Nicht nur verschleppt

Unzulängliche Studienfinanzierung in Corona-Zeiten

HLZ 11/2020: Digitale Hochschule

Studierende sind besonders stark von den Auswirkungen der Coronakrise betroffen, da viele typische Studierendenjobs nur mit erheblichen Einschränkungen ausgeführt werden können oder ganz wegfallen. Die Gastronomie lag lange still, Jobs auf Großveranstaltungen wie Messen fallen weg und Minijobs und Hilfstätigkeiten werden häufig zuerst wegrationalisiert. Besonders problematisch ist dabei, dass Studierende in den sozialen Auffangsystemen nur unzureichend berücksichtigt werden. Fällt ihr Job weg, haben sie keinen Anspruch auf ALG II. Darüber hinaus erhalten nur noch 11 Prozent der Studierenden staatliche Unterstützung durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), die wenigsten davon den Höchstsatz. Deshalb müssen die meisten Studierenden eine Nebentätigkeit aufnehmen, um ihr Studium finanzieren zu können.

Die Reaktion der Bundesregierung auf die Notlage vieler Studierender ließ viel zu lange auf sich warten. Bereits im März hatten Studierende erste existenzgefährdende Einkommensausfälle zu beklagen. Mit Unterstützung der GEW sammelte das Bündnis „Soforthilfe für Studis“ in kurzer Zeit fast 60.000 Unterschriften für eine Petition. Doch erst Mitte April stellte die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek das „Unterstützungspaket“ vor, das unter anderem die Erhöhung der Förderhöchstdauer des BAföG um ein Fachsemester sowie die Verlängerung der Befristungsdauer um sechs Monate vorsah. Wissenschaftliche Hilfskräfte sind von der Verlängerung der Befristungsdauer jedoch ausgenommen. Auch Studierende ohne BaföG-Anspruch fanden im Unterstützungspaket keine Berücksichtigung.

Soziale Ungleichheit wird weiter verschärft

Der Druck von Studierendenvertretungen und Gewerkschaften zwang die Politik zu allerdings unzulänglichen Nachbesserungen: Statt der geforderten Unterstützung kam mit der sogenannten „Überbrückungshilfe“ der Bundesregierung ein Darlehen mit einer zinsfreien (Eingangs-)Phase bis März 2021. Die Rückzahlung muss unabhängig von der finanziellen Situation noch während des Studiums erfolgen. Für viele Studierende bedeutet dies, dass sie nach der Krise zwei Jobs annehmen müssen: einen, um ihre laufenden Lebenshaltungskosten abzudecken, und einen zweiten, um die Schulden ihres Kredits zu tilgen. Besonders hart sind ausländische Studierende betroffen, die teilweise durch Studiengebühren einer höheren finanziellen Belastung ausgesetzt sind und nur geringe Zeitperioden haben, in denen sie arbeiten dürfen. Die GEW kritisierte die Pläne der Ministerin scharf und fordert eine Studienfinanzierung, die nicht auf einen Schuldenberg setzt.

Mit dieser „Überbrückungshilfe“ werden die sozialen Ungleichheiten an den Hochschulen nur noch weiter vertieft. Die Hochschule ist ohnehin ein selektiver Ort, der mitnichten einen Querschnitt durch alle sozialen Schichten der Gesellschaft darstellt. Studierende mit schwächerem sozioökonomischem Hintergrund sind nun mit noch größeren Hindernissen konfrontiert, da sie Schulden aufnehmen müssen, um ein Studium beginnen und erfolgreich abschließen zu können.

In Hessen zeigen sich die gleichen Versäumnisse. Der Ende April bereit gestellte Nothilfefonds in Höhe von 250.000 Euro, aus dem in Not geratene Studierende mit einem Zuschuss von 200 Euro unterstützt werden können, war nach wenigen Stunden ausgeschöpft. Auch die kurzfristige Aufstockung der Mittel um weitere 145.000 Euro reichte nur aus, um alle bereits eingegangenen Anträge berücksichtigen zu können. Somit erreichte die Unterstützung gerade einmal 1.975 der über 250.000 Studierenden in Hessen, das heißt weniger als ein Prozent.

Tropfen auf den heißen Stein

Die Einsetzung des Fonds war nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Betrag von 200 Euro deckt gerade einmal 40 % der durchschnittlichen Kosten für ein WG-Zimmer in Großstädten und geht somit völlig an der Lebensrealität der Studierenden vorbei. Auch die Verfahrensweise bei der Verteilung der Mittel stieß auf Kritik:

  • Es war vorab nicht bekannt, zu welchem Zeitpunkt die Anträge gestellt werden können.
  • Die Bearbeitung der Anträge erfolgte nicht nach Kriterien der Bedürftigkeit, sondern nach dem Prinzip first come, first serve. Eine solidarische Verteilung sieht anders aus.

Die hessische Landes-ASten-Konferenz und die Gewerkschaften forderten eine Aufstockung der Nothilfen des Bundes mit zusätzlichen Landesmitteln, um Studierenden weitgehend unbürokratisch und schnell zu helfen. Der Landesausschuss der Studentinnen und Studenten (LASS) in der GEW organisierte eine Protestaktion in Wiesbaden (siehe Foto) und beteiligte sich an den Protesten in Berlin.

Erst nach der massiven Kritik richtete das Bundesminsterium für Bildung und Forschung (BMBF) schließlich Überbrückungshilfen als Nothilfefonds ein, um Studierende in existenziellen Notlagen in den Monaten Juni, Juli und August jeweils mit nicht rückzahlungspflichtigen Zuschüssen zwischen 100 und 500 Euro zu unterstützen. Die Laufzeit der Überbrückungshilfe wurde im Nachgang um den Monat September verlängert.

Nach Angaben des BMBF sind in Hessen 8.995 Anträge auf Überbrückungshilfe eingegangen, davon wurden 3.091 Anträge, also mehr als ein Drittel, abgelehnt. Bundesweit wurde im Juni gerade einmal die Hälfte (52 %) der Anträge bewilligt. Dass der Großteil der Anträge abgelehnt wurde, weil sich die Studierenden bereits vor der Pandemie in einer prekären Lebenssituation befunden haben, ist ein Hohn für all jene, die schon vor der Pandemie kaum genug zum Leben hatten und nun keine Hilfe bekommen sollen. Denn die Vergabekriterien sind extrem: Weniger als 500 Euro dürfen auf dem eigenen Konto liegen, doch schon allein die Miete für ein WG-Zimmer liegt in Frankfurt im Schnitt bei 531 Euro. So verfügte auch vor Corona jede*r zehnte Studierende über weniger als 600 Euro im Monat. Kein Wunder also, dass die Überbrückungshilfe kaum jemanden erreicht!

Vielen Studierenden ist unklar, welche Unterlagen sie überhaupt einreichen müssen. Einige können fehlende Unterlagen nachreichen, andere Anträge werden teilweise noch vor Ablauf der Frist aufgrund fehlender Nachweise abgelehnt.

Laut Tagesspiegel stieg die Zahl der Studienabbrecher in Berlin um 20 Prozent. In Hessen ist Ähnliches zu befürchten.

Die Studierenden in der GEW fordern eine Soforthilfe, die alle Studierenden in finanzieller Not wirklich erreicht, und langfristig ein Umdenken beim Thema Studienfinanzierung, denn trotz BAföG-Reform ist die Zahl der Geförderten weiter gesunken. Die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Trendwende ist nicht eingetreten. Dies zeigt, dass die bisherigen Änderungen bei weitem nicht ausreichen und eine grundlegende Strukturreform notwendig ist. Die Förderbedingungen müssen angepasst und die Beitragssätze an den steigenden Lebenshaltungskosten orientiert werden. Zudem müssen die Förderhöchstdauer sowie die Freibetragsgrenze abgeschafft und das BAföG zukünftig als Vollzuschuss gewährt werden!

Kyra Beninga und Nathalie Schäfer

Kyra Beninga ist AStA-Vorsitzende der Goethe-Universität und aktives GEW-Mitglied. Nathalie Schäfer ist Bundessprecherin der Studentinnen und Studenten in der GEW.