qualität von Studium, Lehre und Forschung. Außerdem stellen befristete Arbeitsverträge eine erhebliche Belastung für die Beschäftigten dar, ist deren Zukunftsplanung durch die Befristungen doch mit erheblichen Unsicherheiten belastet.


Zu einer dringend erforderlichen Entfristung von Beschäftigungsverhältnissen wird es nur kommen, wenn seitens der nächsten Landesregierung verbindliche Maßnahmen ergriffen werden. Orientierung kann dabei der Grundsatz „Dauerstellen für Daueraufgaben“ bieten. Außerdem muss das Land auf den Bundesgesetzgeber einwirken, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz so zu reformieren, dass mehr unbefristete Beschäftigung nach der Promotion entsteht.
Neben der Entfristung muss die Verbesserung der Personalausstattung der Hochschulen das wichtigste hochschulpolitische Thema der nächsten Landesregierung sein. Die prekäre Finanzierung der Hochschulen hat in der jüngeren Vergangenheit zu einer weiteren Verschlechterung der Lehre geführt. Die Entwicklung der Zahl der Hochschulbeschäftigten bleibt seit etlichen Jahren weit hinter dem deutlichen Anstieg der Studierendenzahlen zurück. Diese Probleme sind während der Corona-Pandemie noch einmal deutlicher hervorgetreten.
 

... ohne relevante Fortschritte


Zum Ausdruck kommt die personelle Unterbesetzung unter anderem darin, dass immer mehr Lehraufträge für die Sicherstellung der grundständigen Lehre vergeben werden – und nicht wie eigentlich gedacht zur Vermittlung der beruflichen Praxis. Daher sollte die Zahl der Lehraufträge reduziert und die freiwerdenden finanziellen Mittel in Dauerstellen umgewandelt werden.


Positiv ist in diesem Zusammenhang zu sehen, dass das HMWuK die neue Personalkategorie der „Hochschullektorinnen und Hochschullektoren“ für qualifiziertes Personal unterhalb der Professur geschaffen hat, um dauerhaft beschäftigte wissenschaftliche Mitarbeiter:innen zu gewinnen, die sich voll und ganz auf zentrale Aufgaben in Studium, Lehre und Forschung konzentrieren können. Allerdings steht die Finanzierungslogik der Hochschulen der Umsetzung entgegen. Gemessen an der Entwicklung der Studierendenzahlen fehlen in Hessen derzeit rund 1.000 zusätzliche Stellen für die Lehre. Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen, die zum Großteil bei Professor:innen angestellt sind, werden in der Regel nicht unbefristet beschäftigt. Das Land sollte daher zusätzliche zweckgebundene Mittel zur Verfügung stellen, die die Hochschulen einzig und allein dazu verwenden dürfen, unabhängige Hochschullektor:innen auf Instituts- oder Fachbereichsebene anzustellen. Um die über die Jahre entstandenen Qualitätsverluste in Studium und Lehre ausgleichen zu können, sind aktuell ca. 1.000 zusätzliche Hochschullektor:innen nötig, was Mehrkosten von etwa 100 Millionen Euro entspricht.