Wer sitzt denn da im Seminar?

Extreme Rechte und neurechte Gruppen an Hochschulen

HLZ 6/2018: Hochschulen in Hessen

Seit geraumer Zeit befindet sich die Rechte in Deutschland und Europa im Aufwind. Neben den sichtbaren Wahlerfolgen der AfD treten Rechtsextreme auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen mehr und mehr offen in Erscheinung, sei es im öffentlichen Raum, wie beispielsweise bei den Buchmessen in Frankfurt 2017 und Leipzig 2018, oder mit eigenen Hausprojekten, die wie das Zentrum der identitären Gruppe „Kontrakultur“ in der Nähe des Unicampus in Halle als Wohn- und Schulungsraum für Rechtsextreme dienen sollen. Zuletzt riefen neurechte Gruppierungen dazu auf, vermehrt in die Gewerkschaften zu drängen und auch hier aktiv den Diskurs von rechts mitzubestimmen. Zwar ist auf der Einstellungsebene in den vergangenen Jahren eine Konstanz rechtsextremer und rechtspopulistischer Positionen in der Gesellschaft auszumachen, doch die Stimmen derjenigen, die solche Positionen vertreten, werden gerade lauter (1). 

Rechte sind inzwischen auch Teil der Hochschullandschaft, Universitäten zum politischen Agitationsfeld rechter Gruppierungen geworden. Der Beitrag versucht daher, die aktuelle Situation rechter Bestrebungen an Hochschulen und die damit verbundenen Herausforderungen zu betrachten und Strategien für einen aktiven Umgang mit der rechte Szene zu diskutieren.

Neue Rechte sind oft unauffällig

Die extreme Rechte differenziert sich in den vergangenen Jahren immer mehr aus. Das Bild des prügelnden, sozial abgehängten Glatzennazis ist längst überholt, bei rechten Agitationsversuchen an Hochschulen trifft man weniger auf die klassischen Neonazis, die hier für ihre menschenfeindliche Politik mobilisieren, als auf die Identitären und die AfD. Politisches Wirken und Ausbildung sind eher getrennte Sphären, auch wenn der Studienabschluss durchaus für politische Zwecke genutzt wird (2): So kann ein rechtswissenschaftliches Studium helfen, um später Kameraden als Anwalt verteidigen zu können, oder es wird bewusst das Studienfach Soziale Arbeit gewählt, um hier später politisch wirken zu können. Zumeist verhalten sich Studierende aus diesem Spektrum eher unauffällig und versuchen mit ihrer politischen Gesinnung hinterm Berg zu halten. Häufig erfährt man von dem politischen Engagement der Studierenden erst durch „Outings“ der Antifa, die über rechtsextreme Aktivitäten informieren wollen.

Im Rahmen rechter Mobilisierung an Hochschulen sind es derzeit vielmehr vor allem neuere rechte Gruppierungen, die aktiv werden. Ihr Ziel ist es, Diskurse vermehrt von rechts zu besetzen und so anstelle eines Kampfes auf der Straße den Kampf um die Köpfe zu führen. Sie nutzen hierfür Wort­ergreifungsstrategien und versuchen, Begriffe umzudeuten und für sich zu vereinnahmen (3). Im Gegensatz zur alten Rechten sind es nicht die ewig gleichen dumpfen rassistischen Parolen, die heraus gebrüllt werden, sondern die eigenen Positionen werden mit Statistiken und vermeintlichen Fakten unterfüttert, um dem Ganzen eine intellektuelle Erscheinungsform einzuhauchen und den Korridor des Sagbaren nach und nach zu erweitern und nach rechts zu verschieben. Die Gründung rechter Hochschulgruppen beispielsweise der AfD in Kassel soll es möglich machen, im Rahmen studentischer Mitbestimmung Politik betreiben zu können. Auch die studentischen Verbindungen, die sogenannten Burschenschaften, sind oft im Umfeld der extremen Rechten aktiv. Rechte Gruppen und Personen agieren aber vor allem außerhalb vorgegebener politischer Hochschulstrukturen. Die Übergänge zwischen konservativen und extrem rechten Milieus und Gruppen sind fließend.

In Hessen besuchte 2016 ein Student, inzwischen stellvertretender Landessprecher der Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD, an der Goethe-Universität in Frankfurt einen Antirassismusworkshop. Im Anschluss denunzierte er in einem Youtube-Video den Leiter des Workshops. Von dem Erfolg des Videos motiviert legten 2017 weitere Mitglieder der Jungen Alternative nach und verteilten Flugblätter an der Hochschule, um gegen vermeintliche „Manipulatoren und Gesinnungsdiktatoren“ zu hetzen. Gemeint waren kritische Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Lehrende. Immer wieder findet man an hessischen Hochschulen Flyer und Aufkleber der „Identitären Bewegung“, einer neurechten Gruppierung, die mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen gegen Zuwanderung und Muslime mobil macht. So störten sie im Februar 2018 eine Abendveranstaltung des Allgemeinen Studierendenausschusses im Audimax der Universität in Rostock, indem sie ein Banner ausbreiteten und via Megaphon rechte Parolen skandierten. Immer wieder wird auch von Lehrenden an hessischen Hochschulen berichtet, wie ihre Veranstaltungen gestört werden. Dabei sind es oft nur einzelne Studierende, die im Seminar versuchen, den Diskurs an sich zu reißen und politisch zu agitieren, bis hin zur Unmöglichkeit, Lehre sachgemäß durchführen zu können.

Alle haben ein Recht auf Bildung

Universitäten und Hochschullehrende stehen hier vor einer besonderen Herausforderung im Umgang mit extrem Rechten. Unabhängig von der politischen Positionierung haben nach Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte alle Menschen unabhängig von ihrer politischen Einstellung ein Recht auf Bildung. Das gilt auch für Rechtsextreme. Konsequenzen für politisches Handeln wie eine Exmatrikulation können also nur in Frage kommen, wenn beispielsweise eindeutig gegen die Hausordnung verstoßen wurde oder es gar zu Gewalthandlungen kommt. Hochschulen haben einen menschenrechtsorientierten Bildungsauftrag zu erfüllen, der auch diejenigen einschließt, die ihn offen politisch bekämpfen. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage nach dem aktiven Umgang mit diesem Dilemma. Viele Lehrende fühlen sich mit der Situation im Umgang mit rechten Strategien im Seminar überfordert und teilweise auch von der Hochschule zu wenig unterstützt.

Rechten Agitationen keinen Raum geben

Hochschulen können den Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus selbst aktiv gestalten. Das muss jedoch über ein reines Bekenntnis gegen Rechts hinaus gehen und bedeutet, Betroffenen rechter Agitation von sich aus Unterstützung anzubieten. Gleichzeitig gilt es, für dieses Thema zu sensibilisieren und entsprechende Weiterbildungsangebote dauerhaft zu initialisieren. Oft erkennen weder Lehrende noch Studierende, welche politische Strategie sich gerade vor ihren Augen im Seminar entfaltet. Sie können somit die Geschehnisse nur schwerlich als rechtsextreme Agitation einordnen und dem aktiv etwas entgegensetzen. Hier helfen Informationsveranstaltungen und Workshops, die Studierende und Lehrende im Umgang mit den rechten Störerinnen und Störern schulen.

Den Lehrenden selbst sei geraten, sich nicht in politische Debatten verstricken zu lassen. Die Herausforderung ist, kritische und kontroverse Diskussionen zuzulassen und gleichzeitig in der Lage zu sein, die Grenzen so zu stecken, dass menschenfeindliche Positionen keinen Platz im Seminar bekommen. Die oft artikulierte Vorstellung, Rechte im Diskurs mit dem besseren Argument zu stellen, ist fatal. Es geht ihnen nicht um eine offene Auseinandersetzung über verhandelbare Positionen, sondern um die gezielte Verbreitung politischer Ideologien. Jede Diskussion mit Rechten im öffentlichen Raum, und dazu zählen auch die Studienseminare, gibt ihnen die Möglichkeit, ihre menschenfeindlichen Positionen zu vertreten. Zudem schulen Rechte hier regelrecht ihr Diskussionsvermögen und man selbst gerät leicht in die Position, die eigene Arbeit zu verteidigen, die man eigentlich nicht zu rechtfertigen braucht. Die in Artikel 5 im Grundgesetz festgeschriebene Freiheit von Lehre und Forschung kann ein schneller Anker sein, sich einer solchen Debatte zu entledigen und das Seminarprogramm entsprechend fortführen zu können.

Darüber hinaus kann es hilfreich sein, die anderen Studierenden zu adressieren und über die entstandene Situation aufzuklären. In dem Fall ist nicht mehr die extrem rechte Person Gesprächspartnerin oder Gesprächspartner, sondern deren politische Agitation selbst wird zum Thema, über das gesprochen werden kann. Dabei kann es nicht nur darum gehen, etwas als rassistisch oder antisemitisch zu klassifizieren, sondern es muss auch deutlich werden, warum das ein Problem ist – auch um Betroffene vor rechtsextremer Propaganda und Übergriffen zu schützen. Hier lassen sich neben der Aufklärungsarbeit auch Solidarisierungseffekte erzielen, die nicht nur den Lehrenden, sondern auch den Studierenden die Möglichkeit eines aktiven Umgangs mit rechter Propaganda an Hochschulen bieten. 

Demokratische Studierende adressieren 

Strategien und Handlungskonzepte in dieser Form zu initiieren, gibt die Möglichkeit, aktiv zu werden, den Diskurs wieder selbst zu steuern und nicht nur auf entsprechende Vorfälle zu reagieren. Auch wenn sich Hochschulen politisch neutral zu positionieren haben, kann so aktiv eine menschenrechtsorientierte Alltagspraxis etabliert werden, die im Sinne einer vielfältigen, toleranten Gesellschaft ausbildet.

Alice Blum


Alice Blum ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Promovendin am Institut für allgemeine Erziehungswissenschaften an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Sie forscht zu rechten Szenen in der Gegenwart.

(1) Andreas Zick, Daniela Krause und Beate Küpper (2016): Verbreitung rechtspopulistischer Einstellungen 2014 – 2016. In: Ralf Melzer: Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände, Bonn Dietz-Verlag. S. 116-125
(2) Claudia Luzar und Dierk Borstel (2014): Umgang mit rechtsextremen Studierenden an Hochschulen. denk-doch-mal.de (Suche: Luzar Borstel)
(3) Alice Blum, Max Pichl und Tom Uhlig (2017): Wo das Gespräch aufhört – Reflexionen über den Umgang mit Rechten in öffentlichen Räumen. Online: www.belltower.news > Debatten