Man muss es sich leisten können …

Wissenschaftliche Karriere und soziale Herkunft

HLZ 4/2015: Studieren in Hessen

Dass die soziale Herkunft Einfluss auf den Bildungserfolg hat, ist spätestens seit PISA und Co. bekannt und zum öffentlich diskutierten Politikum geworden. Dagegen ist die Frage nach einem möglichen Einfluss der sozialen Herkunft auf Werdegänge innerhalb der Wissenschaft bislang noch weitgehend eine Tabuzone. Wissenschaftliche Leistung gilt sowohl in der Fremd- als auch in der Selbstwahrnehmung als einzig legitimes Erfolgskriterium in der Wissenschaft. Soziale Merkmale dürfen bei der Bewertung wissenschaftlicher Leistung als Grundlage für eine erfolgreiche Karriere keine Rolle spielen. Dass dieses meritokratische Postulat nicht uneingeschränkt eingehalten wird, zeigt sich unter anderem an der Unterrepräsentanz von Frauen insbesondere in den höheren wissenschaftlichen Positionen. Während die Problematik der geschlechtsspezifischen Ungleichheit nicht nur hinlänglich bekannt und untersucht ist, sondern auch durch Gleichstellungsmaßnahmen bekämpft wird, trifft dies auf den Aspekt der sozialen Herkunft nicht zu. Dass dieses Thema bislang als Tabu gilt, zeigt sich auch darin, dass kaum fundierte Kenntnisse über die soziale Zusammensetzung für den Wissenschaftsbereich vorliegen. Häufig wird angenommen, dass es sich bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um einen durch die Chancenungleichheiten im Bildungssystem vorselektierte Gruppe handelt, die soziale Herkunft innerhalb wissenschaftlicher Karrieren dann aber keine Rolle mehr spielt und spielen darf. Vorhandene Untersuchungen legen jedoch ein anderes Bild nahe. Es kann angenommen werden, dass es für soziale Aufsteigerinnen und Aufsteiger erheblich schwerer ist, sich im wissenschaftlichen Feld zu etablieren und eine erfolgreiche Wissenschaftskarriere zu machen, was nicht zuletzt mit den prekären Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen und dem hohen Karriererisiko in der Wissenschaft zusammenhängt.

Empirische Befunde

Der Einfluss der sozialen Herkunft zeigt sich schon bei den ersten Schritten in Richtung einer wissenschaftlichen Berufslaufbahn. So kommt die von Ada-Charlotte Regelmann durchgeführte und vom hessischen Landesverband der GEW herausgegebene Studie zur Beschäftigungssituation von studentisch Beschäftigten an der Universität Marburg mit dem Titel „Man muss es sich leisten können …“ zu dem Ergebnis, dass sich studentische Beschäftigte überproportional aus Akademikerfamilien und finanziell privilegierten Schichten rekrutieren. Dieser Befund ist insofern von zentraler Bedeutung, als Schneikert und Lenger (2010) sowie Jaksztat (2014) aufgezeigt haben, dass eine Tätigkeit als studentische Hilfskraft gleichsam als Türöffner zur Promotion und damit als Einstieg in eine wissenschaftliche Laufbahn gelten kann. Darüber zeigt sich, dass Promovierende eine sozial besonders privilegierte Gruppe darstellen, dass also die soziale Herkunft hier auch unabhängig von einer studentischen Hilfskraftstelle selektiv wirkt.
Der Einfluss der sozialen Herkunft auf den beruflichen Erfolg in der Wissenschaft endet aber nicht mit der Promotion. Jungbauer-Gans und Gross (2013) belegen, dass Habilitierte aus privilegierten Elternhäusern in Jura und Mathematik eine höhere Chance auf eine Professur haben als soziale Aufsteigerinnen und Aufsteiger. Christina Möller weist in ihrer Untersuchung über die Professorenschaft in Nordrhein-Westfalen nach, dass die soziale Herkunft nicht nur einen erheblichen Einfluss auf die Erlangung einer Professur hat, sondern sich im Zeitverlauf sogar eine zunehmende soziale Schließung abzeichnet. Beunruhigend ist insbesondere das Ergebnis, dass Juniorprofessuren überproportional häufig von Personen aus oberen Gesellschaftsschichten bekleidet werden. Wenn sich die Juniorprofessur zum regulären Weg zur vollen Professur entwickelt, birgt dies die Gefahr, dass die soziale Herkunft künftig noch weiter an Bedeutung gewinnt.

Dass die selektive Wirkung der sozialen Herkunft auch für die Zugangschancen zu den höchsten Positionen im wissenschaftlichen Feld bedeutsam ist, zeigt eine aktuelle Untersuchung zum Sozialprofil der deutschen Wissenschafts­elite (Graf 2015). Zur Elite zählen die Inhaber der mächtigsten und einflussreichsten Positionen in der deutschen Wissenschaftslandschaft wie die Präsidenten der DFG, des Wissenschaftsrats oder der wichtigsten Forschungsgesellschaften, aber auch der Träger des Nobel- oder des Leibnizpreises. Die wissenschaftlichen Top-Positionen werden zu einem ganz überwiegenden Anteil von (fast ausschließlich männlichen) Personen besetzt, die aus hoch privilegierten Elternhäusern stammen. Dies gilt umso mehr, je mehr Macht mit diesen Positionen einhergeht. Besondere Brisanz gewinnen diese Ergebnisse insofern, als damit nicht nur gegen das meritokratische Prinzip verstoßen wird. Diese Personen bestimmen zudem aufgrund der mit ihren Positionen verbundenen Macht über die strukturellen Bedingungen in der Wissenschaft und die Rahmenbedingungen für wissenschaftliche Karrieren.

Erklärungsansätze und Folgerungen

Die empirischen Befunde liefern eindeutige Hinweise auf den Einfluss der sozialen Herkunft im Kampf um wissenschaftliche Positionen. Um dem entgegenwirken zu können, ist es notwendig zu verstehen, wie diese herkunftsspezifischen Ungleichheiten zustande kommen. Mögliche Erklärungen lassen sich grob auf zwei Ebenen ansiedeln. Einerseits können die Gründe bei den Akteuren selbst gesucht werden, andererseits können die institutionellen Rahmenbedingungen zu einer ungleichen Chancenverteilung beitragen. Die erste Erklärungsebene zielt auf eine herkunftsspezifisch unterschiedliche Passung an das wissenschaftliche Feld ab. Je nach Nähe oder Ferne der Herkunftsfamilie zur Wissenschaft variieren möglicherweise nicht nur die persönlichen Leistungen und die Ambitionen auf eine Wissenschaftskarriere, sondern auch die Startpositionen. Ein Akademikerkind wird sicherlich eine genauere Vorstellung von den Anforderungen innerhalb des Wissenschaftsbetriebs haben und auch habituell besser an diese vorangepasst sein. Dies führt dann im Karriereverlauf zu einer Akkumulation von Chancen, die eine zunehmende Polarisierung nach sozialer Herkunft nach sich zieht (Matthäus-Effekt). Auch die Wahrnehmung und Anerkennung seitens der etablierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler spielt dabei eine entscheidende Rolle. Wer weiß, wie man sich in der Wissenschaft gibt und was als wichtig angesehen wird, wird eher als vielversprechendes Nachwuchstalent und als legitimes Mitglied (an)erkannt und gefördert werden.

Die strukturellen Rahmenbedingungen – die Beschäftigungs- und Karrierebedingungen in der Wissenschaft - führen zur zweiten Erklärungsebene für den Einfluss der sozialen Herkunft auf Wissenschaftskarrieren, wobei beide Ebenen ineinanderspielen. Die Entscheidung für eine berufliche Laufbahn in der Wissenschaft ist mit enormen beruflichen und persönlichen Unsicherheiten und Risiken verbunden. Der Anteil prekärer Beschäftigungsverhältnisse steigt stetig an. In den letzten Jahrzehnten ist ein starker Anstieg befristeter Beschäftigungsverhältnisse zu verzeichnen, gleichzeitig sinkt die Befristungsdauer, also die Laufzeit der Arbeitsverträge. Mittlerweile liegt der Anteil an befristeten Beschäftigungsverhältnissen bei knapp 90 %. Über die Hälfte dieser befristeten Arbeitsverhältnisse hat eine Laufzeit von unter einem Jahr (Jongmanns 2011). Darüber hinaus nimmt der Anteil an Teilzeitstellen kontinuierlich zu. Inzwischen arbeitet fast die Hälfte aller wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Hochschulen in Teilzeit. Diesen enormen beruflichen Unsicherheiten in den unteren Hierarchieebenen des Feldes steht eine sehr geringe Anzahl an sicheren Dauerstellen im oberen Feldsegment gegenüber. Unterhalb der Professur existieren kaum Stellen, die eine gesicherte Lebensplanung ermöglichen. Gleichzeitig benötigt man nicht nur einen sehr langen Atem bis zur Professur (das Durchschnittsalter bei der Erstberufung liegt zwischen 40 und 42 Jahren), vielmehr gibt es aufgrund der vergleichsweise geringen Anzahl an Professorenstellen auch keinerlei Garantie, es schlussendlich auf einen Lehrstuhl zu schaffen. Diese Rahmenbedingungen machen eine Wissenschaftskarriere nicht nur immer unattraktiver, sondern lassen eine wissenschaftliche Berufslaufbahn zunehmend zu einem unkalkulierbaren persönlichen Risiko werden. Das hohe Karriererisiko, gepaart mit den herkunftsabhängig ungleichen Passungen an den wissenschaftlichen Habitus, stellen für soziale Aufsteigerinnen und Aufsteiger enorme Hürden für eine erfolgreiche Wissenschaftskarriere dar. Insbesondere die zunehmende Prekarisierung innerhalb der Wissenschaft erhöht somit die Gefahr der Reproduktion dieser herkunftsspezifisch ungleichen Chancen auf den Einstieg, den Verbleib und den Erfolg in der Wissenschaft. Was Regelmann für die Tätigkeit als studentische Hilfskraft konstatiert, gilt zunehmend für die gesamte wissenschaftliche Laufbahn: „Man muss es sich leisten können…“ Für mehr Chancengleichheit müssen diese strukturellen Hürden abgebaut werden. Wissenschaft muss unter guten Arbeitsbedingungen mit planbaren und sicheren Berufsperspektiven für alle möglich sein!

Dr. Angela Graf

Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der TU Darmstadt mit dem Schwerpunkt Elite- und Organisationssoziologie.


Literatur 

Tino Bargel und Tobias Röhl (2006): Wissenschaftlicher Nachwuchs unter den Studierenden. Empirische Expertise auf der Grundlage des Studierendensurveys. Herausgegeben von BMBF.
Jürgen Enders und Lutz Bornmann (2001): Karriere mit Doktortitel? Ausbildung, Berufsverlauf und Berufserfolg von Promovierten.
Angela Graf (2015, im Erscheinen): Die Wissenschaftselite Deutschlands. Sozialprofil und Werdegänge zwischen 1945 und 2013. Frankfurt a.M.: Campus.
Steffen Jaksztat (2014): Bildungsherkunft und Promotion: Wie beeinflusst das elterliche Bildungsniveau den Übergang in die Promotionsphase? In: Zeitschrift für Soziologie 43/4, S. 286–301.
Georg Jongmann (2011): Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. HIS, Forum Hochschule.
Monika Jungbauer-Gans und Christiane Gross (2013): Determinants of Success in University Careers. Findings from the German Academic Labor Market. In: : Zeitschrift für Soziologie 42/1, S. 74-92.
Alexander Lenger (2008): Die Promotion. Konstanz: UVK.
Christina Möller (2015, im Erscheinen): Herkunft zählt (fast) immer. Soziale Ungleichheiten unter Universitätsprofessorinnen und -professoren. Bildungssoziologische Beiträge. Weinheim/Basel: BETZ Juventa.
Ada-Charlotte Regelmann (2004): „Man muss es sich leisten können…“ Eine empirische Studie zu studentischen Hilfskräften an der Philipps-Universität Marburg. Herausgegeben vom GEW-Hauptvorstand.
Christian Schneikert und Alexander Lenger (2010): Studentische Hilfskräfte im deutschen Bildungswesen. In: Berliner Journal für Soziologie 20, S. 203-224.