„Bei uns gibt es keine AfD-Wähler“?

Nach der Wahl:  Zum Bildungsverständnis der AfD

HLZ 1/2019

13,1 Prozent der Zweitstimmen und 19 Mandate für die AfD im neuen hessischen Landtag: Da hilft auch kein Hinweis, dass sie ihr selbst gestecktes Ziel von „15 Prozent + X“ verfehlt habe. Bei den Mitgliedern der Gewerkschaften im DGB und des Beamtenbunds kam die AfD auf 17,0 Prozent, bei den männlichen Gewerkschaftern sogar auf 20,3 Prozent, wie die Nachwahlumfrage der Forschungsgruppe Wahlen ergab. Über das Wahlverhalten von Lehrerinnen und Lehrern gibt es keine Statistik. Doch auch hier wird man Wählerinnen und Wähler der AfD finden, obwohl sich nur wenige als solche outen. Noch nicht! Die Unzufriedenheit der Lehrkräfte mit den Arbeitsbedingungen an hessischen Schulen ist hoch und die eine oder der andere dürfte dazu neigen, den bisher im Landtag vertretenen Parteien, die alle irgendwie „in die Regierung“ kommen wollten, einen „Denkzettel“ zu verpassen. Ganz besonders ärgert viele die Ignoranz der Landesregierung, die immer nur Erfolgsmeldungen absetzt und die realen Missstände vollkommen ignoriert. Dieses Informationsdesaster nutzte die AfD, um in ihrem Landtagswahlprogramm Missstände aufzugreifen und vermeintliche Lösungen anzubieten – auch auf dem Feld der Bildung. Christoph Baumann analysiert im Folgenden die Aussagen des Wahlprogramms der AfD zu Fragen der Bildung und Erziehung.

Die AfD greift die Kritik an der von den Kultusministerien top-down durchgesetzten Kompetenzorientierung auf und beanstandet, „dass eine gegenwärtig in Bildungsstandards betriebene, ausschließliche ‚Kompetenzorientierung‘ die notwendige Wissensvermittlung an hessischen Schulen aufs Gröbste vernachlässigt“ (1). Die Schlussfolgerung, die die AfD daraus zieht, stellt den Lehrerinnen und Lehrern allerdings ein schlechtes Zeugnis aus und ist in dieser Form schlicht falsch: „Das führt dazu, dass unsere Kinder trotz attestierter Schulabschlüsse weder ausbildungsfähig für Handwerksberufe noch für Studiengänge hinreichend qualifiziert sind.“ Diese Übertreibung wird dann wieder mit der durchaus zutreffenden Aussage ergänzt, dass „in die personelle und in die sächliche Ausstattung von Schule und Hochschule (…) mehr investiert werden“ muss. Diese Vermischung von Dichtung und Wahrheit ist ein häufiges Element im AfD-Wahlprogramm.

Inklusion und „Kindeswohl“

Die AfD lehnt die inklusive Beschulung rundweg ab, allerdings nicht, weil die personelle und sächliche Ausstattung zu schlecht ist, sondern aus ideologischen Gründen: Das „Kindeswohl“ müsse „im Vordergrund stehen“. Schließlich gehe „es bildungspolitisch um die Wertschätzung von Menschen mit Beeinträchtigungen wie gleichermaßen um die Wertschätzung eines jeden anderen Menschen.“ Was dieser Allgemeinplatz meint, erfährt man im nächsten Satz: „Auch junge Menschen ohne Beeinträchtigungen haben das Recht auf bestmögliche Förderung.“ Dies unterstellt, dass die inklusive Beschulung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf dazu führt, dass alle anderen Kinder benachteiligt und nicht ausreichend gefördert würden. Schuld an Missständen sind also die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, nicht die miserablen Bedingungen! Sämtliche Erfahrungen und wissenschaftlichen Studien, die das Gegenteil belegen, werden ignoriert. Die AfD setzt sich also nicht für die Verbesserung der Bedingungen für inklusive Beschulung ein, sondern für eine verschärfte Auslese durch die Stärkung der Förderschulen und des gegliederten Schulwesens. Auf Plakaten verkürzte sie die Ideologie des Lernens in vermeintlich homogenen Lerngruppen auf die Kurzform „Förderschulen erhalten“, die auch unter Lehrerinnen und Lehrern durchaus Zustimmung finden dürfte. 

Die AfD tritt für ein „differenziertes Schulsystem aus Grund-, Haupt- und Realschulen, Gymnasien, Förderschulen (Schulen für Lernbehinderungen) und beruflichen Schulen“ und die Stärkung „individueller Förderung in kleinen Klassenverbänden“ ein. Gesamtschulen kommen im rückwärts gewandten Bild der AfD erst gar nicht vor. 

Auslese und Autorität stärken

Auch bei der Lehrerrolle greift sie auf alte Denkmuster zurück, um Alltagsnöte von Lehrerinnen und Lehrern für ihr Menschenbild zu instrumentalisieren:
„Die Autorität der Lehrer muss gestärkt werden. Lehrer müssen bei ihrer Arbeit vorbehaltlose Rückendeckung von Schulleitern und Schulaufsichtsbehörden erhalten. Disziplinstandards fördern das Lehren und Lernen. Lehrer müssen in die Lage versetzt werden, Unterrichtsstörungen wirksam zu unterbinden.“ 
Aber wie das konkret erfolgen soll, wird nicht benannt, denn „Disziplinstandards“ sind schnell formuliert. Nur wie man diese durchsetzen soll und wie sie das Lernen fördern, bleibt im Dunkeln. Das ist typisch für das AfD-Programm: Praktisch an keiner Stelle wird eine konkrete Umsetzung beschrieben. 

Weitere Themen der AfD gegen den – wie sie es nennt - „ideologiegetriebenen ‚Gleichheitsgrundsatz‘“, der angeblich das „Leistungs- und Anforderungsniveau an allen hessischen Bildungseinrichtungen verhängnisvoll nach unten abgesenkt hat“, sind „der Erhalt der Vater-Mutter-Kind-Kon­stellation als Keimzelle unserer Gesellschaft“, das Vorgehen gegen die „Sexualisierung von Kindern“, gegen den sogenannten „Genderwahn“ und gegen islamischen Religionsunterricht. So versucht die AfD, die politische Lücke zu schließen, die aus einer eher pragmatischen Bildungs- und Familienpolitik der CDU entstanden ist. Sie zielt auf eine Re-Ideologisierung der Schulpolitik, verbunden mit einem Roll-Back zurück zu Dreigliedrigkeit und zentralisiertem Unterricht durch autoritäre Lehrkräfte. Sie greift rechtskonservatives Gedankengut auf, radikalisiert es aber in ihrer praktischen Politik dadurch, dass sie es mit Drohungen und Einschüchterungen flankiert.

„... dann wird ausgemistet!“

Was auf uns in Hessen nach dem Einzug der AfD in den Landtag zukommen kann, haben Harald Freiling und Erhard Korn, ein Kollege aus Baden-Württemberg, wo die AfD 2016 mit 15,1 Prozent in den Landtag gewählt wurde, in der HLZ 6/2018 beschrieben (2). 
Lehrkräfte in Schulen und Hochschulen werden durch Dienstaufsichtsbeschwerden eingeschüchtert, wenn sie AfD-kritische Veranstaltungen unterstützen. Vor Ort griff die AfD – wie in Bernhausen bei Stuttgart – ganze Lehrkräftekollegien als „rot-grün geprägt“ an. Einzelne Lehrkräfte werden angegangen, weil sie die AfD als „Partei Ewiggestriger“ bezeichnet hätten. Mit den Worten, dass „diese Verbrecher (…) auf die Anklagebank wegen Volkshetze“ gehörten, unterstützten AfD-Anhänger auf der rechten Nachrichtenseite pi-news.net die Attacken der AfD auf Lehrerinnen und Lehrer in Bernhausen. „Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet!“, kündigte Markus Frohnmeier von der Jungen Alternative bei einer PEGIDA-Kundgebung in Erfurt an. Stefan Räpple bezeichnete Abgeordnete anderer Fraktionen im Stuttgarter Landtag als „Volksverräter“ und soll nach Informationen der Jungen Freiheit verkündet haben, dass er „die im Bundestag (…) auch aufhängen“ würde. Die Distanzierung seiner Fraktion hielt sich in Grenzen: Diese Aussagen seien „seine Pri­vatmeinung“ (SWR aktuell, 26.7.2018). Auch auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD im Unterricht reagiert die Partei allergisch. Der erwähnte Landtagsabgeordnete Stefan Räpple kündigte eine Strafanzeige gegen den Schroedel-Verlag an, da dieser Arbeitsblätter zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Parteiprogramm der AfD herausgibt, und forderte dazu auf, „alle Druckerzeugnisse des Schroedel-Verlages zu boykottieren“.

Kritik unerwünscht

Schlagzeilen machten inzwischen die Denunziationsplattformen der AfD in Hamburg und Baden-Württemberg, die Schülerinnen, Schüler und Studierende veranlassen sollen, Lehrerinnen und Lehrer an Schulen und Hochschulen namentlich zu melden, die sich kritisch mit Positionen der AfD auseinandersetzen oder anderweitig „auffallen“ (HLZ 12/2018). Dazu gehören auch Unterrichtsinhalte zu Fragen der Zuwanderung oder die Sexualerziehung. 

Die baden-württembergische AfD-Abgeordnete Christina Baum spricht von einem „schleichenden Genozid durch eine falsche Flüchtlingspolitik der Grünen“ und einer bewussten „Umvolkung“. Baum und Beatrix von Storch traten in Hessen bei der „Demo für alle“ auf, die dazu beiträgt, die Grenze zwischen konservativen Christinnen und Christen und extremer Rechte zu überwinden.
Diese Muster der AfD-Fraktionen in anderen Landtagen wurden von der AfD in Hessen im Wahlkampf kopiert. Um zu zeigen, „wie schon Dreijährige in der Schule indoktriniert werden“, entkleidete Heiko Scholz, ein Lehrer aus Eppstein, in seiner Bewerbungsrede für den Landtag die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hergestellten Puppen Lutz und Linda, die auch über primäre Geschlechtsmerkmale verfügen. Sie sah man dann auch auf Plakaten der AfD gegen die „Pimmel-Puppen-Pädagogik“ und die „schwarz-grüne Ideologie“, die von „Frühsexualisierung und Genderwahn“ geprägt sei. Landessprecher Robert Lambrou, der wie Heiko Scholz dem neuen Landtag angehören wird, nannte die Bildungspolitik in Hessen eine „durchideologisierte Verblödungsindustrie“, in der es für Schülerinnen und Schüler wichtiger sei, „einen Text durchzugendern statt das Einmaleins zu beherrschen“. Scholz sieht das Bildungssystem „dank eines anhaltenden Reform- und Inklusionswahns am Boden“. Die „Anforderungs- und Leistungsniveaus“ seien in allen Schulformen in Folge „linker bildungspolitischer Experimente“ immer niedriger. Von den „Petzportalen“ hielt Rainer Rahn, der inzwischen kalt gestellte Spitzenkandidat der AfD, im hr-fernsehen, „ganz persönlich nicht viel“, aber man wisse ja, „dass viele Lehrer ihrer Neutralitätspflicht nicht gerecht werden.“

Und die AfD in Hessen? 

Ein anderer, allerdings bereits pensionierter Lehrer in der AfD-Fraktion im Landtag ist Rolf Kahnt aus Bensheim, der den neuen hessischen Landtag als Alterspräsident eröffnen wird. Dass er zu einer Podiumsdiskussion des GEW-Kreisverbands Bergstraße nicht eingeladen wurde, habe ihm die Möglichkeit genommen, etwas zu den „vielen unverantwortlichen Lehrplänen der schwarz-grünen Koalition wie Gender­ideologie und Frühsexualisierung“ zu sagen. Eher zurückhaltend agierte die hessische AfD im Wahlkampf in Bezug auf die von Björn Höcke, dem aus dem hessischen Schuldienst beurlaubten Vorsitzenden der AfD in Thüringen, geforderte „erinnerungspolitische Kehrtwende um 180 Grad“. Die Nähe einzelner Abgeordneter der neuen hessischen Landtagsfraktion zu dem von Höcke angeführten völkischen Flügel der AfD und zur Identitären Bewegung beschrieb Sascha Schmitt in der HLZ 10-11/2018. Insoweit wird man gespannt sein, wie sich die AfD im Landtag positioniert. Ihr Wahlerfolg auch in Hessen zeigt jedoch auch, dass es ein großer Fehler ist, die AfD in ihrer mitunter provinziell daherkommenden kleinbürgerlichen Biederkeit zu unterschätzen. Eine „Denkzettelwahl“ kann auch schnell zum Eigentor werden!

Christoph Baumann

(1) Hier und im Folgenden: Wahlprogramm der AfD zur Landtagswahl in Hessen 2018 (www.afd-hessen.org/ltw2018/wahlprogramm)
(2) Ausführliche Informationen findet man auch in den aktuellen Ausgaben der E&W und auf der Homepage des GEW-Bundesverbands: www.gew.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/die-bildungspolitik-der-afd-wenn-wir-kommen-wird-ausgemistet/

Beratungsnetzwerk Hessen

Rechtsextreme Stimmungen an einer Schule, rassistische Stammtischparolen, Neonazis im Jugendclub, antisemitische Schmierereien – solche Vorfälle gibt es auch in Hessen. Das „beratungsNetzwerk hessen – gemeinsam für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“ berät kostenlos und vertraulich Schulen, Eltern und Familienangehörige, Kommunen, Vereine und andere Hilfesuchende in Fällen von Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus oder Salafismus und bietet Hilfe an. 
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