Zur Novellierung des Hochschulgesetzes

Detailierte Betrachtung

HLZ 9-10/2021: Privatisierung

Bereits in ihrer ersten spontanen Kommentierung des Entwurfs zur Novellierung des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG) sprach Simone Claar für das Referat Hochschule und Forschung im GEW-Landesvorstand von „einer gewissen Hoffnung, dass die Landesregierung die vielen Aktionen wahrgenommen hat und dem Befristungsunwesen an den hessischen Hochschulen auch mit gesetzlichen Regelungen entgegentreten will“ (HLZ 7-8/2021, Seite 8).

Inzwischen hat die GEW Hessen eine umfassende Stellungnahme erarbeitet, die man zusammen mit einer synoptischen Übersicht über die geplanten Änderungen auf der Homepage der GEW Hessen finden kann (www.gew-hessen.de > Bildung > Hochschule und Forschung).
Im Folgenden dokumentieren wir die wichtigsten Änderungen mit einem besonderen Augenmerk auf die personalrechtlichen Aspekte und die Kommentierung durch die GEW Hessen.

Aufgaben der Hochschulen

In § 3 Absatz 4 und Absatz 5 (neu) werden die Hochschulen auf die Grundsätze der Nachhaltigkeit und der Vielfalt verpflichtet. Sie „legen der Wahrnehmung ihrer Aufgaben die Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne eines nachhaltigen Umgangs mit Natur, Umwelt und Menschen und einer bewussten Nutzung von Ressourcen zu Grunde“ und „wirken an der Nachhaltigkeitsstrategie des Landes mit. (…) Die Hochschulen tragen der Vielfalt ihrer Mitglieder Rechnung, indem sie ein diskriminierungsfreies Studium sowie eine diskriminierungsfreie berufliche und wissenschaftliche Tätigkeit unabhängig von der Herkunft und der ethnischen Zugehörigkeit, dem Geschlecht, dem Alter, der sexuellen Identität, einer Behinderung oder der Religion und Weltanschauung sicherstellen. (…)“

GEW Hessen: Wir begrüßen die vorgeschlagenen Änderungen mit besonderem Nachdruck. Die Ausweitung und genauere Definition der Aufgaben rechtlich zu begründen, bildet die Vielfalt und verschiedenen Herausforderungen des hessischen Hochschulsystems ab. Entscheidend für die Rechtswirksamkeit des erweiterten Aufgabenkatalogs ist, dass die Aufgaben weitere rechtliche Folgen und Handlungen der Hochschulen nach sich ziehen. Das gilt insbesondere für die Verpflichtung der Hochschulen nach § 3 Absatz 7 (neu), „den berechtigten Interessen ihres Personals an guten Beschäftigungsbedingungen angemessen Rechnung“ zu tragen und die Weiterbildung des Personals zu fördern. Damit dies für die Beschäftigten zu spürbaren Veränderung führt, müssen die Hochschulen aber auch finanziell entsprechend besser ausgestattet werden. Gewachsene gesellschaftliche Aufgaben und Verantwortung können nur mit entsprechenden finanziellen Mitteln bewältigt werden.

Die GEW Hessen vermisst allerdings eine Festlegung, dass die Leistungen der Hochschulen, insbesondere in Forschung und Lehre, grundsätzlich ausschließlich friedlichen Zwecken dienen sollen.

Hochschuldozentinnen und -dozenten

In § 72 Absatz 3 und Absatz 5 wird die neue Personalkategorie des Hochschuldozenten oder der Hochschuldozentin begründet. Danach kann ein unbefristetes Arbeitsverhältnis oder ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nicht nur wie bisher „zur Wahrnehmung von Daueraufgaben“, sondern auch „zur selbstständigen Wahrnehmung von forschungs- und wissenschaftsbasierter Lehre begründet werden“. In einer „Bewährungsphase erfolgt die Beschäftigung in einem Beamtenverhältnis auf Zeit oder einem befristeten Arbeitsverhältnis von höchstens dreijähriger Dauer. Die Entscheidung über die Bewährung erfolgt auf der Grundlage einer wissenschaftsgeleiteten Evaluation. Bei festgestellter Bewährung berechtigt die Entscheidung (…) zum Führen der Bezeichnung ‚Hochschuldozentin‘ oder ‚Hochschuldozent‘.“

GEW Hessen: Wir begrüßen grundsätzlich die Möglichkeit, mehr unbefristetes Personal auch auf wissenschaftlichen Positionen jenseits der Professur anzustellen. Mittels eines Tenure-Track-Verfahrens für Post-docs schafft das Wissenschaftsministerium einen attraktiveren Rahmen, um unbefristete Verträge zu begründen. Entscheidend wird sein, dass die Hochschulleitungen diese Möglichkeit auch tatsächlich nutzen. Denn wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unbefristet anzustellen, ist bereits jetzt rechtlich möglich, die Hochschulleitungen zeigen daran aber wenig Interesse. Inwieweit eine quasi künstliche Verlängerung der Probezeit daran etwas ändert, wird über den Erfolg der neuen Personalkategorie entscheiden. Zur Attraktivität der Stellen für Hochschuldozentinnen und Hochschuldozenten und zur Fachkräftegewinnung stellt sich die Frage nach der Eingruppierung und Lehrverpflichtung, die nicht im HHG geregelt wird, aber mit bedacht werden muss. Wir fordern und empfehlen mit Nachdruck E14 und eine zeitnahe Novellierung der Lehrverpflichtung. Diese ist auch aufgrund anderer Personalkategorien überfällig.

Dabei ist darauf zu achten, dass sich die Lehrpflicht von Hochschuldozentinnen und Hochschuldozenten von der der Lehrkräfte für besondere Aufgaben unterscheidet. Eine Doppelung dieser Personalkategorie unter anderem Namen wäre ein Rückschritt.

Neue Befristung durch Kooperationen?

In dem neu aufgenommenen § 5 Absatz 1 werden die Hochschulen verpflichtet, „bei der Wahrnehmung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben mit anderen staatlichen Hochschulen, dem Bund, den Ländern und Kommunen und ihren Einrichtungen, öffentlich-rechtlichen außeruniversitären Forschungs-, Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie Einrichtungen der Forschungsförderung, den Studierendenwerken und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit dem Ziel der gemeinsamen Aufgabenerfüllung, die durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt ist, zusammenzuarbeiten (…), soweit dies sachlich geboten ist.“

GEW Hessen: Falls die Hochschulen untereinander oder mit Dritten Verträge zur Gründung eigener Forschungsschwerpunkte, -einheiten und -projekte schließen, birgt dies aufgrund einer möglichen zeitlichen Befristung der Vereinbarungen die Gefahr, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerhalb der Einrichtung einmal mehr ausschließlich befristet beschäftigt werden, obwohl es sich vorwiegend um Haushaltsmittel der Hochschule handelt. Die GEW verweist auf die ausdrückliche Absicht des Gesetzgebers, das Befristungsunwesen zu begrenzen.

Außerdem fordert die GEW Hessen, auf die  Tarifbindung und die Vertretung durch den jeweils zuständigen Personalrat zu achten.

Tandem-Professuren

§ 71 Absatz 1 und Absatz 2 (neu) soll es ermöglichen, dass Nachwuchswissen­schaftlerinnen und Nachwuchswissen­schaftler an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) „die für die Übertragung einer Professur erforderliche dreijährige außerhochschulische Berufspraxis (…) im Rahmen einer Tandem-Professur erwerben. Tandem-Professorinnen und -Professoren werden in einem auf höchstens vier Jahre befristeten Arbeitsverhältnis mit dem hälftigen Umfang einer Vollzeitprofessur beschäftigt. (…)“

GEW Hessen: Wir halten die Einführung einer Tandem-Professur grundsätzlich für sinnvoll. Hier soll die dreijährige Berufserfahrung auch parallel zur Professur erworben werden können. Ein Tandem aus Hochschule und Berufswelt ist nur erfolgreich, wenn die unteilbaren Berufs- und Dienstaufgaben berücksichtigt werden, die zu umfangreicher Mehrarbeit und zu Kollisionen zwischen Hochschulen und Betrieben führen können. Zur Abfederung ist hier für die Zeit der dreijährigen berufspraktischen Phase eine angemessene Reduzierung der Lehrverpflichtung von mindestens 2 Semesterwochenstunden am besten bereits im HHG vorzusehen. Für eine hohe Attraktivität der Tandem-Professur fordern wir grundsätzlich eine Besoldung nach W2 statt wie vorgesehen nach W1. Im Falle der Übertragung höherwertiger Aufgaben und nach Abschluss der dreijährigen Berufsphase sollte eine höhere Besoldung nach W3 als Kann-Regelung für die einzelne Hochschule ermöglicht werden. In Anlehnung an die Tandem-Professur sollten auch Berufungen im Team ermöglicht werden, so dass sich zwei Personen eine Professur teilen können. Die GEW fordert, diese Möglichkeit auch für Universitäten zu schaffen.

Keine Willkür bei Berufungen

§ 69 (neu) regelt, in welchen Fällen von der verpflichtenden Ausschreibung einer Professur abgewichen werden kann.
GEW Hessen: Wir halten das für ausgesprochen problematisch, insbesondere für die Fälle, dass „für die Besetzung einer Professur eine in besonders herausragender Weise qualifizierte Persönlichkeit zur Verfügung steht“ oder „Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler berufen werden sollen, die der Universität in besonderer Weise verbunden sind“. Mindestens sollte die Zustimmung des Fachbereiches und des Senates eingeholt werden müssen. Der umfassende Ausnahmekatalog birgt die Gefahr von Willkür und Vetternwirtschaft.

Befristungen einen Riegel vorschieben

GEW Hessen: Die rechtlich wirksamste Möglichkeit zur Begrenzung befristeter Verträge wird im aktuellen Gesetzentwurf leider nicht genutzt. Die GEW Hessen fordert nach wie vor, dass Befristungen nur dann zulässig sind, wenn eine wissenschaftliche Qualifizierung tatsächlich erfolgt. Für den Regelfall der wissenschaftlichen Qualifikation – die Promotion – sind die Änderungen in § 29 sinnvoll und bilden die Realität ab. Hier wollen wir auf die Problematik hinweisen, dass der genaue Anfangs- und Endzeitpunkt der Promotion an Hochschulen sehr unterschiedlich geregelt wird, so dass es in Einzelfällen zu Problemen bei der Stufenzuordnung oder bei der Anrechnung von Dienstzeiten nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz kommen kann. Hier wäre auf eine Angleichung hinzuwirken.

Lehrkräfte für besondere Aufgaben, Lehrbeauftragte und Privatdozenten

GEW Hessen: Zur Wahrung der Einheit von Forschung und Lehre und der wissenschaftlichen sowie beruflichen Weiterentwicklung fordert die GEW Hessen, in § 73 (neu) auch einen angemessenen Anteil für Forschung der Lehrkräfte für besondere Aufgaben vorzusehen. Insbesondere an HAW ist für diese Gruppe eine Reduzierung der Lehrverpflichtung überfällig. Lehrbeauftragte dürfen keine Dumpinglehrkräfte sein. In § 78 muss der Anspruch auf einen angemessenen Arbeitsplatz, auf Arbeitsmaterialien, Dienstgeräte und Unterstützung durch die Verwaltung vorgesehen werden oder es müssen sich diese Anforderungen in ihrer Vergütung niederschlagen. Die Übernahme von Prüfungstätigkeiten und weiteren Aufgaben ist zusätzlich zu vergüten, ebenso muss in § 78 die Vergütung angemessener Vor- und Nachbereitungszeiten berücksichtigt. Die unbezahlte Lehre von Privatdozentinnen und Privatdozenten muss durch eine entsprechende Regelung in § 30 Absatz 2 beendet werden. Grundsätzlich sind aus unserer Sicht sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu bevorzugen.

Studentische Hilfskräfte

Die schwarz-grüne Koalition hat sich verpflichtet, tarifähnliche Bedingungen für Hilfskräfte zu schaffen. Der vorliegende Gesetzentwurf übernimmt in § 82 neu jedoch unverändert die bisherigen Regelungen aus § 75.
GEW Hessen: Wir fordern eine Mindestvertragslaufzeit von zwei Jahren. Die Obergrenze der Anstellungszeit von sechs Jahren ist zu streichen, die Hochschulen sollten gesetzlich auf einheitliche Löhne gemäß TV-H verpflichtet werden. Auch Hilfskraftstellen sollten ausgeschrieben und im Rahmen der anstehenden Novellierung des Hessischen Personalvertretungsgesetzes (HPVG) in den Geltungsbereich der betrieblichen Mitbestimmung einbezogen werden. Alternativ kann dies auch vergleichbar mit dem Hochschulgesetz in Nordrhein-Westfalen geregelt werden.

Teilzeitstudium endlich verankert

§ 19 Absatz 1 (neu) verpflichtet die Hochschulen ihre Studiengänge so zu organisieren, „dass sie auch in Teilzeit studiert werden können (informelles Teilzeitstudium). Darüber hinaus sollen die Hochschulen gesonderte Teilzeitstudiengänge einrichten (formelles Teilzeitstudium).“ Um dies zu ermöglichen, sollen die Hochschulen nach Absatz 2 (neu) Studien- und Prüfungsordnungen in einer Weise so gestalten, dass sie „ein Teilzeitstudium nicht erschweren“.

GEW Hessen: Die rechtliche Verankerung des Teilzeitstudiums ist ein wichtiger Schritt hin zu einer Anerkennung von Studienrealitäten und war lange überfällig. Allerdings birgt das informelle Teilzeitstudium das Problem, dass Studierende nach wie vor keine Rechte und Ansprüche geltend machen können. Wir empfehlen daher für eine graduell stärkere Verpflichtung in Absatz 2 „nicht erschweren“ durch „gewährleisten“ zu ersetzen. Der Stand und Ausbau des Teilzeitstudiums sollte regelmäßig evaluiert und auf Basis der Ergebnisse fortentwickelt werden. Grundsätzlich steht die Orientierung auf die Regelstudienzeit einer individuellen und flexiblen Studienverlaufsplanung entgegen.