Voller Widersprüche

Wissenschaftspolitik auf Bundesebene und in Hessen

HLZ 12/2016: Arbeitsplatz Hochschule

Im Juni haben Bund und Länder neue Programme für die Hochschulfinanzierung beschlossen und damit für die nächsten Jahre Weichen gestellt. Der „Exzellenzinitiative“ folgt ab 2017 die „Exzellenzstrategie“, mit der weiterhin sogenannte „Exzellenzcluster“ und „Exzellenzuniversitäten“ gefördert werden. Mit einem neuen Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses greifen Bund und Länder Forderungen der GEW auf und setzen sich das Ziel, Karrierewege in der Wissenschaft planbarer zu gestalten. Sie setzen damit dem Trend von immer mehr Zeitverträgen mit immer kürzeren Laufzeiten endlich etwas entgegen – und reagieren so auf Probleme, die es ohne ihre eigene Wissenschaftspolitik gar nicht gäbe.

Nicht frei von Zynismus

Die Exzellenzinitiative hat in den vergangenen zehn Jahren 4,6 Milliarden Euro ins Hochschulsystem gebracht. Aus diesen Mitteln wurden bundesweit etwa 7.240 Stellen finanziert – davon 4.321 für Promovierende, 1.362 für PostDocs und 434 für Professuren und Juniorprofessuren. Allenfalls in der letzten Kategorie verbergen sich auch Dauerverträge, in erster Linie wurden mit der Exzellenzinitiative befristete Stellen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Promotions- oder PostDoc-Phase geschaffen. Inzwischen sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes neun von zehn Arbeitsverträgen mit wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern befristet, die Mehrheit der Verträge auf Grundlage des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes läuft kürzer als ein Jahr (Evaluation des Gesetzes 2011). Zu dieser Entwicklung haben Programme wie die Exzellenzinitiative erheblich beigetragen. 

„Die Situation ist insofern nicht ganz frei von Zynismus, als die Universitäten immens davon profitieren, dass sich eine große Zahl junger Menschen darauf einlässt, – in der Hoffnung auf eine akademische Karriere – die produktivsten Jahre ihres Lebens auf schlecht bezahlten und befristeten PostDoc-Stellen zu verbringen.“
Zu diesem Schluss kam im Januar dieses Jahres die Internationale Experten-Kommission, die unter dem Vorsitz von Prof. Dieter Imboden (ETH Zürich) die Exzellenzinitiative evaluierte. Die der Exzellenzinitiative eigentlich sehr gewogene Kommission bezweifelt, dass es wirklich die vielbeschworenen „besten Köpfe“ sind, die sich auf dieses Vabanquespiel einlassen. Außerdem gebe es Hinweise darauf, dass sich Frauen durch solche Bedingungen leichter von einer wissenschaftlichen Karriere abschrecken ließen als Männer, so der Abschlussbericht. Durch die Schaffung einer beträchtlichen Zahl befristeter PostDoc-Stellen sei das Nadelöhr wissenschaftlicher Karrieren, der Sprung auf eine Daueranstellung, nicht entschärft, sondern allenfalls nach hinten verschoben worden – mithin „in die falsche Richtung, denn die Weichenstellung für oder gegen eine akademische Karriere sollte früher und nicht später erfolgen.“

Verpasste Chance

Man kann diese Ergebnisse der Evaluation nur unterstreichen. Leider scheint aus ihnen allerdings nichts Greifbares gefolgt zu sein, jedenfalls nicht in den konkreten Handlungsempfehlungen der Kommission und auch nicht in den Beschlüssen von Bund und Ländern. Trotz massiver Kritik verständigten sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten im Juni 2016 darauf, die „Exzellenzinitiative“ unter dem Namen „Exzellenzstrategie“ nicht nur fortzusetzen, sondern auf unbestimmte Zeit zu verstetigen. Künftig sollen parallel 45 bis 50 Exzellenzcluster für jeweils zwei mal sieben Jahre gefördert werden, während die bisherige Förderung von Graduiertenschulen entfällt. Wer mindestens zwei Cluster gewinnt, kann sich als Exzellenzuniversität bewerben. Universitäten, die einmal den Exzellenzstatus ergattert haben, werden alle sieben Jahre evaluiert – mit guten Aussichten auf eine Weiterförderung. Wie in der laufenden Programmphase soll es in der nächsten Runde elf Exzellenz-Unis geben. Nach den ersten sieben Jahren sollen mindestens vier neue dazu kommen; sollten die ersten elf alle positiv evaluiert werden, müsste die Zahl also auf 15 aufgestockt werden. Für die Exzellenzstrategie stehen jedes Jahr 533 Millionen Euro bereit, der Bund steuert drei Viertel dieser Summe bei, den Rest trägt das jeweilige Land.

Über 3.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten vor der Entscheidung in einer Online-Petition gegen eine Fortsetzung der Exzellenzinitiative protestiert. Sie kritisierten die „künstlich inszenierte Dauerkonkurrenz um staatliche Mittel“, die Hierarchisierung des Hochschulsystems, aber auch die Erhöhung der Zahl der befristeten Beschäftigungsverhältnisse:
„Statt weiter überproportional in die Prestigekonkurrenz zu investieren, sollte die Hochschulpolitik tiefer liegende Probleme angehen: Mittel gegen die strukturelle Unterfinanzierung der Hochschulen bereitstellen, gesicherte Berufsaussichten für Forschende und Lehrende schaffen, Überbelastungen in der Lehre und eigene Forschung verhindernde Hochdeputatsstellen abbauen, Freiraum für wissenschaftliche Innovationen schaffen, soziale Ungleichheiten im Hochschulzugang und auf weiteren Qualifikationsstufen ausgleichen und die demokratische Selbstverwaltung der Wissenschaft stärken.“

Auch die GEW hatte ein Moratorium zur Exzellenzinitiative gefordert. Stattdessen bindet ihre Neuauflage nun wieder Milliarden, die in der Grundfinanzierung der Hochschulen fehlen, und damit das Hire-and-Fire-Prinzip befördern: Mit befristet eingeworbenen Exzellenzgeldern stellen die Hochschulen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch nur befristet ein. Läuft die Förderung aus, werden die Beschäftigten auf die Straße gesetzt.
Die Universitäten in Frankfurt am Main, Darmstadt und Mainz erwägen, sich in der neuen Runde gemeinsam als Exzellenzstandort zu bewerben. Um einen Verbundantrag auf den Weg zu bringen, müsste zunächst jede der drei Unis ein Forschungscluster einwerben. Hierbei liegt die Uni Frankfurt mit drei auslaufenden Clustern (einem davon gemeinsam mit der Uni Gießen) bereits gut im Rennen, auch die TU Darmstadt konnte in der laufenden Programmphase ein Forschungscluster gewinnen. Beim Wettlauf um das Prädikat Elite-Uni dagegen waren die hessischen Hochschulen bisher stets leer ausgegangen: Beim letzten Mal schieden Frankfurt, Gießen, Marburg und Kassel bereits in der Vorrunde aus, nur Darmstadt feierte einen Zwischenerfolg, um dann in der abschließenden Bewertung ebenfalls zu unterliegen. Nun sollen sich Frankfurt und Darmstadt gegenseitig ergänzen. Mainz wiederum scheint auch deshalb ein guter Partner zu sein, weil man nicht um denselben Landeshaushalt kämpft: Die Chancen auf einen erfolgreichen Antrag könnten steigen, wenn die rheinland-pfälzischen Hochschulmittel in Mainz, die hessischen in Frankfurt und Darmstadt konzentriert würden. Bereits im vergangenen Dezember haben die drei Unis eine strategische Partnerschaft geschlossen. Ob diese im Wettstreit um Landesmittel auch für die übrigen hessischen Hochschulen von Vorteil sein wird, darf hinterfragt werden.

Neues Gegengewicht?

Immerhin: Nicht nur die Exzellenzförderung, sondern auch die Berufswege in der Wissenschaft standen im Juni auf der Agenda von Bund und Ländern. Bereits 2013 hatte die GEW die gerade neu ins Amt gekommene Bundesregierung in ihrem Köpenicker Appell aufgefordert, mit einem Bund-Länder-Programm Anreize für berechenbare Berufswege in der Wissenschaft zu schaffen. Nun haben Bund und Länder für einen Nachwuchspakt über einen Zeitraum von 15 Jahren (2017 bis 2032) insgesamt eine Milliarde Euro zur Verfügung gestellt. Erklärtes Ziel ist es, Karrierewege an Universitäten besser planbar und transparenter zu gestalten. Trotz Schwächen ist das Programm ein wichtiger Reformimpuls. Insgesamt 1.000 Tenure Track-Professuren sollen für jeweils sechs Jahre gefördert werden. Bei Geburt oder Adoption von Kindern kann die Förderung um zwei Jahre verlängert werden, im Falle einer positiven Evaluation sind die Verträge anschließend zu entfristen. Anträge auf eine entsprechende Förderung können alle Universitäten stellen, entschieden wird in zwei Bewilligungsrunden in den Jahren 2017 und 2019. Dabei werden die möglichen Fördersummen in Abhängigkeit vom Steueraufkommen, der Bevölkerungszahl und der Zahl vorhandener Professuren auf die Bundesländer verteilt

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das Programm auf den dauerhaften Aufbau von Tenure Track-Professuren angelegt ist. Jedes Bundesland muss sicherstellen, dass sich die Zahl der Professorinnen und Professoren tatsächlich entsprechend erhöht und die zusätzlichen Stellen auch nach dem Auslaufen des Programms erhalten bleiben. Zudem müssen geförderte Universitäten ein Personalentwicklungskonzept vorlegen, das systematische Aussagen zur Weiterentwicklung der Personalstruktur macht. Wenn diese Fördervoraussetzung tatsächlich ernst genommen wird, wird das Programm nicht nur wie viele andere Bund-Länder-Programme für eine begrenzte Zeit Geld und befristete Stellen ins System spülen, sondern kann nachhaltig wirken und Impulse für die Schaffung verlässlicher Berufswege geben. Das größte Problem des Programms ist sein Umfang: Um den Bedarf zu decken, müssten eigentlich 5.000 neue Tenure-Track-Professuren gefördert werden, mithin das Fünffache der geplanten Stellen, so die Forderung der GEW im April 2016 auf der Grundlage von Berechnungen des Instituts für Hochschulforschung Halle-Wittenberg. Weitere 500 Tenure Track-Professuren werden an den Fachhochschulen gebraucht, die im Bund-Länder-Programm bisher gar nicht berücksichtigt sind.

Schlechte Balance

Die zentrale Baustelle bleibt: Dem Nachwuchspakt steht die Exzellenzstrategie gegenüber, die jedes Jahr über das 7,5-Fache an finanziellen Ressourcen verfügt und die weiterhin vor allem befristete Verträge an die Hochschulen bringen wird. Wir brauchen deshalb eine Entfristungsoffensive, die sich nicht auf Professuren beschränkt, sondern alle promovierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Blick nimmt. Die GEW fordert bundesweit 40.000 zusätzliche Dauerstellen für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Universitäten, weitere 10.000 Dauerstellen sollten an den Fachhochschulen bzw. Hochschulen für angewandte Wissenschaften eingerichtet werden – als Beitrag zum Ausbau des akademischen Mittelbaus, den diese Hochschulen benötigen, um ihrer erweiterten Aufgabenstellung gerecht zu werden. Mit dem Nachwuchspakt ist ein Anfang gemacht, ihm sollten schnellstmöglich weitere Schritte folgen.


Dr. Andreas Keller, stellv. Vorsitzender der GEW, Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung

Sonja Staack, Referentin im Vorstandsbereich