Asylrecht in Gefahr

Gesetze gefährden den Zugang zum Menschenrecht auf Asyl

HLZ 5/2019: 70 Jahre Grundgesetz

Seit 2015 wird das deutsche Asylrecht durch Gesetze zum Teil erheblich verschärft. So heißt es im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD von 2018 bezeichnend, dass sich eine „Situation wie 2015 nicht wiederholen“ dürfe. Dieser Satz ist ein eindeutiges Zugeständnis an die politische Rechte und fällt den hunderttausenden Menschen in den Rücken, die sich ehrenamtlich für die Aufnahme und die Rechte von Flüchtlingen – bis heute – engagieren. Die zahlreichen Asylrechtsverschärfungen haben auch zum Ziel, Flüchtlinge so weit es geht auf Distanz zu einer engagierten Zivilgesellschaft zu halten, die Menschen dabei hilft, die Anforderungen an eine „gelungene Integration“ zu erfüllen, oder sich aktiv einbringt, um Abschiebungen zu verhindern.

Rückkehr der Lager

Um diese Kontakte zu unterbinden, steht aktuell eine Renaissance der bundesdeutschen Lagerpolitik auf der Tagesordnung, wie sie vor allem durch Bundesinnenminister Horst Seehofer in Form der „Anker-Zentren“ vorangetrieben wird. Der euphemistische Begriff des „Ankers“ verschleiert, dass es sich hierbei um große Lager handelt, in denen die grundlegenden Rechte von Flüchtlingen beschnitten werden. Die bisherige Erfahrung aus Bayern zeigt, dass in den dortigen Anker-Zentren zum Beispiel Kindern der Besuch von regulären Schulen verboten wird, obwohl die UN-Kinderrechtskonvention und auch das bayerische Schulrecht einen rechtlichen Anspruch vorsehen. Diese Praxis wurde von der GEW Bayern scharf kritisiert und musste erst in langwierigen Rechtsverfahren vor Gericht erstritten werden. Damit Flüchtlinge ihre Rechte kennen, müssen sie aber auch Kontakt zu Rechtsbeiständen und Ehrenamtlichen haben, die sie unterstützen. Dem Bayerischen Flüchtlingsrat wurde aber der Zugang zu den Anker-Zentren verwehrt, was einen eindeutigen Verstoß gegen Europarecht darstellt. Das ganze Modell dieser Lager zielt auf die systematische Entrechtung von Flüchtlingen ab.

Die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen verzichtete darauf, die Unterbringungszentren unter das Label der Anker-Zentren zu fassen, was sicherlich auch mit dem unionsinternen Streit zwischen CDU und CSU und mit dem Auftreten von Horst Seehofer zusammenhängt. Nach außen hin mag damit das Konzept von Seehofer gescheitert sein, die Anker-Zentren schnell einzuführen. Tatsächlich ist aber auch die hessische Landesregierung daran interessiert, bestimmte Flüchtlingsgruppen festzusetzen, um sie leichter abschieben zu können. So heißt es im neuen Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün: „Abgelehnte Asylbewerberinnen und -bewerber ohne Bleibeperspektive müssen unser Land schnellstmöglich wieder verlassen.“ Und auch in Hessen leben, trotz deutlich gesunkener Ankunftszahlen, weiterhin viele Menschen unter prekären Bedingungen in Erstaufnahmeeinrichtungen.

Im Fokus hessischer Flüchtlingspolitik stehen immer wieder das Abschiebegefängnis in Darmstadt und Probleme bei der Unterbringung. So berichtete die Frankfurter Rundschau exemplarisch am 20. März über eine Flüchtlingsunterkunft in Nidderau-Heldenbergen, wo immer noch rund 60 Flüchtlinge - insbesondere junge Männer – in einer großen fensterlosen Halle untergebracht werden, die bis 2016 zu einer Möbelfirma gehörte: „Die engen Wohneinheiten sind nur durch dünne Wände getrennt, haben keine Decke, so dass man jeden und alles hören kann. Koch-, Wasch- und Duschgelegenheiten sind rar.“

Rigorose Abschiebepolitik

Neben der Rückkehr der Lagerpolitik ist auch eine Zunahme von deutlich rigoroseren Abschiebungen zu verzeichnen. Schon durch das Asylpaket I von 2015 wurde gesetzlich verboten, Abschiebungen den Betroffenen anzukündigen. Die Folge sind überraschende Einsätze der Polizei in den Einrichtungen von Flüchtlingen, in der Regel zu sehr später Stunde, wodurch die Betroffenen unter ständigen psychischen Belastungen leben. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu zynisch, dass posttraumatische Belastungsstörungen sowie psychologische Atteste einer Abschiebung nicht mehr entgegenstehen. Das Verbot der Ankündigung von Abschiebungen verletzt zudem das Recht der Betroffenen auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Schließlich ist ein effektiver Rechtsschutz durch die Anwältinnen und Anwälte nur möglich, wenn der Termin eines belastenden Verwaltungsakts bekannt ist. Viele Abschiebungen gelingen nur deshalb, weil die Anwältinnen und Anwälte nicht mehr genügend Zeit haben, um im Rahmen des Eilrechtsschutzes den Vorgang aufzuhalten. Aus diesem Grund veröffentlichen zivilgesellschaftliche Initiativen zuweilen, sofern sie von einer Abschiebung Kenntnis erhalten, den genauen Termin. Laut einem aktuellen Gesetzentwurf aus dem Februar 2019 möchte der Bundesinnenminister ein solches Verhalten künftig unter Strafe stellen. Wer einen Abschiebetermin ohne Erlaubnis veröffentlicht, soll mit Geldstrafe oder bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Die Unbestimmtheit der Norm erlaubt es sogar gegen Journalistinnen und Journalisten vorzugehen, die Abschiebungstermine veröffentlichen.

Auch die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen setzt auf eine harte Abschiebepraxis. Dem Koalitionsvertrag zufolge wird an der Linie festgehalten, Abschiebungen ins Bürgerkriegsland Afghanistan zu vollziehen, wobei dies „vorrangig Straftäterinnen und Straftäter und Gefährderinnen und Gefährder“ treffen soll. Doch grundlegende Menschenrechte, wie zum Beispiel das Verbot, einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu werden, stehen selbstverständlich auch Menschen zu, die Straftaten verübt haben. Für sie ist das Strafrecht einschlägig; eine Abschiebung würde hingegen zu einer Doppelbestrafung führen. Ohnehin zeigt die Abschiebepraxis in Hessen, dass rechtsstaatliche Standards nicht eingehalten werden. Gerade in letzter Zeit häuften sich besonders problematische Fälle, wie die versuchte Abschiebung einer hochschwangeren Frau, die erst in letzter Sekunde durch den zuständigen Piloten verhindert wurde, oder die unzulässige Abschiebung eines russischen Asylbewerbers, dem die Ablehnung seines Asylantrages nie zugestellt wurde. Es ist nicht verwunderlich, dass solche Fälle zunehmen, wenn sich die Politik von einem rechtspopulistischen Diskurs, der Abschiebungen um jeden Preis einfordert, treiben lässt.

Weichenstellung Europawahl

Die Unterbringung von Flüchtlingen in großen Lagern und eine rigorosere Abschiebepolitik verfolgen das übergeordnete Ziel, den Zugang zum Recht sukzessive zu beschneiden. Auf diese Weise kann das individuelle Recht auf Asyl zwar bestehen bleiben, aber zugleich werden die Voraussetzungen, um dieses Recht wirklich in Anspruch nehmen zu können, faktisch abgebaut.

Gerade im Kontext der Europawahl im Mai 2019, bei der ein großer Erfolg der extremen Rechten möglich ist, ist auch die europäische Flüchtlingspolitik relevant. Auch die Europäische Kommission hat ein umfassendes Reformpaket auf den Weg gebracht, um die europarechtlichen Asylverordnungen und Asylrichtlinien in großen Teilen zu verschärfen. Im Rahmen der Dublin-Verordnung, die die Zuständigkeit für das Asylverfahren von Flüchtlingen regelt, sollen zum Beispiel neue Verfahrensabläufe dafür sorgen, dass Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsstaaten und diejenigen, die über „sichere Drittstaaten“ gereist sind, gar keinen Zugang mehr zu einem ordentlichen Asylverfahren erhalten. Die Reform ist aktuell im Stocken, weil der Rat der Europäischen Union in der Flüchtlingspolitik vollkommen uneinig ist.
Klar ist, dass sich durch einen Erfolg der extremen Rechten bei der Europawahl die Situation für Flüchtlinge noch weiter verschlechtern wird.

Maximilian Pichl

Maximilian Pichl hat Rechts- und Politikwissenschaft studiert und promoviert im Rahmen eines Stipendiums der Hans-Böckler-Stiftung an der Universität Kassel zur europäischen Migrationspolitik.