Kein Selbstläufer

Entfristungen fallen nicht vom Himmel

HLZ März/April 2023

Am 23.1.2023 organisierte die Initiative Uni Kassel Unbefristet gemeinsam mit der GEW und ver.di eine Veranstaltung zum Ende der Dauerbefristung. Prof. Tilman Reitz (Uni Jena) stellte ein Diskussionspapier von Netzwerk Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) vor und diskutierte mit Prof. Sonja Buckel, Vize-Präsidentin an der Uni Kassel, über Möglichkeiten und Herausforderungen der Umsetzung.


Dass Dauerbefristungen in der Wissenschaft ein Problem sind, ist nicht neu. Schon der erste schwarz-grüne Koalitionsvertrag von 2013 stellt fest, dass die Befristungspraxis an Hochschulen „ein Maß erreicht hat, das Handlungsbedarf entstehen lässt“, und dass „in den Bereichen, in denen Daueraufgaben anfallen, (…) Dauerarbeitsplätze geschaffen werden“ sollen. Das entspricht ziemlich genau der Forderung „Dauerstellen für Daueraufgaben“, für die GEWerkschaften seit Jahren kämpfen.


Doch warum ist ein Ende des Befristungswesens trotzdem nicht absehbar? Fragt man Hochschulleitungen, liegt es zumeist an fehlenden finanziellen Ressourcen und rechtlichen Beschränkungen insbesondere durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Der Anstieg der Finanzmittel von knapp 20 Milliarden auf über 34 Milliarden Euro in den letzten fünfzehn Jahren geht vor allem auf befristete Projektmittel zurück. Die projektgetriebene Forschung trifft auf ständische Hierarchien an Hochschulen, in denen eine kleine Zahl an Professor:innen, die zwischen 5 und 10 Prozent des Personals ausmachen, alle wesentlichen Gremien und Entscheidungen dominiert. Die Ungleichheitsverhältnisse hätten sich durch die zunehmende Dominanz an Drittmitteln nicht grundsätzlich geändert, so Prof. Dr. Tilman Reitz von NGAWiss. Vielmehr gebe es innerhalb der feudalen Verhältnisse eine „graduelle Verschiebung vom Lehrstuhl- zum Projektfürstentum“.


Ein aktuelles Diskussionspapier der NGAWiss will neue Wege in der Beschäftigungspolitik aufzeigen. Dazu hat es idealtypische Institute modelliert, in denen die Beschäftigtenkategorien und -bedingungen variieren, die aber trotzdem mit den gleichen finanziellen Ressourcen und Lehrkapazitäten ausgestattet sind. Der Vergleich eines dieser Modelle mit dem Status quo (Tabelle) zeigt deutlich, wie viel Potenzial in einer anderen Personalpolitik steckt. Zwar würden insgesamt weniger Stellen zur Verfügung stehen (40 statt 47), allerdings wäre der überwiegende Teil der Stellen entfristet. Gerade die große Zahl an befristeten Teilzeitpromotionsstellen würde einer Anstellung weichen, in denen sich Doktorand:innen auch realistischerweise im Rahmen ihrer Vertragslaufzeit qualifizieren könnten.


Um den Teufelskreis aus Projektanträgen und befristeter Beschäftigung zu durchbrechen, könnten Projektmittel auf Universitätsebene zusammengelegt werden. Einige Forschungseinrichtungen wie das Soziologische Forschungsinstitut Göttingen praktizieren dies bereits erfolgreich. Das Problem der permanenten Abhängigkeit von Drittmitteln wird durch das sogenannte Pooling jedoch nicht behoben. Um die Vision einer „befreiten Projektwelt“ zu realisieren, müsste der Großteil der öffentlichen Mittel in die Grundfinanzierung übergehen und allen wissenschaftlichen Beschäftigten einen  Grundetat zur Verfügung stellen.


Die Veranstaltung zeigte: Es ist Zeit für eine Entfristungsoffensive (HLZ Seite 11), die gute Arbeit an Hochschulen nicht nur auf dem Papier proklamiert, sondern in Wirklichkeit umsetzt. Eine weitgehende Entfristung wissenschaftlicher Beschäftigter könnte das Betreuungsverhältnis erheblich verbessern, Abbruchsquoten senken, Wissenschaftsfreiheit für den Großteil der Wisssenschaftler:innen realisieren und Anreize bieten, kollaborative Forschungsprojekte voranzutreiben, die nicht allein von Drittmittelanträgen zusammengehalten werden.


Dagegen stehen ein „ideologischer Apparat“, der die professoralen Privilegien und Sonderbefristung im wissenschaftlichen Mittelbau seit mehr als 150 Jahren stützt, ungleiche Beschäftigungsstrukturen und professorale Privilegien, die – so Tilman Reitz – „Demokratisierung verhindern“. Im Zweifelsfall können einige wenige professorale Repräsentant:innen sämtliche Reforminitiativen der Beschäftigten und Studierenden im Senat und anderen relevanten Gremien blockieren.


Bislang knickte die hessische Landesregierung vor den Hochschulleitungen ein, wenn es darum ging, die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Das wurde auch bei den Gesprächen zur Befristung am 17. Januar 2023 deutlich. Ob sich dies nach dem Wahljahr 2023 ändert? Jedenfalls nicht, ohne dass wir uns als wissenschaftliche Beschäftigte besser organisieren und gemeinsam mit Kolleg:innen in der Verwaltung und Studierenden Druck auf die Hochschulleitungen und die Landesregierung machen.


Anil Shah, Mitglied der GEW und aktiv bei Uni Kassel Unbefristet