Hessen hinten

Zur Betreuungssituation der Studierenden in Hessen

HLZ 12/2016: Arbeitsplatz Hochschule

Die Landesregierung wird nicht müde zu betonen, wie viel sie für Hochschule und Forschung in Hessen leiste. In diesem Sinne stellte Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU) am 14. Oktober den Wissenschaft- und Kunsthaushalt für das Jahr 2017 vor: Das Land investiere insgesamt 2,684 Milliarden Euro in Wissenschaft, Forschung und Lehre. Die Grundfinanzierung der Hochschulen solle um 18,6 Millionen Euro auf 1,6 Milliarden Euro steigen, durch den Hochschulpakt 2020 kämen weitere 302 Millionen Euro hinzu, davon die Hälfte aus Landesmitteln. Auch die Förderung der Studentenwerke solle um 1,2 Millionen Euro auf insgesamt 21,1 Millionen Euro aufgestockt werden.

Es wurden zudem 100 neue Professorenplanstellen sowie 50 Professorenstellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs angekündigt. Die 50 zusätzlichen Nachwuchs-Stellen sind Teil des Bund-Länder-Programms zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, durch welches bundesweit 1.000 Tenure-Track-Stellen eingerichtet werden sollen (1). In Hessen soll dies im Rahmen der Qualifikationsprofessur mit Entwicklungszusage, die 2016 mit der Novellierung des Hessischen Hochschulgesetzes eingeführt wurde, umgesetzt werden. Zusammenfassend behauptete Boris Rhein:
„Die zusätzlichen Planstellen schaffen bessere und verlässlichere Chancen für alle Beteiligten: Die Studierenden werden intensiver betreut, die Professorinnen und Professoren können mit dauerhaften und hochwertigen Beschäftigungsverhältnissen rechnen. Besonders freue ich mich für den wissenschaftlichen Nachwuchs: Ihm bieten wir sichere Zukunftsperspektiven.“

Das klingt zunächst nicht schlecht, steht aber in einem augenscheinlichen Kontrast zum Alltag an den Hochschulen: überfüllte Lehrveranstaltungen, unsichere Beschäftigungsverhältnisse, gestiegener Leistungsdruck für Studierende und Beschäftigte sowie eine Verdichtung der Arbeit. Inwieweit die angekündigten Stellen eine tatsächliche Verbesserung darstellen, ist genau zu betrachten. Vor Ort lässt sich an einigen Hochschulen bereits beobachten, dass die „Nachwuchsstellen“ zur Überbrückung der Zeit eingesetzt werden, bis eine reguläre Professur aufgrund von Pensionierung frei wird. Hier wird im Einzelfall darauf zu achten sein, dass auf diesem Wege tatsächlich neue zusätzliche Stellen entstehen. Zur genaueren Analyse greifen wir auf Daten zurück, die das Statistische Bundesamt in seiner jüngsten Ausgabe von „Hochschulen auf einem Blick“ vorgelegt hat. In dieser Publikation veröffentlicht das Statistische Bundesamt gut aufbereitete Übersichtsdaten zu den Hochschulen in Deutschland. Die bis 2013 jährlich aufgelegte Broschüre wird inzwischen leider nur noch unregelmäßig aktualisiert. Mit den nun vorgelegten Daten können die vor zwei Jahren in der HLZ präsentierten Zeitreihen fortgeschrieben werden (2).

Um die Finanzausstattung der Hochschulen zu beurteilen, ist es wenig hilfreich, allein auf die absoluten Beträge im Haushalt zu schauen. Um diese sinnvoll einordnen zu können, müssen sie in Relation zu den Aufgaben der Hochschulen bewertet werden. Daher setzt das Statistische Bundesamt die den Hochschulen als Grundmittel für die laufenden Ausgaben zur Verfügung gestellten Mittel ins Verhältnis zur Zahl der Studierenden. Im Jahr 2013 standen den Universitäten im Bundesländervergleich von 6.290 Euro in Brandenburg bis zu 11.190 Euro in Niedersachen pro Student oder Studentin zur Verfügung. Der bundesweite Durchschnitt lag bei 8.080 Euro (siehe Tabelle 1).

Der Blick auf die Entwicklung seit 2004 zeigt auf, dass sich die Kennziffer bundesweit deutlich verschlechtert hat, denn 2004 standen durchschnittlich noch 9.120 Euro bereit. Auch an den hessischen Universitäten hat sich die Finanzausstattung deutlich verschlechtert und lag 2013 mit 7.830 Euro um 250 Euro unterhalb des bundesweiten Durchschnitts. Etwas anders ist die Situation der Fachhochschulen: Auch bei diesen ist die Finanzausstattung in Relation zur Studierendenzahl seit 2004 rückläufig, allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau als bei den Universitäten. War für die hessischen Fachhochschulen, die seit der Novellierung des Hochschulgesetzes Hochschulen für angewandte Wissenschaft heißen, 2010 noch ein deutlich unterdurchschnittlicher Wert ausgewiesen, so erreichten sie 2013 mit 4.020 Euro einen Wert auf dem bundesweiten Durchschnittsniveau. Bei dieser Zeitreihe ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Kaufkraftverlust nicht berücksichtigt wird. Ein inflationsbereinigter Indikator würde nochmals ungünstiger ausfallen. Nicht zuletzt aus diesem Grund macht es Sinn, weitere Kennzahlen in den Blick zu nehmen.
Das Statistische Bundesamt untersucht auch das Verhältnis der Zahl der Lehrenden zu der der Studierenden. Dies stellt einen sehr aussagekräftigen Indikator dar, denn die Vor­aussetzungen für eine gute Hochschulbildung werden maßgeblich von den bestehenden Betreuungsrelationen bestimmt. Hierbei werden Drittmittelbeschäftigte nicht berücksichtigt, da diese in der Regel nicht für Aufgaben in der Lehre herangezogen werden. Auch die Humanmedizin bleibt außen vor. Um Teilzeitarbeit angemessen zu berücksichtigen, wird mit Vollzeitäquivalenten gerechnet.

Bundesweit kamen 2014 rechnerisch auf einen Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin in Vollzeit an einer Universität 19,2 Studierende, an Fachhochschulen waren es 24,9. Im Zeitraum von 2004 bis 2014 hat sich dieser Wert verschlechtert, an den Universitäten deutlicher als an den Fachhochschulen. Hessen blieb in dieser Hinsicht in den letzten Jahren deutlich hinter den meisten anderen Bundesländern zurück. Gerade in den letzten hier analysierten Jahren von 2011 bis 2014 ist Hessen im Vergleich zu den anderen Bundesländern nochmals weiter zurückgefallen. Hessen liegt nun sowohl bezüglich der Universitäten als auch der Fachhochschulen jeweils auf dem vorletzten Platz. Nur an den nordrhein-westfälischen Universitäten kommen mehr Studierende auf ein wissenschaftliches Vollzeitäquivalent als in Hessen, wo der Wert bei 22,3 liegt. Hinter einer Betreuungsrelation von 1 zu 33 an den hessischen Fachhochschulen bleibt einzig Schleswig-Holstein zurück.

Es zeigt sich also, dass die Betreuungssituation der Studierenden in Hessen alles andere als zufriedenstellend ist. Um festzustellen, dass die angekündigten 150 zusätzlichen Professuren kaum den versprochenen merkbaren Beitrag zur besseren Betreuung leisten können, genügt eine einfache Überschlagsrechnung: Angesichts von 244.322 Studierenden im Wintersemester 2015/2016 kommt auf jede einzelne der angekündigten 150 zusätzlichen Professuren eine Zahl von 1.629 Studierenden. Die oben aufgezeigten Betreuungsrelationen werden sich – selbst wenn die Studierendenzahl nicht wie in den Jahren zuvor weiter ansteigen sollte – allenfalls minimal verbessern, Hessen bleibt absehbar in der Schlussgruppe der Bundesländer. Ähnlich sieht es hinsichtlich der Finanzausstattung aus: 18,6 Millionen Euro zusätzlich für die Grundfinanzierung der Hochschulen laufen pro Kopf auf einen Betrag von nicht mehr als 76 Euro hinaus. Damit bleiben die hessischen Universitäten auch hinsichtlich der Finanzausstattung weiter hinter dem Bundesdurchschnitt zurück.

Zwei Seiten einer Medaille

Die GEW hat 2010 in ihrem Templiner Manifest festgestellt, dass „gute Lehre und Forschung auf der einen Seite sowie gute Arbeitsbedingungen und berufliche Perspektiven auf der anderen zwei Seiten einer Medaille“ sind. Es liegt auf der Hand, dass eine unzureichende Finanz- und Personalausstattung der Hochschulen sich nicht nur negativ auf die Studienbedingungen auswirkt, sondern auch auf die Arbeitsbelastungen des wissenschaftlichen Personals. Der Trend zu prekären Arbeitsverhältnissen, etwa hinsichtlich einer ausufernden Befristungspraxis und der Verbreitung von „Zwangsteilzeit“, geht daher mit wachsenden Anforderungen durch die Betreuung von immer mehr Studierenden einher. Ganz sicher bringen die angekündigten 50 Professuren mit Entwicklungszusage alleine nicht die von Staatsminister Boris Rhein versprochene „sichere Zukunftsperspektive“ für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Dazu ist die Zahl nicht nur zu gering, es bedürfte darüber hinaus auch mehr Dauerstellen für qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jenseits der Professur.


(1) siehe Beitrag von Andreas Keller und Sonja Staack, HLZ S.16
(2) Roman George: Hessen als Vorreiter? Ein Blick auf die Finanzierung der Hochschulen, HLZ 12/2014, S. 26-27.