Digitalisierungsschub durch Corona

Unterm Strich eine gute Politik des Wissenschaftsministeriums

HLZ 11/2020: Digitale Hochschule

Noch kurz vor den drastischen Einschnitten aufgrund der Coronapandemie brachte das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) den Hessischen Hochschulpakt zum Abschluss. Er sichert den Hochschulen eine jährliche Erhöhung ihrer Gelder zu, die es neben einer schrittweisen Verbesserung der Betreuungsrelationen auch ermöglichen wird, mehr unbefristetes Personal einzustellen. Ein solches Finanzvolumen wäre nach Corona sicher nicht ohne weiteres möglich gewesen! Der Hochschulpakt sieht vor, dass alle Hochschulen die Digitalisierung als strategische Aufgabe verankern müssen. Finanziell hat das Wissenschaftsministerium dafür noch einmal nachgelegt und einen bundesweit in dieser Form bisher einmaligen Digitalpakt geschnürt, der den Hochschulen zusätzlich 112 Millionen Euro bis zum Jahr 2024 zur Verfügung stellt. Dies ist in der Höhe insgesamt deutlich mehr als andere Bundesländer. Gemessen an der Zahl der Studierenden liegen die 8 Millionen im Jahr 2020 leicht unter dem Niveau des Sofortprogrammes für Digitalisierung von Niedersachsen, deutlich hinter dem von Baden-Württemberg und leicht über dem von Nordrhein-Westfalen. Die ostdeutschen Bundesländer drohen bei der Digitalisierung hingegen zurückzufallen.

Mehr Personal für die Lehre

Auffällig ist die dezidiert strategische Ausrichtung der Digitalisierungsbemühungen in Hessen, auch bereits vor Corona. Zu nennen sind exemplarisch der Aufbau der hessischen Forschungsdateninfrastruktur zur Bereitstellung von Forschungsergebnissen oder das Projekt Digital gestütztes Lernen und Lehren in Hessen (https://www.digll-hessen.de). Leider ist aber zu befürchten, dass die projektförmige und aktuell befristet in Aussicht gestellte Vergabe zusätzlicher Mittel für die Hochschulleitungen ein Argument sein wird, vorwiegend befristetes Personal einzustellen. Doch die Digitalisierung in den Hochschulen zu begleiten, ist eine dauerhafte Aufgabe und bedarf auch gerade für die Attraktivität der dortigen Arbeitsplätze unbefristeter Beschäftigung mit guten Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Auch darf die Digitalisierung nicht zum Abbau von Arbeitsplätzen führen. So haben etliche Fachbereiche zwar die vollen Mittel erhalten, viele Lehrbeauftragte aber nicht weiterbeschäftigt, die dann wiederum auf Soforthilfen angewiesen waren. Hier müssen die Hochschulen das Hybridsemester nutzen, mehr Personal in der Lehre einzusetzen.

Wie auch bei der Soforthilfe für Studierende (HLZ S.18)kann man kritisieren, dass das Finanzvolumen zu niedrig ist, und fragen, warum der Digitalpakt nur auf Hessen beschränkt bleibt. Doch liegt dies mehr an der Untätigkeit des Bundes, so sehr auch in Fragen der Digitalisierung föderalistische Strukturen anachronistisch erscheinen. So sollte das Land auch weiter Bemühungen wie an der Universität Marburg fördern, auf landeseigenen Servern von privaten Anbietern unabhängige Lösungen für Videokonferenzsysteme zu entwickeln. Nur so wird der Abschied von Zoom & Co. in Zukunft möglich sein.

https://www.uni-marburg.de/de/hefdi

Per Dienstanweisung hat das HMWK die Bedingungen für Beschäftigte im Sommersemester vorgegeben und mobiles Arbeiten sowie Home Office angeordnet, doch konnten Beschäftigte mit jüngeren Kindern, damit in der Hauptsache Frauen, so gut wie nie wegen der Betreuung von Kindern vom Dienst befreit werden. Dies hat Frauen noch mehr als ohnehin schon während Corona benachteiligt. Frauen in der Wissenschaft darf das Ministerium aber zukünftig nicht aus den Augen verlieren, wenn es Geschlechtergerechtigkeit durchsetzen will. Das Hybridsemester im Sommer und die Ankündigungen für das Wintersemester sind gerade für Beschäftigte auf Qualifikationsstellen mit erheblicher Mehrarbeit in der Lehre verbunden, gleichzeitig sind ihre Möglichkeiten zur Forschung nach wie vor eingeschränkt (HLZ S. 10). Auch hier ist das Ministerium gefragt, die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge an den Hochschulen zu kontrollieren. Die Personalräte der Gewerkschaften müssen den Druck erhöhen, damit das bei den Hochschulleitungen ankommt.

Die aktuell beschleunigte Digitalisierung im Sinne einer Humanisierung zu beeinflussen, damit – pathetisch ausgedrückt – die Maschine dem Menschen dient und nicht umgekehrt, ist auch die Aufgabe der GEW. Die Forderungen der GEW nach guter Arbeit an den digitalen Hochschulen liegen schon lange auf dem Tisch:

  • gute Beschäftigungsbedingungen auch in der digitalen Lehre, Forschung und Verwaltung
  • angemessene Ausstattung und Einhaltung der Arbeitszeit im Home Office
  • Stärkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung von Lehrenden und Lernenden
  • Stärkung der Informationssicherheit
  • kostenfreie und kontinuierliche Fortbildung und Qualifizierung des Personals während der Arbeitszeit

Aber auch darüber hinausweisenden Eckpunkten wird die GEW ihre Aufmerksamkeit widmen: Strom aus ökologischen Quellen, nachhaltige Produktion digitaler Infrastruktur und gute Arbeitsbedingungen für diejenigen, die von der Rohstoffgewinnung bis zur Erzeugung die Massen an Hardware herstellen, Stichwort Lieferkettengesetz.

Tobias Cepok

Tobias Cepok ist Referent der GEW Hessen für die Bereiche Hochschule und Jugendarbeit.

Bild: "Das Schild trügt: Die Hochschulen sollen im Wintersemester wieder für Studierende geöffnet werden.", Harald Freiling