Neue Wege

Die „Befristungsleitlinie“ der Philipps-Universität Marburg

HLZ 12/2016: Arbeitsplatz Hochschule

Etwas, das „Befristungsleitlinie“ heißt, aus gewerkschaftspolitischer Perspektive zu honorieren, erscheint ziemlich gewagt, wenn nicht sogar kontraproduktiv. Doch das, was vor Kurzem das Präsidium der Philipps-Universität Marburg (UMR) unter diesem Titel erlassen hat, erscheint – bei aller Kritik – in der Debatte um eine zunehmende Befristungspraxis an den bundesweiten Universitäten durchaus fortschrittlich (1).

Das Präsidium der UMR hat auf die überbordende Zahl von befristeten Beschäftigungsverhältnissen mit immer kürzeren Laufzeiten und häufiger Zwangsteilzeit reagiert. Es wurde erkannt, dass die Produktionsbedingungen von Wissenschaft auch davon abhängig sind, dass wissenschaftlich Beschäftigte in angemessenem Maße Planungssicherheit und Kontinuität brauchen, um überhaupt in die Lage versetzt zu werden, gute Forschung und Lehre gestalten zu können. In monatelangen Diskussionen in den universitären Gremien wurde nun in diesem Sommer die Befristungsleitlinie in diesem Sinne erlassen. Die gemeinsame Senatsliste von GEW und ver.di hat sich hier intensiv eingebracht und an wesentlichen Stellen Verbesserungen erwirken können.
Nach der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) soll die daran angelehnte Befristungsleitlinie aus Sicht der UMR Rahmenbedingungen für die befristete Beschäftigung von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern etablieren. Sie soll damit transparente Befristungsbedingungen schaffen und Kurzzeitverträge vermeiden. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser hehre Anspruch in der Praxis auch durchsetzen lässt. Zumindest die Personalverwaltung ist jedoch entsprechend instruiert worden.

Aus unserer Sicht bietet die Leitlinie einen Ansatzpunkt, den andere Hochschulen nutzen können, um zu einer verbesserten Befristungspraxis vor Ort zu gelangen. Gleichzeitig blicken wir weiterhin kritisch auf die Verfahrensvorschläge. Aus grundsätzlichen Erwägungen etabliert die Befristungsleitlinie befristete Arbeitsverhältnisse als Normalfall der Beschäftigung nach WissZeitVG; zusätzlich schöpft die Leitlinie den Rahmen der Möglichkeiten innerhalb der bestehenden gesetzlichen Vorgaben bei weitem nicht aus.

Grundsätzlich ist positiv hervorzuheben, dass sämtliche Formen von möglichen Befristungsgründen festgehalten und damit transparent sind; eine willkürliche Auslegung von Befristungsgründen durch Vorgesetzte ist damit zumindest der Idee nach ausgeschlossen. Zudem findet der Begriff des „wissenschaftlichen Nachwuchses“ nach langen Diskussionen keine Verwendung mehr. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass sich entsprechend der herausragenden Leistung der wissenschaftlichen Beschäftigten eine Anerkennung dieser Leistungen auch sprachlich wiederfindet. Dementsprechend werden diese nun hinsichtlich ihrer Beschäftigungsform als Qualifikandinnen und Qualifikanden tituliert. Dabei wird immer wieder auf die im novellierten Gesetz zur Qualifizierung „angemessene“ Dauer der Arbeitsverträge verwiesen.

Diese Angemessenheit wird nun möglichst weitgehend ausgedeutet: Laut Text ist Ziel der Richtlinie, Kurzzeitverträge zu vermeiden. Dies halten wir für eine sehr gute Aussage! Verlängerungsmöglichkeiten der Befristungsdauer wegen Kinderbetreuung, Beurlaubung, Behinderung oder chronischer Krankheiten sind explizit vorgesehen. Erstverträge für Qualifizierungsstellen mit dem Ziel der Promotion sollen für die Dauer von drei Jahren, für Stellen mit dem Ziel der Berufungsfähigkeit auf vier Jahre mit der Option um Verlängerung um weitere zwei Jahre abgeschlossen werden. Letztere sollen nur noch mit 100 Prozent der regelmäßigen Arbeitszeit eingerichtet werden. Innovativ ist außerdem, dass die UMR dafür Sorge tragen will, dass bei fehlenden Geldern für diese Vertragslaufzeiten Überbrückungsgelder durch das Präsidium zur Verfügung gestellt werden, damit alle Neuverträge nach WissZeitVG für mindestens drei bzw. vier Jahre finanziert werden können. Zukünftig zu verschriftlichende Tätigkeitsbeschreibungen und Betreuungsvereinbarungen dürften zusätzliche Planungssicherheit für die Beschäftigten bringen. Die Tätigkeit als studentische Hilfskraft wird nicht auf den Befristungsrahmen des WissZeitVG angerechnet.

Was kritisieren wir weiterhin?

Schon der Titel „Befristungsleitlinie“ sendet ein falsches Signal. Die Befristung wird nicht als Ausnahme der Beschäftigung dargestellt, sondern (sprachlich) weiter als Normalzustand verankert. Wir haben uns – leider ohne Erfolg – für eine Änderung des Titels zu einer „Beschäftigungsleitlinie für gute Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ eingesetzt. Die Qualifizierungsstellen zur Promotion sehen nur eine Beschäftigung mit mindestens 50 Prozent der regelmäßigen Arbeitszeit vor. Hier orientiert sich die UMR nicht an weit fortschrittlicheren Ansätzen wie dem der DFG, die 65%-Stellen vorschlägt. Weiterhin wird im Gegensatz zu Qualifizierungsstellen mit dem Ziel der Berufungsfähigkeit bei solchen mit dem Ziel der Promotion eine mögliche Verlängerung der Stelle um drei Jahre auf die im Regelfall maximal zulässige Dauer von sechs Jahren nicht explizit mit aufgenommen.

Wir finden, dass – trotz aller Kritik – die vom Präsidium der UMR verabschiedete Befristungsleitlinie einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung der Verbesserung befristeter Beschäftigungsverhältnisse darstellt. Es ist allerdings noch abzuwarten, inwiefern dieses Papier in der Praxis umgesetzt werden und schließlich auch bestehende Strukturen zu Gunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verändern kann. Wir werden weiter dafür eintreten, dass inner- und außeruniversitär die stetig steigende Anzahl an prekären befristeten Arbeitsverhältnissen zu Gunsten von sicheren Dauerstellen eingeschränkt wird.

 


(1) https://www.uni-marburg.de/administration/recht/satzung/befristungsleitlinie-07072016.pdf

Doris Wittek und Jan Samulat arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterin und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Schulpolitik an der Philipps-Universität.