Lernen im digitalen Semester

Pandemie offenbart Schwachstellen des Systems

HLZ 11/2020: Digitale Hochschule

Bereits bei der Umsetzung der Bologna-Reform haben die Länder und die Hochschulen aus Sicht der GEW schwere Fehler gemacht: überladene Curricula, eine zu hohe Prüfungsdichte oder eine übermäßige Arbeitsbelastung für Student*innen und Lehrende. Darüber hinaus fehlen bis heute konkrete Kriterien, um zu beurteilen, welche Kompetenzbereiche in der Hochschullehre professionalisiert werden müssen und wie ein Gleichgewicht zwischen Lehre und Forschung hergestellt werden kann. Entwicklung und Ausbau hochwertiger Lernumgebungen und die Professionalisierung der Lehrenden sind jedoch ausschlaggebend für den Lernerfolg von Student*innen. Der offene und respektvolle Umgang unter Lehrenden, Student*innen und Mitarbeiter*innen ist ein wichtiger Faktor, um ein lehr- und lernförderndes Klima zu schaffen. Dies setzt außerdem voraus, dass auf und zwischen allen Ebenen Transparenz und Kommunikation gewährleistet und Möglichkeiten zum gemeinsamen Austausch geschaffen werden. Grundlage ist ein umfassender Bildungsanspruch, der nicht den von der Wirtschaft geforderten „flexiblen Menschen“ ins Zentrum der Bemühungen rückt, sondern die Entfaltung des Individuums für eine soziale und humane Gesellschaft.

Keine Frage: Für den Lehr- und Lernerfolg bedarf es einer adäquaten technischen Ausstattung, funktionaler digitaler Werkzeuge, vielfältiger Online-Lehrformate und differenzierter Beratungsangebote. Dabei dürfen jedoch die Persönlichkeit des Lehrenden und die Auseinandersetzung, welche Inhalte für die Bildung an den Hochschulen eigentlich wichtig sind, nicht vergessen werden. Die Professionalisierung der Lehrenden ist dabei maßgeblich davon abhängig, ob sie Lehr- und Lernprozesse allgemein, aber auch ihre eigenen Rollen darin kritisch reflektieren. Grundlagen sind Innovationsbereitschaft, Unterstützung des Lernprozesses, Praxiserfahrungen, die Berücksichtigung didaktischer Merkmale des ganzheitlichen, aktiven und prozessorientierten Lernens und weitere Zielkompetenzen.

Die Universität ist wie andere Bildungseinrichtungen eine zentrale Stelle zur Vergabe sozialer Chancen und ein Ort des Ringens um kulturelles Kapital. Sie ist verstrickt in gesellschaftliche Machtverhältnisse, wobei Bildung zu einem Instrument sozialer Abgrenzung wird. Zugangsberechtigungen werden erteilt, Räume für Möglichkeiten eröffnet, Berufsbiographien angestoßen, aber eben auch Hoffnungen zerstört, Zugänge blockiert und Aufstiegschancen systematisch ernüchtert. Daraus folgt, dass Fragen nach Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Partizipation und Gleichberechtigung stärker thematisiert werden müssen und Lehrende als Akteur*innen betrachtet werden sollten und nicht als objektive Beobachter*innen von dem, was sie in Forschung und Lehre zum Inhalt machen. Ihre „Leistungen“ zu evaluieren, ist durch fehlende einheitliche Kriterien fast unmöglich und erfolgt höchst subjektiv.

Der direkte Austausch unter Kommiliton*innen und zwischen Student*innen und Lehrenden setzt Präsenzlehre und ein Aufheben der Kontaktbeschränkung voraus. Wie auch in vielen anderen Bereichen offenbaren sich in der Zeit der Pandemie die Schwachstellen. Nicht nur in Schulen, sondern auch in den Hochschulen müssen stetig weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Dabei stellt sich die Frage, wer davon profitiert und wer dadurch Nachteile erfährt. Es wird deutlich, dass das Ausbleiben der Präsenz-Lehre für viele Student*innen negative Auswirkungen zur Folge hat, die durch unzureichende digitale Formate des E-Learnings nicht ausgeglichen werden können. Die aktiven GEW-Studierenden in Marburg haben die praktischen und bildungspolitischen Probleme in einem offenen Brief an die Universitätsleitung formuliert und wurden eingeladen, in der universitären Task-Force die Probleme zu schildern. Die GEW-Studierendengruppe trifft sich digital jeden Donnerstag um 18 Uhr.

Kontakt:

instagram.com/gewstudismarburg

facebook.com/GEWStudisMR

Oder per E-Mail an studierende.in.marburg@gew-landesverband-hessen.de

Mareike Noss

Die Autorin studiert in Marburg für das Lehramt an Gymnasien und engagiert sich bei den GEW-Studierenden.

Bild: bowie15, istock