Die AfD im Landtag

Kampfinstrumente in der politischen Auseinandersetzung

HLZ 5/2020: Rechte Hetze und Gewalt

„AfD im Hessischen Landtag – Ein neuer Politikstil und seine Auswirkungen“ ist der Titel einer ausführlichen Analyse von Hannah Jestädt und Professor Benno Hafeneger, die in diesen Tagen im Wochenschau-Verlag erscheint. Im Mittelpunkt steht eine akribische Auswertung und Bewertung der Anträge, Anfragen und Debattenbeiträge der AfD-Fraktion im hessischen Landtag. Der Berichtszeitraum umfasst den Zeitraum von der Konstituierenden Sitzung des Landtags am 18.1.2019 bis zum 18. Januar 2020. Dabei erwies sich die AfD als eine sehr fleißige Fraktion mit immerhin 107 Anträgen und 229 Großen und Kleinen Anfragen. Eingebettet ist diese hessische Perspektive in eine breit aufgestellte soziologische und politikwissenschaftliche Analyse der Geschichte der AfD, ihrer Strömungen, ihrer Wahlerfolge sowie der Zusammensetzung von Mitgliedschaft, Mandatsträgern und Wählerschaft in der Bundesrepublik und in den Bundesländern, die sich mit Gewinn auch als Gesamtdarstellung der AfD lesen lässt. Das Buch enthält ein ausführliches Kapitel mit Empfehlungen zum Umgang mit der AfD in der Öffentlichkeit und in den Parlamenten. Die HLZ veröffentlicht einige Schlaglichter über die Zielrichtung der Anträge und Anfragen und dokumentiert das abschließende Kapitel „Bilanzierende Einschätzung und Ausblick“ in Auszügen.

Für Oppositionsparteien gilt verfassungsgemäß generell, parlamentarische Debatten anzuregen und Initiativen zu ergreifen. Es ist ihre Aufgabe und ihr Auftrag die Regierung mit Anfragen und Anträgen, aktuellen Stunden und eigenen Gesetzentwürfen zu konfrontieren und herauszufordern. Dies ist ein Kernmerkmal parlamentarisch verfasster Demokratien und zeigt ihre Transparenz, Lebendigkeit und das Ringen um bessere Lösungen. Die Regierungen sind – im Rahmen der Geschäftsordnung mit den zugehörigen Fristen – verpflichtet, Auskunft zu erteilen und zu antworten. Anfragen, Anträge und Aktuelle Stunden sind auch – das gilt nicht nur, aber insbesondere für die AfD – ein Kampfinstrument in der politischen Auseinandersetzung. (…)
Anträge, Anfragen, Debatten
Dabei schien es in Hessen der Partei- und Fraktionsspitze zunächst zu gelingen, die unterrschiedlichen Strömungen zu integrieren und der im Kern rassistischen Partei ein mehr moderat rechtskonservatives Profil zu geben – sie definiert(e) sich wiederholt als bürgerlich-konservativ. Aber auch in Hessen zeigte sich im parlamentarischen Verhalten sukzessive eine aggressive, menschen- und demokratiefeindliche Rhetorik, wird in den Anfragen, Anträgen und Debattenbeiträgen die ideologische Orientierung deutlich. Ihr geht es vor allem – vielfach mit detaillierten Fragekatalogen verbunden – um Informationen und Auskünfte über angebliche Missstände einer für sie durchweg in allen Bereichen „verfehlten Politik“ von Regierung (und auch den Vorstellungen der anderen Oppositionsparteien), über eine ihr missliebige Förderpolitik, das Infragestellen und Denunzieren von Trägern und Handlungsfeldern, engagierten Akteuren und deren Aktivitäten. (…)
Im Duktus der Fragen, in den angeforderten Auskünften und in den Debattenbeiträgen schwingen Aspekte wie unkorrektes Vorgehen, missbräuchliches und rechtswidriges Handeln, vermeintliche Tatbestände und Verhaltensweisen, fehlende Kontrolle und Prüfung mit, die auf die Delegitimierung in der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Die AfD signalisiert damit, was und wen sie beobachtet und öffentlich macht, wem sie angebliches „Fehlverhalten“ nachweist, was und wen sie einschüchtern, diskreditieren, denunzieren, vorführen und unter Druck setzen will. Damit zusammenhängend wird versucht, eine Kultur der Angst zu erzeugen, Druck auf politisch Verantwortliche und Geldgeber auszulösen, die von ihr so genannten „Altparteien“ vorzuführen, weil der AfD (…) die ganze Richtung einer Politik nicht passt, die eine offene und liberale, demokratiefördernde und pluralistische Gesellschaft favorisiert.
Die AfD-Fraktion (…) will mit ihren Fragen zu Migration, Asyl und Flucht, zu Gender, Innerer Sicherheit, Kriminalität, Klimawandel und vielen anderen Themenbereichen vielfach nur provozieren, ihre Kernthemen popularisieren und externen Einfluss nehmen. Dabei meint externe Einflussnahme alle Versuche, auf landespolitische Themen, Strukturen, Träger, Konzepte, Förderung, Angebote und Personen Einfluss nehmen zu wollen.
In den politischen Auseinandersetzungen wird versucht, politisch-kulturelle Ängste (Migration, Überfremdung, sozialer Abstieg) in Teilen der Bevölkerung (vor allem der unteren sozialen Schichten) wiederholt ganz oben zu halten, zu dramatisieren und den Diskurs in diese Richtung zu verschieben. Sozialen Gruppen werden wiederholt ethnisierte, kulturalisierte und rassifizierte Bilder und Haltungen zugewiesen; sie werden abgelehnt, abgewertet und ausgegrenzt.
Es sind Denkmuster identifizierbar, die mit „gefühlten Wahrheiten“ und „alternativen Fakten“ seriöses Wissen und Konsens in der Wissenschaft (Klimawandel, Genderforschung, Migration) problematisieren, infrage stellen und leugnen. Man geriert sich als kritischer und alternativer Geist, der mit „gesundem Menschenverstand“ und methodenkritisch mit angeblich eigener Expertise dem Mainstream widerspricht. (…)
Oft mit zunächst vermeintlich unverdächtig anmutenden und neutralen (informationsgeleiten) Fragen werden sukzessive Förderpolitik, Programme, Einrichtungen und Maßnahmen infrage gestellt, angegriffen, denunziert und – unter anderem mit antifeministischem ideologischem Repertoire – für überflüssig erklärt.
Gepaart werden ein neoliberales Wirtschaftskonzept und nationales Sozialstaatskonzept mit einem traditionellen und ausgrenzenden Verständnis sozialer und kultureller Werte und Normen gegen kulturelle Diversität, Multikulturalismus, Feminismus und Einwanderung.
Politisch-kulturell werden die „Bewahrung“ und „Rettung“ gegen den konstruierten „kulturellen Feind“, der von außen kommt („die Migranten“), die „sichere Heimat“ sowie regionale und deutsche Identität propagiert. (…)

Vor allem die offen oder verdeckt ideologisch motivierten Anträge und Anfragen sowie die Subtexte gehören mit ihrer – vielfach kaum um Mäßigung bemühten – Rhetorik, ihren Formulierungen und Sprachgesten zur Strategie der AfD. Es sind Versuche, den öffentlichen und parlamentarischen politischen Diskurs zu beeinflussen und mit ihren Krisennarrativen nach rechts zu verschieben, eine Kultur der Verunsicherung, Denunziation und Ängstlichkeit zu erzeugen. Die Fragen und Beiträge sollen angebliche politische Probleme und Krisen- und Fehlentwicklungen einer bedrohten Ordnung und des mit Volksgemeinschaftsrhetorik verbundenen vermeintlichen „Überlebenskampfes“ aufzeigen. (…)
Verunsicherung, Denunziation, Bedrohung
Der angebotene autoritäre, antiuniversalistische, illiberale und retardierende „Gegenentwurf“ eines Neonationalismus, der (…) eher ein populistisches „Potpourri“ des gewöhnlichen (nationalistischen) Repertoires ist, soll demokratisch ausgehandelte und kompromissorientierte Politik denunzieren.
Durch parlamentarische Anträge, Anfragen und Aktuelle Stunden im Landtag sollen demokratiebewusste und menschenrechtsbasierte Aktivitäten in allen gesellschaftlichen Bereichen sowie Teile der Zivilgesellschaft und der Kultur unter Druck geraten. Deren Träger und engagierte Akteure werden angegriffen und deren Förderung bzw. Förderungswürdigkeit wird problematisiert. Sie werden angefragt, sollen überprüft werden und sich (in die Defensive gedrängt) rechtfertigen; sie werden diffamiert und angefeindet, sollen eingeschüchtert und verängstigt, ihr Engagement soll beschnitten und ihre Handlungsspielräume sollen eingeengt werden. (…)
Ein Blick in andere Länder mit rechtspopulistischer Regierung bzw. Regierungsbeteiligung zeigt, wohin die Reise gehen soll und wie sich „rechte Räume“ entwickeln. Es ist davon auszugehen, dass es – wenn die AfD jemals Regierungsverantwortung haben sollte – für kritische und emanzipatorische, demokratie- und menschenrechtsbewusste Träger, Vereine, Initiativen und Aktivitäten keine öffentlichen Fördergelder mehr geben wird.

Die Veröffentlichung der Auszüge erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Benno Hafeneger und Hannah Jestädt und des Wochenschau-Verlags.

Benno Hafeneger und Hannah Jestädt: AfD im Hessischen Landtag. Ein neuer Politikstil und seine Auswirkungen. Wochenschau Verlag, 160 Seiten, 14,90 Euro. Frankfurt 2020


Aus den Anfragen der AfD-Fraktion im Hessischen Landtag

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Gefragt wird nach der Anzahl, den Einrichtungen, der Altersbestimmung, der „psychotherapeutischen Behandlung“ und den „Kosten der Unterbringung in Jugendhilfeeinrichtungen“; weiter nach der Anzahl der „Fahndungen“, den „erkennungsdienstlichen Maßnahmen“ und der „Altersfeststellung“, den „Verurteilungen“ und „Haftstrafen“ sowie dem „zeitweise nicht bekannten Aufenthaltsort“ und der „Betreuungssituation“.

Kopftuch im Schuldienst: Die AfD fragte u.a. nach der Zahl der Lehrerinnen, „die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen“, und der Zahl der Studentinnen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen.

Fridays for Future: Die AfD fragte nach der Zahl ausgefallener Unterrichtsstunden, nach „Gegenbewegungen“, der Absicherung bei Unfällen und „dem Umgang mit CO2-Emissionen bei Schulfahrten, wobei insbesondere die Auswahl der Zielorte und die Transportmittel verstärkt in den Blick zu nehmen sind“.

Gender Mainstreaming: Fünf Anträge und Anfragen thematisieren Gender und Sprache in verschiedenen Kontexten. In einer Anfrage geht es um „Toiletten für das ‚dritte Geschlecht‘ und Unisextoiletten an hessischen Bildungseinrichtungen“. Eine Anfrage fragt nach der Definition der Landesregierung bezüglich „Gender-Mainstreaming“ und nach der Anzahl der Lehrstühle und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich mit dem Thema „Gender“ auseinandersetzen. In dem Antrag „Aufruf gegen ‚Gender-Unfug‘“ wird der Landtag aufgefordert, „sämtliche in der Vergangenheit vom Hessischen Landtag beschlossenen Regelungen, die eine ‚geschlechtergerechte Sprache‘ zum Gegenstand haben, außer Kraft“ zu setzen.

Bildung: Zur „Stärkung der innerfamiliären Bildung“ fordert die AfD-Fraktion, „weniger für Ganztagsangebote und mehr für das dreigliedrige Schulsystem“ auszugeben. Sie fordert, Geld für Inklusiven Unterricht einzusparen und „zur Stärkung des bewährten Förderschulsystems“ zu verwenden. Ausgaben für die „Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund“ sollten reduziert werden, da diese eine „Verletzung des im Grundgesetz verankerten Gleichbehandlungssatzes“ darstellten. Programme zum Spracherwerb für geflüchtete Menschen sollen beschränkt werden, denn „eine Investition in ausreisepflichtige Personengruppen“ sei „überflüssig.“ Die Landesmittel für die Studienkollegs an den hessischen Universitäten sollen komplett gestrichen und die dort angebotenen Kurse zur Studienvorbereitung „ausländischen Bewerbern vollumfänglich in Rechnung gestellt werden“.

Ausländerbeiräte: Die AfD-Fraktion ist nach dem Urteil von Hafeneger und Jestädt „auch für Überraschungen“ gut. So plädierte sie im Dezember 2019 in der Debatte über den Gesetzesentwurf der Regierungskoalition zur Zukunft der Ausländerbeiräte (HLZ 3/2020) für deren Stärkung. Das Gesetz sei eine „Frechheit“ und der „Zorn des Ausländerbeirates“ berechtigt.