Kinder, Eltern und Schulen brauchen Verlässlichkeit!

Inklusion braucht Ressourcen!

Mit der Unterzeichnung des Übereinkommens der UN über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat sich Deutschland auf den Weg eines gesellschaftlichen Paradigmenwechsel begeben: Inklusion als konsequente Weiterführung von Integration. Hier geht es zunächst um eine Haltung, ein Menschenbild.
 
Während Integration das Hereinnehmen des „Besonderen“, des vom „Normalen“ abweichenden in das bestehende System meint, ohne das System substantiell zu verändern, geht Inklusion davon aus, dass zu einem gesellschaftlichen System grundsätzlich seine gesamte Vielfalt dazugehört, dass seine Heterogenität „normal“ und nicht zu „besondern“ ist. In der Konsequenz bedeutet das, gesellschaftliche Systeme müssen sich immer wieder verändern, um gleichberechtigte Teilhabe aller zu ermöglichen.

Das System Schule muss sich diesbezüglich mittelfristig ganz grundlegend verändern, um Inklusion gemäß der Konvention wirklich umzusetzen. Diese Entwicklung muss dabei unter folgenden Prämissen stattfinden:

  • Alle Kinder und Jugendlichen lernen und leben miteinander. Eine Trennung nach Art und Schwere der Behinderung sieht die UN-Konvention nicht vor. Das wäre Separation und außerordentlich  konträr zur inklusiven Haltung.
  • Schulische Inklusion kann nur wohnortnah sein. Ein Kind mit einer Behinderung in einer Schule außerhalb seines Wohngebietes zu beschulen, bedeutet Trennung von der originären Peergroup  und damit Separation.
  • Inklusion ist keine Frage des Alters. Inklusiver Unterricht, der in den Sekundarstufen nicht fortgeführt wird, sondern Trennung in verschiedene Schulformen und damit unterschiedliche „Besonderungen“ nach Leistung zur Folge hat, spottet inklusiver Haltung Hohn und ist in hohem Maße zynisch.
  • Lernen am gemeinsamen Gegenstand in heterogenen wohnortnahen Gruppen bedeutet keineswegs, die Förderdiagnostik zu vernachlässigen. Sie ist im Gegenteil Garant dafür, dass „angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden“ (UN-Konvention, Präambel, Artikel 1, 2, 24).
  • Damit Inklusion gelingt, den Bedürfnissen jedes Einzelnen also in vollem Umfang Rechnung getragen werden kann, bedarf es neben der Zusammenarbeit von Lehrkräften interdisziplinäre Teams aus sozial- und heilpädagogischen sowie therapeutischen Fachkräften für die Bildungs- und  Erziehungsaufgaben.
    Das neue hessische Schulgesetz und die novellierte Verordnung zur sonderpädagogischen Förderung, die die Grundlagen zur Realisierung von Inklusion an Hessens Schulen legen sollen, gehen diesbezüglich jedoch genau in die entgegengesetzte Richtung! Das, was die Landesregierung als „inklusive Bildung" bezeichnet, ist deshalb in Wirklichkeit auch ein Zerrbild derselben und fällt noch hinter die Standards des bisher praktizierten „Gemeinsamen Unterrichts", einer Integrationsmaßnahme, zurück.
    Insbesondere die Schulen, die sich in den letzten Jahren auf den Weg gemacht haben und mit der Ausgestaltung des Gemeinsamen Unterrichts (GU) Schritte zur Inklusion gegangen sind, sehen diese Entwicklung nun durch neue Vorgaben bedroht:
  • Klassen, in denen Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam unterrichtet wurden, hatten aus guten Gründen eine niedrigere Schülerzahl. Diese Klassenobergrenzen sind in der neuen Verordnung nicht mehr vorgesehen.
  • Für eine Schülerin oder einen Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf waren wöchentlich 5 bis 10 zusätzliche Lehrer- und Erzieherstunden vorgesehen. Diese Zuweisung wurde zwar in den vergangenen Jahren zunehmend unterschritten, soll jetzt aber vollständig ausgehöhlt werden: Einer Schule steht für jeweils sieben Schülerinnen oder Schüler mit entsprechendem Anspruch auf sonderpädagogische Förderung rechnerisch nur noch eine zusätzliche Lehrerstelle zu.
  • Der Förderausschuss muss zukünftig immer eingerichtet werden, wenn ein Anspruch auf sonderpädagogische Förderung in Betracht kommt oder bereits besteht. Das Staatliche Schulamt muss jede Entscheidung eines Förderausschusses überprüfen und genehmigen. Der Förderausschuss muss einstimmig beschließen. Geschieht das nicht, ist es stattdessen Angelegenheit des Staatlichen Schulamts zu entscheiden.
  • Sprachheilklassen und Kleinklassen für Erziehungshilfe werden abgeschafft. Nur noch dann, wenn ein sonderpädagogischer Förderbedarf rechtsverbindlich festgestellt wurde, soll ein Förderschullehrer in der direkten Arbeit mit dem Schüler eingesetzt werden. Ansonsten hat er nur die Aufgabe, die Beteiligten zu beraten. Präventionsarbeit mit dem Schüler durch Sonderpädagogen entfällt.
  • Förderschullehrer sollen, sofern ihre Stammschule eine allgemeinbildende Schule ist, an Förderschulen versetzt werden.
  • Die Entscheidung über sonderpädagogische Ressourcen und den Personaleinsatz soll zukünftig ausschließlich bei den Beratungs- und Förderzentren und dem Staatlichen Schulamt liegen. Das Arbeitsfeld der Förderschullehrkräfte verändert sich: Weniger direkte Arbeit mit dem Schüler, weg von präventiver Intervention hin zu Beratungstätigkeit, Leitung von Förderausschüssen und Beteiligung an der Organisation all dieser Prozesse und Abstimmungen.

Inklusive Schulen brauchen aber auch inklusive Kollegien! Schulen, die sich auf den Weg zur Inklusion machen, müssen sich verändern. Dazu braucht man in der allgemeinen Schule multiprofessionelle Teams aus Regelschullehrerinnen und -lehrern, sozialpädagogischen Fachkräften und Lehrkräften mit besonderen Kenntnissen und Erfahrungen im Bereich der Förderdiagnostik und Förderpädagogik. Regelschulen, die sich verändern wollen, brauchen die Fachkompetenzen als Teile des Kollegiums dauerhaft und verlässlich in ihrer Schule. Die Absicht der Autorinnen und Autoren des Verordnungsentwurfs, alle Förderschullehrkräfte an den Beratungs- und Förderzentren anzusiedeln und dann für begrenzte Zeiten und begrenzte Zeiträume in den Regelschulen einzusetzen, geht in die falsche Richtung. Dies belegen die Erfahrungen in den Kleinklassen, in denen Förderschullehrkräfte gemeinsam mit den Lehrkräften der allgemeinen Schule in den Klassen mit den Kindern arbeiten, zum Kollegium gehören, gemeinsam die Schule verändern und ihre Arbeit nicht ausschließlich auf die Beratung konzentrieren.


In diesem Sinne hat auch eine Lehrkraft das Recht, ein inklusiver Bestandteil einer Schule zu sein.
In den letzten Jahren konnten sich an einigen hessischen Schulen Kompetenzstandorte entwickeln, in denen eine integrative Grundhaltung aller Beteiligten als unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen des gemeinsamen Lernens von Kindern mit und ohne Behinderung gegeben ist. An zahlreichen Schulen, die seit vielen Jahren Integration praktizieren und sich zu inklusiven Schulen entwickeln möchten, ist der Gemeinsame Unterricht ein unverzichtbarer Teil des Schulkonzeptes und trägt zur Qualitätsentwicklung bei. Dabei muss die personelle Versorgung des Gemeinsamen Unterrichts und erst recht inklusiver Schulen so gestaltet sein, dass durch Kontinuität und Verlässlichkeit förderliche und arbeitsfähige Strukturen gewährleistet sind.

Deshalb:
Unterschreibt die Resolution der GEW Hessen und fasst entsprechende Beschlüsse in Konferenzen und Personalversammlungen. Schickt diese an das Kultusministerium und alle Landtagsfraktionen (und der GEW zur Kenntnis).

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