Für eine neue Hochschulstrategie

Warum der Kodex für gute Arbeit nichts verändern wird

HLZ 3/2022: Gewerkschaften

Wie in der HLZ 1-2/2022 (Seite 23) berichtet unterzeichneten die 14 Hochschulleitungen und das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) im Dezember 2021 einen Kodex für gute Arbeit an hessischen Hochschulen. Die Reaktionen waren sowohl innerhalb der Gewerkschaften als auch bei den Personalräten gespalten. Kollege Anil Shah ist GEW-Mitglied und aktiv bei Uni Kassel Unbefristet und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Kassel mit einem befristeten Teilzeitarbeitsvertrag. Er fordert eine neue gewerkschaftliche Hochschulstrategie.

Die Versprechen waren wie immer vollmundig, als der Kodex im vergangenen Dezember vorgestellt wurde. Die Selbstverpflichtung würde der Forderung nach Dauerstellen für Daueraufgaben entsprechen, die Beschäftigungsqualität verbessern und berechenbare Karrierewege ermöglichen, so der Tenor des HMWK und der Hochschulleitungen. Doch wie Uni Kassel Unbefristet in einer ausführlichen Analyse gezeigt hat, wird dieser Kodex an der Realität prekärer Beschäftigung und struktureller Überlastung nichts ändern (https://unikasselunbefristet.com).

Der Kodex reiht sich in eine lange Liste von unverbindlichen Erklärungen ein. Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag enthielt bereits 2013 die Ankündigung, gegen die grassierende Befristungspraxis an Hochschulen vorgehen zu wollen. Nach über acht Jahren gibt es keine Trendwende und mit der Verabschiedung des Kodex ist das Thema für die laufende Legislaturperiode abgearbeitet. Auf Hochschulebene werden regelmäßig Richtlinien und Konzepte erarbeitet, die allesamt daran scheitern, dass sie die Befristungspraxis nicht grundsätzlich infrage stellen.

Der Realitätsverlust der deutschen Hochschulpolitik wird immer wieder mit dem Verweis gerechtfertigt, dass die Mühlsteine der Demokratie nun mal langsam mahlen. Umso wichtiger sei es, dass alle Parteien weiter in Kontakt blieben und gemeinsam an konstruktiven Lösungen arbeiteten. In einem Pressestatement zum Kodex hob Wissenschaftsministerin Angela Dorn hervor, dass „der Prozess, der zum Kodex geführt hat, fast so wichtig wie das Ergebnis“ sei. Tatsächlich fehlte den Verhandlungen über Monate hinweg jede Transparenz und den drei Vertreterinnen des Hauptpersonalrats standen 15 Vertreter:innen aus Ministerium und Hochschulen gegenüber.
Diese strukturelle Ungleichheit ist business as usual. Letztlich entscheidet eine verhältnismäßig kleine Gruppe von verbeamteten Professor:innen, im Zweifel gegen die Bedenken von studentischen Beschäftigten, befristetem wissenschaftlichem Mittelbau und Verwaltungsangestellten. Letztere sind meist nicht mal formal beteiligt. Es gibt kein relevantes Hochschulgremium, in dem die Minderheit der Professor:innen nicht die Mehrheit der Stimmrechte hat. Der Muff feudaler Hierarchien wabert auch ganz ohne Talare durch die Flure der unternehmerischen Hochschule.

Mythos Hochschuldemokratie
Doch es fehlt auch an gewerkschaftlicher Organisierung. Der Anteil an Gewerkschaftsmitgliedern ist gering; kurze Vertragslaufzeiten, weitverbreitetes Pendeln und permanente Überarbeitung erschweren die Organisierung zusätzlich. Die Corona-Pandemie hat die Mehrfachbelastung in der Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen derart verschärft, dass gewerkschaftliches Engagement für viele zeitlich unmöglich erscheint. Trotzdem gibt es gute Gründe, optimistisch zu bleiben.

Die Initiative Uni Kassel Unbefristet, GEW und ver.di haben gemeinsam in den vergangenen Jahren an einer Organisierung von unten gearbeitet. Wir haben immer wieder Hunderte Beschäftigte zu Aktionen mobilisiert und die Hochschulleitung konfrontiert. Hinter diesem Erfolg stehen unzählige persönliche Gespräche – auf den Fluren, in den Büros, bei aktiven Mittagspausen oder Infoständen vor der Mensa. Die Gespräche haben gezeigt: Fast alle Hochschulbeschäftigten leiden unter dem Befristungsunwesen und der damit zusammenhängenden Arbeitsüberlastung. So gut wie alle haben genug davon, doch nur wenige glauben an eine Veränderung des Status quo. Sie sind Zeugen der leeren Versprechen einer neuen Landesregierung und der Beharrungskräfte feudaler Hochschulgremien und sehen, wie die Verantwortung für prekäre Arbeitsbedingungen zwischen Hochschulen, Land und Bund hin- und hergeschoben wird.

Auch das Vertrauen in die Gewerkschaften ist begrenzt. Wirksame Maßnahmen gegen Befristung waren selten Teil von Tarifverhandlungen. Selbst der Abschluss des TV-H im Herbst 2021 konnte trotz entsprechender Forderungen zur Befristungspraxis nichts erreichen, außer einer Gesprächseinladung des HMWK für die zweite Jahreshälfte 2022. Schon 2018 scheiterten entsprechende Gespräche mit dem Innenministerium: Erfolge sehen anders aus!

Um trotzdem zu gewinnen, brauchen wir eine konsequente, gemeinsame gewerkschafts- und hochschulübergreifende Strategie und eine solidarische Organisierung vor Ort. Es braucht verbindliche, wirksame und zeitlich definierte Maßnahmen, die das Befristungsunwesen abwickeln und die strukturelle Überlastung beheben. Wir haben die Macht, dies einzufordern, wenn wir die Spaltungen zwischen scheinbar konkurrierenden Gewerkschaften, Statusgruppen und Hochschulen durchbrechen. Wir sind die Mehrheit, wir halten das deutsche Hochschulsystem tagtäglich am Laufen – nicht selten durch unsere unbezahlte Arbeitszeit. Es rumort bereits an vielen Stellen. Überall in der Bundesrepublik gründen sich Initiativen und Allianzen, die das Befristungsunwesen abschaffen wollen. Wenn wir diese Energie bündeln und auf allen Ebenen – vom Fakultätsrat bis in die Wissenschaftsministerien – klarmachen, dass es einen grundlegenden Wandel in der Beschäftigungspolitik braucht, können wir auch wieder gewinnen.
Die GEW kann aus einem solchen Prozess nur gestärkt hervorgehen. Bis zur nächsten Tarifrunde haben wir noch einige Monate Zeit – und viel zu tun. Lasst es uns anpacken, gemeinsam und konsequent!

Anil Shah