HHG: Hürden statt sozialer Öffnung

HLZ 4/2015: Studieren in Hessen

Im Dezember 2014 hat das Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) Hochschulen, Parteien und Verbänden einen Entwurf für eine Novellierung des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG) und anderer Vorschriften zugeleitet. Die GEW hat dazu im Februar gegenüber dem Ministerium schriftlich Stellung genommen. CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatten bereits in ihrem Koalitionsvertrag eine „umfassende Neufassung“ des HHG nach einem „breiten Evaluations- und Erörterungsverfahren“ angekündigt. Tatsächlich hatte das Ministerium schon 2014 um Stellungnahmen zu den Erfahrungen mit der geltenden Fassung des HHG gebeten. Die GEW hat in diesem Rahmen auf aus ihrer Sicht besonders drängende Probleme hingewiesen. Leider ist nicht ersichtlich, inwiefern Ergebnisse aus der Evaluation in den nun vorgelegten Entwurf eingeflossen sind. Zur Lösung der von der GEW benannten Probleme trägt er entsprechend wenig bei. Der folgende Beitrag konzentriert sich auf die Frage, ob der Entwurf zu einer sozialen Öffnung der Hochschulen beitragen könnte.

Neuralgische Punkte hinsichtlich der sozialen Selektivität sind Übergange im Bildungssystem. Der „Bildungstrichter“ der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) zeigt, dass Schülerinnen und Schüler mit einem nicht-akademischen familiären Hintergrund viel seltener studieren. Auch nach erfolgreichem Abschluss der gymnasialen Oberstufe nimmt diese Gruppe deutlich seltener ein Studium auf als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler aus akademisch geprägten Familien. Zur Verringerung der herkunftsspezifischen Hürden bei Bildungsübergängen ist die geplante Erweiterung der Voraussetzungen zur Aufnahme eines Studiums ein Fortschritt. Zukünftig soll die Hochschulzugangsberechtigung nicht nur durch einen Meisterabschluss, sondern auch durch qualifizierte Fort- und Weiterbildungen erlangt werden.

Neues Hochschulgesetz mit neuen Hürden

Gleichzeitig will das Ministerium in § 57 des Entwurfs die Möglichkeit eröffnen, den Zugang zu einem grundständigen Studiengang an die Teilnahme an einem durch Satzung der Hochschule näher geregelten Studienorientierungsverfahren zu knüpfen. Schon jetzt erproben Hochschulen in einzelnen Fächern „Online-Self-Assessments“ zur individuellen Überprüfung der Studieneignung. Zwar sind auf Freiwilligkeit basierende Informationsangebote für eine verbesserte Studienfachwahl zu begrüßen, ein verpflichtendes Verfahren birgt aber große Risiken, da es eine zusätzliche Hürde aufbaut. Es besteht die Gefahr, dass dadurch gerade auch Studieninteressierte ohne akademischen Familienhintergrund ausgesiebt werden, denn ein solches Verfahren kann – in Abhängigkeit von der konkreten Ausgestaltung – eine abschreckende Wirkung entfalten. An der Technischen Universität Darmstadt sollen zukünftig alle Studierenden durch die Drohung mit einer Zwangsexmatrikulation zum Abschluss individueller Studienvereinbarungen gezwungen werden. Damit wird die Verantwortung für ein erfolgreiches Studium alleine auf die Schultern der Studierenden gelegt. Der AStA hatte in der Vergangenheit erfolgreich gegen solche Vereinbarungen geklagt. Die GEW bleibt dabei, dass Studienerfolge von guten Bedingungen und der Freiheit zu Bildungsentscheidungen abhängen und nicht durch äußeren Druck zustande kommen.

Die Forderungen der GEW zum Abbau bestehender Hürden für Übergänge im Bildungssystem werden weitgehend ignoriert: So fordert die GEW die Einführung eines Teilzeitstudiums und den garantierten Zugang zu einem weiterführenden Master-Studium. Master-Studienplätze werden oft nur in Abhängigkeit von der Abschlussnote des Bachelor-Studiums vergeben. Angesichts des großen Interesses an zu wenigen Studienplätzen führt selbst eine sehr gute Abschlussnote nicht sicher zu einer Aufnahme. Weil Bachelor-Absolventinnen und -Absolventen aus den niedrigeren sozialen Herkunftsgruppen seltener als andere einen Master-Studiengang aufnehmen, fordert die GEW einen Rechtsanspruch auf einen weiterführenden Master-Studienplatz.

Studien im Auftrag der GEW haben aufgezeigt, dass bereits bei der Vergabe von Hilfskraftstellen die soziale Herkunft der Studierenden eine bedeutende Rolle spielt (HLZ S. 10). Privilegierte Studierende können sich bei den nicht-öffentlichen Stellenbesetzungen deutlich besser platzieren. Aus Sicht der GEW wären für einen besseren Zugang zu diesem Einstieg in die wissenschaftliche Karriere eine verpflichtende Ausschreibung der Stellen und eine Anhebung der Bezahlung sinnvoll.

Ein geschlossenes Karrieresystem

Auf der akademischen Karriereleiter setzt sich der Prozess der sozialen Schließung fort. Ein wichtiger Grund dafür ist die im deutschen Wissenschaftssystem extrem ausgeprägte biographische Unsicherheit, denn das Wagnis einer Wissenschaftskarriere muss man sich buchstäblich „leisten“ können. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden bis zum Erreichen einer Professur als „Nachwuchs“ betrachtet. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne Professur ist daher weder selbstständiges Forschen noch eine Dauerbeschäftigung vorgesehen. Da die Berufung auf eine Professur jedoch in der Regel erst in einem Alter von etwa 40 Jahren erfolgt, läuft die Entscheidung für eine wissenschaftliche Tätigkeit auf eine ausgedehnte Phase der materiellen und biographischen Unsicherheit hinaus, über deren Erfolgschancen sich bestenfalls spekulieren lässt.

Die Öffnung dieses Karrieresystems durch die Einführung von Juniorprofessuren kommt ebenfalls nicht voran. Die Juniorprofessur blieb aufgrund von Vorbehalten an den Hochschulen und mangelnder Ausstattung eine eher ungeliebte Alternative zum klassischen Weg zur Professur über eine Habilitation. In Hessen soll nun die Juniorprofessur gänzlich abgeschafft und durch eine „Entwicklungszusage“ mit „frühzeitig gesicherten Karriereperspektiven“ ersetzt werden: Nach § 64 des Entwurfs sollen nach einer höchstens sechsjährigen Bewährungsphase eine Professur auf Dauer oder eine höhere Besoldungsstufe erlangt werden können, wenn die Bewährung im Rahmen eines Evaluationsverfahrens festgestellt wurde. Dazu müssten die Hochschulen allerdings in der Breite Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unmittelbar nach der Promotion eine solche „Entwicklungszusage“ anbieten.

Wird hingegen mit bereits Habilitierten eine Entwicklungszusage abgeschlossen, würde sich die Phase der biographischen Unsicherheit sogar verlängern. Eine weitere Voraussetzung zum Gelingen wäre eine reduzierte Lehrverpflichtung. Während eine solche für Juniorprofessuren gilt, ist dies bei Entwicklungszusagen anscheinend nicht vorgesehen. Verbesserte Rahmenbedingungen für den Großteil des wissenschaftlichen Personals plant das Ministerium leider überhaupt nicht. So müsste das HHG in Zukunft nach Meinung der GEW unter anderem (wieder) Mindestvertragslaufzeiten und eine Verpflichtung auf eine unbefristete Einstellung bei Daueraufgaben vorsehen.

Tobias Cepok, Roman George, Angela Graf


Hochschulpakt: Das Templiner Manifest wirkt ...

Der jahrelange, hartnäckige Einsatz der GEW für gute Arbeitsbedingungen und verlässliche Karrierewege an Hochschulen trägt auch in Hessen Früchte. Einige Aspekte des seit 2010 formulierten Forderungskatalogs „Templiner Manifest“ haben Eingang in den neuen Hessischen Hochschulpakt 2016-2020 gefunden. So haben sich die Hochschulen neuerdings verpflichtet, Personalkonzepte zu entwickeln, die
„insbesondere vorsehen, dass Daueraufgaben in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen wahrgenommen werden, (…) sie erlassen Leitlinien zu einer adäquaten Befristungspraxis beim wissenschaftlichen Personal, mit denen (…) jeweils der Bezug zwischen Befristungszweck und Befristungsdauer hergestellt (…) wird. Die Hochschulen werden den Anteil kurzfristiger wissenschaftlicher Beschäftigungsverhältnisse reduzieren und den Anteil unbefristeter wissenschaftlicher Beschäftigungsverhältnisse (…) erhöhen.“
Ein Etappenerfolg für die GEW Hessen, der nun in die Praxis umgesetzt werden muss. Wir bleiben dran!

Templiner Manifest