Studium und Kind

Elternschaft und Studium müssen vereinbar sein

HLZ 4/2015: Studieren in Hessen

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehört heute zum zentralen gesellschaftlichen Leitbild für familienpolitische Maßnahmen. Ziel dabei ist es, insbesondere die Quote der Erwerbstätigkeit von Frauen zu erhöhen. Das Audit-Zertifikat „familiengerecht“ gilt als ein strategisches Managementin­strument und Qualitätszeichen für Unternehmen, durch verschiedene Maßnahmen eine familienfreundliche Unternehmenskultur zu schaffen. Familienbewusste Strukturen werden daher auch zu einem immer wichtigeren Standortfaktor. Zudem ist die Kindertagesstätte zu einer selbstverständlichen Sozialisationsinstanz für Kinder geworden. Tägliche Besuchszeiten von sechs bis acht Stunden sind inzwischen die Regel, auch zehn Stunden sind keine Seltenheit mehr.

Traditionelle Rollenverteilung auch bei den Studis

Hochschulen als Ausbildungs- und Beschäftigungsorte stehen vor der Aufgabe, nicht nur familiengerechte Arbeitsbedingungen für die Hochschulangestellten zu schaffen, sondern auch familiengerechte Studienbedingungen für die Studierenden zu gewährleisten. Angesichts des demografischen Wandels haben sich Hochschulen in der Ausbildung qualifizierter Fachkräfte zum Ziel gesetzt, die akademische Laufbahn für Frauen attraktiver zu machen.

Folgende Zahlen geben einen Überblick über die Lebenssituation von Studierenden an deutschen Hochschulen:

  • 5 Prozent der Studierenden mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren haben Kinder, Studierende ohne Kinder sind im Durchschnitt 24 Jahre alt.
  • Ein Drittel der Kinder ist jünger als 1 Jahr; 53 Prozent sind zwischen einem und drei Jahren.
  • 55 Prozent der Kinder kamen während der Regelstudienzeit zur Welt.
  • 38 Prozent wurden vor dem Studium geboren.
  • 65 Prozent der Eltern studieren in Vollzeit, bei den Studierenden ohne Kinder sind es 80 Prozent .

Unter den studierenden Eltern zeigt sich oft eine traditionelle Rollenteilung: 50 Prozent der Frauen unterbrechen ihr Studium, bei den Vätern ist es nur jeder dritte (Monitor Familienforschung, Ausgabe 29, November 2012).

Elternschaft bedeutet im akademischen Qualifikationsprozess insbesondere für Frauen häufig noch eine Benachteiligung. Ihren Abschluss erreichen sie meist nur über extrem schwierige biografische Wege. Dabei sind sie oft auf das Wohlwollen und das Verständnis der Lehrenden für ihre private Situation angewiesen.

Mit dem Audit „Familiengerechte Hochschule“ konnten allerdings für studierende Eltern unterschiedliche Angebote geschaffen werden: Studienberatungen, Studentenwerk und die Allgemeinen Studierendenausschüsse stellen ein differenziertes Beratungsspektrum zur Verfügung, insbesondere zu Fragen der Studien- und Prüfungsorganisation, zu Elternzeit, Mutterschutz oder auch zu sozialrechtlichen Themen. Viele Hochschulen haben eine räumliche Infrastruktur mit Eltern-Kind-Räumen, Wickelmöglichkeiten oder Spielecken geschaffen, so dass Kindern und Eltern längere Aufenthalte auf dem Uni-Campus erleichtert werden. Eltern-Kind-Räume werden häufig für die Betreuung der Kinder durch einen Babysitter genutzt, währenddessen Eltern eine Lehrveranstaltung besuchen, in der Bibliothek recherchieren oder eine Prüfung absolvieren.

Erschwerend wirkt dagegen die Studienstrukturreform des Bologna-Prozesses. Seit der Umstellung der Studiengänge auf Bachelor- und Masterabschlüsse werden die Studieninhalte in Modulkatalogen dargestellt und mit einem System von Leistungspunkten („Workload“) pro Semester und mit einer entsprechenden Anwesenheitspflicht verbunden. Dieses System geht davon aus, dass Studierende ihr Studium in Vollzeit absolvieren. Pflichtveranstaltungen finden daher nicht selten auch in den Abendstunden statt.

Diese neuen Strukturen bieten in der Regel wenig Flexibilität und führen daher für Studierende mit Kind in der Praxis immer wieder zu Engpässen in der Betreuung ihrer Kinder. Kinderbetreuungsmöglichkeiten mit einer hohen zeitlichen Flexibilität in der Nähe zum Uni-Campus haben deshalb einen besonderen Stellenwert.

Um Studierenden mit Kind(ern) die ungestörte Teilnahme an wichtigen Lehrveranstaltungen auch außerhalb der regulären Betreuungszeiten von öffentlichen Kindertageseinrichtungen zu ermöglichen, wird zurzeit an der Universität Gießen im Rahmen eines zweijährigen Projekts das Angebot der Kurzzeitbetreuung erprobt. So haben Studierende während des Semesters die Möglichkeit, ihre Kinder in den späten Nachmittags- und frühen Abendstunden in einer Gruppe von maximal fünf Kindern von qualifizierten Betreuungskräften betreuen zu lassen. Die Betreuung orientiert sich an den Seminarzeiten und ist blockweise für ein Semester buchbar. An der Universität Frankfurt ist diese flexible Betreuung mit dem Angebot der „Betreuten Kinderzimmer“ an verschiedenen Standorten bereits verstetigt und bietet studierenden Eltern mit frei wählbaren Betreuungszeiten zwischen 8 und 18 Uhr eine hohe Flexibilität für ihre individuellen Betreuungsnotwendigkeiten.

Audit „Familiengerechte Hochschule“

Das Audit „Familiengerechte Hochschule“ hat durch verschiedene Maßnahmen in den letzten Jahren sicherlich dazu beigetragen, dass Studium und Elternschaft im Alltag der Hochschulen eine stärkere Aufmerksamkeit erhalten haben. Damit die postulierten Ansprüche an Chancengleichheit auch eingelöst werden können, bedarf es neben passgenauen Unterstützungsangeboten auch eines Umdenkens mit dem klaren Bekenntnis, dass Kinder auch an Ausbildungsstätten willkommen sind.

Jutta Daum

Jutta Daum ist Lehrerin für besondere Aufgaben an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und engagiert sich im Rahmen des Ideenwettbewerbs zur Frauenförderung an der JLU für die Einrichtung von Eltern-Kind-Räumen an der Universität.