Mehr als Wissensvermittlung

Kommentar von Dr. Simone Claar

HLZ 12/2021: Studieren in Hessen

Drei Semester lang fanden das Campus-Leben und das Studium aufgrund der Corona-Pandemie fast ausschließlich in verschiedenen digitalen Räumen statt. Das jetzt laufende Wintersemester ist ein Präsenzsemester mit Einschränkungen. Sie zeigen sich vor allem in der Begrenzung der Zahl der Studierenden in den Präsenzveranstaltungen, da die Räume nicht vollständig ausgelastet werden können, in der Maskenpflicht und der Kontrolle der Einhaltung der 3G-Regeln. So soll wieder mehr Normalität im direkten Austausch zwischen Studierenden und Lehrenden hergestellt werden, um die Mitstudierenden kennenzulernen und die Hochschule als politischen Raum zurückzugewinnen.

Noch heute denke ich gerne an meine Zeit des Studiums an der Philipps-Universität Marburg vor 14 Jahren zurück: inhaltliche Debatten, Kämpfe für die Verbesserung von Studienbedingungen, Proteste gegen Studiengebühren, Arbeit als studentische Hilfskraft und am Ende als Studienabschluss ein Diplom. Seitdem hat sich viel für die Studierenden an den hessischen Hochschulen verändert. Zu meiner Zeit hat der Bologna-Prozess gerade Fahrt aufgenommen, heute gibt es nur noch Bachelor, Master und Staatsexamen. Damit hat sich aber auch das Studium verändert: mehr Leistungsdruck, denn ohne guten BA-Abschluss bleibt der Master bei Zugangsbeschränkungen verwehrt. Parallel sollen die Studierenden für den Arbeitsmarkt Auslandserfahrungen und Praktika sammeln. Auf der Strecke bleibt, dass Studierende das Studium auch finanzieren müssen. Es gibt immer weniger Studierende, die BAföG-berechtigt sind, und auch der Höchstsatz reicht in Städten wie Frankfurt nicht zum Leben: Das muss sich ändern!

Um sich das Studium leisten zu können, arbeiten viele Studierende unter anderem als studentische Hilfskräfte an den Hochschulen. Die Bedingungen sind prekär: Der Stundenlohn variiert je nach Standort, die Laufzeit der Arbeitsverträge ist oft sehr kurz, bei Krankheit wird erwartet, die Stunden nachzuholen, und es herrscht teilweise Willkür bei Aufgaben und Abhängigkeiten. Im Haushalt der Hochschulen sind sie als Sachmittel etatisiert, nicht als Personal. Die Forderung der GEW und anderer Gewerkschaften, endlich einen Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte abzuschließen, ist die richtige Antwort. Das Ergebnis der Tarifrunde 2021, dass studentische Hilfskräfte ab dem Sommersemester mindestens 12 Euro pro Stunde erhalten und ab 2023 an den linearen Entgelterhöhungen des TV-H teilnehmen, ist ein wichtiger Schritt.

Für ein gutes Studium braucht es für die Studierenden auch eine Verlässlichkeit, dass sie ihr Studium mit dem vertrauten Lehrpersonal abschließen können. Angesichts der ausufernden Befristungspraxis an den Hochschulen ist das keineswegs selbstverständlich. Die Leidtragenden sind die Studierenden, wenn befristetet beschäftigtes Personal während der Prüfungen oder Abschlussarbeiten ausgewechselt wird.

Ein Studium soll nicht nur Wissen für die Arbeitswelt vermitteln, sondern auch die Gelegenheit bieten, sich hochschulpolitisch zu engagieren und sich in gesellschaftliche Debatten einzubringen. Dazu gehört, die Stimme in den Gremien der Hochschule zu erheben, sich für bessere Studienbedingungen einzusetzen oder für einen Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte auf die Straße zu gehen. Dazu gehört die Stimme gegen Rechts zu erheben und die Frage zu stellen, wie wir dem Klimawandel begegnen können. Wie können wir auch im Namen der Wissenschaft Bündnisse für eine inklusive, gerechte und sozial-ökologische Gesellschaft schmieden? Das sind einige Fragen, denen wir in dieser HLZ nachgehen (S. 8-20).

Insgesamt muss ein Studium die überwiegend jungen Erwachsenen befähigen, ihr Fachwissen einzubringen, aber auch für ihre Belange und Interessen einzutreten. Deswegen ist Studium mehr als Wissensvermittlung!