Im Gespräch

Tanja Brühl, Vizepräsidentin der Goethe-Universität

HLZ 12/2016: Arbeitsplatz Hochschule

Seit fast einem Jahr bist du erneut Vizepräsidentin der Goethe-Universität und zuständig für Studium und Lehre. Was sind deine zentralen Vorhaben für die laufende Amtsperiode?

Mein wichtigstes Ziel ist es, weiter gemeinsam mit Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden die Studienqualität zu verbessern. Mit dem neuen Partnerschulprogramm informieren wir Schülerinnen und Schüler gezielter über Ausbildungs- und Studienangebote. Zudem entwickeln wir neue OSAs (Online Studienwahl Assistenten). Bisher haben wir für zwölf Fächer diese kurzen Videos, Texte und Selbsteinschätzungsaufgaben, mit denen Studieninteressierte genauere Informationen über die verschiedenen Studiengänge erhalten. Außerdem wollen wir Jugendliche mit Studienzweifeln gezielter beraten. Daher haben wir „Studienerfolg im Dialog“ initiiert: Studierende werden automatisiert zur Studienberatung eingeladen, wenn sie zum Beispiel in den ersten Semestern sehr wenige Kreditpunkte erworben haben. Wir möchten wissen: Woran liegt das? Zugleich laden wir aber auch diejenigen Studierenden ein, die außergewöhnlich gute Noten haben. Sie möchten wir unter anderem auf die vielfältigen Stipendienprogramme hinweisen.

Außerdem möchte ich in der Studiengangsentwicklung weiter vorankommen. Nachdem der Senat im Sommer 2014 das Leitbild Lehre verabschiedet hat, gilt es nun, dieses fachspezifisch anzupassen und weiterzuentwickeln. Im Leitbild bekennt sich die Goethe-Universität zum forschenden Lernen als didaktisch-methodischem Konzept. Forschendes Lernen heißt, Wissen als etwas im Werden Begriffenes zu verstehen. Studierende werden zu Fragenden und dadurch zu Forschenden. Aber was heißt das in der Germanistik, was in der Physik? Wie sollten Einführungsveranstaltungen aussehen? Mit der neuen Lehrveranstaltungsevaluation, die wir im letzten Jahr erarbeitet und im Sommer verabschiedet haben, erhalten die Lehrenden nun noch schneller und zielgerichteter Rückmeldung zu ihren Seminaren, Praktika und Vorlesungen. Dabei gibt es auch einige Fragen zur diversitätssensiblen Lehre. Wir haben ja eine sehr heterogene Studierendenschaft und daher bin ich sehr froh, dass wir erfolgreich das Folgeprojekt zum „Starken Start ins Studium“ beim Qualitätspakt Lehre eingeworben haben. So können wir weitere Angebote in der Studieneingangsphase entwickeln und die bestehenden gut fortführen. Wir bauen ein Mathe-Zentrum auf, das zunächst Studierende der Naturwissenschaften unterstützt und ähnlich arbeiten soll wie das Schreibzentrum für die Geisteswissenschaften, das bereits vor einigen Jahren gegründet wurde: mit studentischen Peer-Lehrenden, Individual- und Gruppenunterstützung.

Zu der Heterogenität gehören auch die Geflüchteten…

Das stimmt. Mit „Start ins Deutsche“ unterrichten unsere Studierenden ehrenamtlich Deutsch. Zuvor haben sie zwei Tage lang gelernt, wie eine Fremdsprache vermittelt werden kann und auf was alles zu achten ist, alle zwei Wochen haben sie zudem eine Supervision. Derzeit lehren rund 130 Studierende in verschiedenen Frankfurter Unterkünften und tragen so zur Integration bei. An geflüchtete Studierende wendet sich das „Academic Welcome Program for Highly Qualified Refugees“. Rund 100 geflohene Studierende erhalten eine Art besonderen Gasthörerstatus und damit eine akademische Heimat bei uns.

Viele Studierende und Lehrkräfte an Frankfurter Schulen treibt die Erprobung des Praxissemesters um. Siehst du da Nachbesserungsbedarf?

Das Praxissemester kommt ja vom Land Hessen. Die Goethe-Universität nimmt mit dem Lehramt für Gymnasien an diesem Modellversuch teil. Statt wie bislang zwei Schulpraktika absolvieren die Lehramtsstudierenden nun ein Semester lang ein Praktikum an der Schule und sammeln Erfahrungen. Was es bringt, können wir erst nach der Evaluation sagen, die noch läuft. Die bisherigen Rückmeldungen zeigen aber, dass die Studierenden gut an den Schulen aufgenommen und betreut werden. Die Goethe-Universität kooperiert mit 45 Schulen, so dass maximal fünf Studierende im Praxissemester an eine Schule kommen. Wir versuchen so dazu beizutragen, dass die Studierenden die Schulen nicht belasten, sondern entlasten. Ich würde mir wünschen, dass die Lehrerinnen und Lehrer ein Fortbildungsangebot für die Betreuung der Studierenden erhalten. Wichtig ist, dass das Praxissemester nicht zu einer Studienzeitverlängerung führt. Das müssen wir uns sehr genau ansehen. Wahrscheinlich müssen wir hier noch etwas nachbessern. Für die Studierenden, die in einem hohen Maße erwerbstätig sein müssen, wünsche ich mir mehr Unterstützung. Aber das betrifft bei weitem nicht nur das Praxissemester!

Die GEW kritisiert seit Jahren die zunehmende Anzahl befristeter Arbeitsverhältnisse, auch an der Goethe-Universität. Die Fachbereiche diskutieren über Dauerstellenkonzepte. Wie bewertest du den aktuellen Diskussionsstand?

Wir befinden uns in einer nicht gerade einfachen Situation. Einerseits wollen wir natürlich für Daueraufgaben in Lehre, Forschung oder Wissenschaftsmanagement Dauerstellen zur Verfügung stellen. Andererseits stehen uns die dafür benötigten Mittel nicht zur Verfügung. Das vom Land zugewiesene Grundbudget ist angesichts der stark gestiegenen Studierendenzahl nicht auskömmlich. Die Mittel aus dem Hochschulpakt (HSP) oder auch die QSL-Mittel werden nur temporär zugewiesen. Dazu kommen Drittmittelprojekte in der Lehre, der erwähnte „Starke Start ins Studium“ oder LEVEL, das über die Qualitätsoffensive Lehrerbildung eingeworben wurde. Drittmittel machen ganz allgemein mehr als ein Drittel des Gesamthaushalts aus. Aus befristeten Mitteln können wir aber nur in einem begrenzten Umfang unbefristete Stellen schaffen. Wir bieten den Fachbereichen an, aus den HSP-Mitteln Dauerstellen anzufinanzieren. Wir haben sie gebeten, Konzepte zu entwickeln, welche Aufgaben zukünftig durch Dauerstellen erfüllt werden sollen, und dabei auch Dauerstellen in der Lehre zu schaffen. Die so beschäftigten Personen sollen überwiegend lehren (zwei Drittel ihrer Arbeitszeit, also zwölf Semesterwochenstunden); aber auch zu einem Drittel forschen. Denn forschendes Lernen funktioniert nur, wenn die Lehrenden auch in der Forschung aktiv sind. Wir freuen uns, dass viele Fachbereiche diese neuen Stellen schaffen wollen und so mit dazu beitragen, dass es in Deutschland einen neuen Karrierepfad in der Lehre gibt. Im anglo-amerikanischen Bereich gibt es ja schon lange unbefristete Lecturer-Stellen. In Frankfurt sollen die Dauerstellen in der Lehre mit Personen besetzt werden, die nachweislich sehr gute Lehrveranstaltungen abgehalten und sich hochschuldidaktisch weitergebildet haben.

Die Lehrverpflichtungen sind im letzten Jahrzehnt gestiegen, während sich gleichzeitig die Betreuungsrelationen, insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften, verschlechtert haben. Welche Möglichkeiten siehst du, hier gegenzusteuern?

Vorweg: Ich freue mich, dass so viele junge Menschen studieren wollen. Wir werden im Wintersemester 2016/17 voraussichtlich 47.000 Studierende haben. Das ist toll! Zugleich führt uns der im HSP festgelegte Aufwuchs jedoch auch an die Grenzen. Als Stiftungsuniversität haben wir zwar die Möglichkeit, über Stiftungsprofessuren eine kurzfristige Verbesserung zu erzielen. Sobald diese aber regulär in die Universität übernommen werden, erwartet das Land auch, dass wir zusätzliche Studierende aufnehmen. In den letzten Jahren konnten wir die Betreuungsrelationen nur durch Drittmittel stabil halten. Allein über den „Starken Start ins Studium“ konnten wir etwa 60 zusätzliche wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen und viele Tutorien finanzieren. Wir wissen auch, dass viele über Drittmittel in der Forschung beschäftigte Personen de facto in der Lehre tätig sind – auch wenn das nicht genau den Ausschreibungskriterien entspricht. Drittmittel sind jedoch ein zweischneidiges Schwert. Da die Bewilligungsquoten sinken, verbringen wir alle zunehmend mehr Zeit für die Antragsstellung, Zeit, die an anderer Stelle fehlt. Kurzum: Die Grundfinanzierung muss ansteigen.

Wie bewertest du den Stand der Modularisierung jetzt am Ende des Bologna-Prozesses?

Grundsätzlich haben die Hochschulen gelernt, mit Bologna flexibler umzugehen als früher. Schon 2011 hat das Präsidium der Goethe-Universität zusammen mit Studierenden und Lehrenden in den so genannten Bologna-Werkstätten wieder mehr Freiräume im Studium realisiert. Wir haben danach eine Rahmenordnung für unsere modularisierten und gestuften Studiengänge entwickelt. Diese wollen wir nach Rückmeldungen aus den Fächern und Fachbereichen weiter entwickeln. Aktuell gibt es zum Beispiel die Idee, für studentisches Engagement auch Kreditpunkte in Wahlmodulen zu vergeben. Das ist ein spannender Prozess.

Deine erste Wahl vor vier Jahren war mit hohen Erwartungen verbunden. Wie bewertest du das Spannungsverhältnis in deiner Position zwischen Erwartungen von Kolleginnen und Kollegen, deinen Ansprüchen und den tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten als Vizepräsidentin?

Keine leichte Frage! Als Präsidiumsmitglied ist man der Gesamteinrichtung und ihrem Wohl verpflichtet. Hieraus ergibt sich ein natürliches Spannungsverhältnis, das man immer wieder neu ausbalancieren muss. Ich bin auch im Präsidium dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn ich fürchte, dass eine Entwicklung in die falsche Richtung geht. Von daher versuche ich nicht nur im Kontext meiner wissenschaftlichen Arbeit und im Umgang mit meinen Fachkolleginnen und Fachkollegen, sondern auch dort, den eigenen Ansprüchen soweit wie möglich gerecht zu werden.

Noch eine zugespitzte Frage zum Schluss: Warum gibt es an der Goethe-Universität immer mehr Anwesenheitslisten? Und welchen pädagogischen Mehrwert haben sie?

Bei mir sind Anwesenheitslisten ein Teil eines wechselseitigen „Lernübereinkommens“. In der ersten Seminarsitzung halten wir wechselseitige Erwartungen und Verhaltensstandards fest. Da ich mit einer Lerngruppe über das Semester hinweg einen Lernfortschritt erzielen möchte, ist mir die Anwesenheit aller sehr wichtig. Das habe ich schon immer so gemacht, auch zu den Diplom- und Magisterzeiten. Ich hoffe also, auch über eine Anwesenheitsliste eine feste Lerngruppe aufzubauen, die sich auch so versteht. In der Rahmenordnung haben wir für Seminare und Praktika die Teilnahmenachweise vorgesehen. Demnach sind Fehlzeiten bis zu 20 Prozent noch akzeptabel. Hinzu kommen noch von den Studierenden nicht verschuldete Fehlzeiten durch Krankheiten, die Pflege von Angehörigen oder die Betreuung von Kindern.

Vielen Dank für das Interview.


Die Fragen stellte Tobias Cepok, Referent für Jugendbildung und Hochschule