Mehr Bildungsgerechtigkeit?

Kritik an der Studienstiftung des Deutschen Volkes

HLZ 12/2016: Arbeitsbedingungen an Hochschulen

Die Studienstiftung des Deutschen Volkes, das größte Begabungsförderungswerk, wird zu 95 Prozent aus öffentlichen Mitteln finanziert. Jetzt erschien eine zweite Sozialerhebung, die unter anderem auch die Zusammensetzung der Stipendiaten untersuchte. Nach der ersten Sozialerhebung von 2007 hatten nur bei einem Fünftel der Geförderten weder Vater noch Mutter studiert, 79 Prozent der Geförderten waren damals Akademikerkinder.

Seitdem steht die Stiftung in der Kritik, dass die ohnehin bestehende und durch jede PISA-Studie bestätigte Ungleichheit der Bildungschancen mit Steuergeldern vergrößert werde. Elitenforscher Michael Hartmann (TU Darmstadt) teilt die Kritik:
„Stipendien in Deutschland fördern diejenigen, die es nicht nötig haben. (…) Arbeiterkinder trauen sich meist gar nicht, eine Bewerbung um ein Stipendium abzuschicken. Wenn sie es doch ins Auswahlverfahren schaffen, scheitern sie, weil sie nicht richtig auftreten.“ (ZEIT Campus, 28.2.2013)
Hartmann nennt – ganz im Sinne von Pierre Bourdieus These vom kulturellen Kapital – „einen breiten bildungsbürgerlichen Horizont“ und „souveränes Auftreten“, schlicht den „richtigen Stallgeruch“, als Voraussetzung für den Erhalt des Stipendiums:

„Welche Kleidung angesagt ist und wie Hummer gegessen wird, kann noch vergleichsweise schnell einstudiert werden. Aber der breite bildungsbürgerliche Horizont, der Kindern aus dem Bürger- und Großbürgertum über Jahre vermittelt wird, ist nur mühsam aufzuholen. Ganz zu schweigen von der Selbstverständlichkeit, mit der gerade Kinder aus dem Großbürgertum agieren. (…) Wer aus dem Großbürgertum stammt, kann und weiß auch nicht alles, was in Spitzenpositionen wichtig ist. Aber er kann souverän mit Defiziten umgehen.“

Die Ergebnisse der Studie von 2007 und die öffentliche Kritik an der „Selbstreproduktion des Bildungsbürgertums“ auf Kosten der Steuerzahler veranlasste die Stiftung zu einigen Änderungen. Seit 2010 sind auch Selbstbewerbungen möglich, während vorher die Vorschläge von den Schulleitungen der Gymnasien oder von Hochschullehrern kamen. Doch auch die Selbstbewerbungen kommen eher von Kindern aus privilegierten Elternhäusern. Auch die Themen der Auswahlgespräche sollten breiter gestreut werden. Sonja Deppich, ehemalige Stipendiatin der Studienstiftung, erklärte, ein Stipendiat müsse nicht mehr unbedingt Cello spielen, sondern könne auch eine Kinderfußballmannschaft trainieren (ZEIT Campus vom 12. 8. 2014). Die Gutachterinnen und Gutachter werden angehalten, auch auf andere Potenziale als das typisch bildungsbürgerliche karriereförderliche soziale Engagement der Bewerberinnen und Bewerber zu achten.

Nach der Sozialerhebung von 2016 ist der Anteil der Erst­akademiker unter den Stipendiaten in den letzten zehn Jahren gewachsen und entspricht mit 30 % nun dem Anteil der Erstakademiker unter den 5 % Abiturbesten (1). Mit 18 % liegt der Anteil von Studierenden mit Migrationshintergrund in der Studienstiftung um sechs Prozentpunkte höher als deren Anteil unter den 5 % Abiturbesten. Allerdings zeigt eine Sozialerhebung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsförderung, dass unter allen Studenten aus Migrantenfamilien 56 % aus einem Nichtakademikerhaushalt kommen, unter den Stipendiaten der Studienstiftung sind es lediglich 32 %. Deutlich wird, dass die Studienstiftung keinesfalls die Steuergelder nutzt, um die Bewerber zu unterstützen, die aufgrund ihrer Herkunft aus einem Nichtakademikerelternhaus wesentlich mehr leisten müssen, um zu einem guten Abitur zu gelangen, als Bewerber aus Akademikerelternhäusern. Deutlich wird auch, dass Bewerber mit Migrationshintergrund, die nicht aus Akademikerelternhäusern kommen, wesentlich weniger häufig gefördert werden, als es ihrem Anteil an den Studierendenzahlen entspricht.
Die Studienstiftung ist damit ein Spiegelbild unseres Schulsystems, das es bis jetzt nicht geschafft hat, die große Abhängigkeit von Herkunft und Bildungserfolg zu lockern, wie auch der aktuelle Bildungsmonitor der von den Arbeitgebern finanzierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft feststellt (2):

„Vor allem bei den Bildungsabschlüssen ausländischer Schüler waren bereits vor der jüngsten Flüchtlingswelle sogar Rückschritte zu beobachten. Für die Bildungsintegration der Flüchtlinge – die zentrale Herausforderung der kommenden Jahre – besteht folglich dringender Handlungsbedarf.“


Franziska Conrad, Referat Aus- und Fortbildung im GEW-Landesvorstand Hessen