Elisabeth Selbert (1896 bis 1986)

Parlamentarischer Rat: Der Kampf für die Gleichberechtigung

HLZ 5/2019: 70 Jahre Grundgesetz

 

Zusammen mit Frieda Nadig, Helene Weber und Helene Wessel gilt die SPD-Politikerin Elisabeth Selbert aus Kassel als „Mutter des Grundgesetzes.“ Martha Elisabeth Rohde wurde am 22. September 1896 in Kassel geboren. Sie wollte Lehrerin werden, doch ihre Eltern konnten den Besuch eines Gymnasiums nicht finanzieren. 1918 lernte sie Adam Selbert kennen, einen gelernten Buchdrucker, der 1918 in Niederzwehren bei Kassel Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrates war. Philipp Scheidemann, damals Oberbürgermeister in Kassel, förderte die junge Frau 1919 wurde sie in das Gemeindeparlament von Niederzwehren gewählt, 1920 nahm sie an der ersten Reichsfrauenkonferenz in Kassel teil. Ihre Kritik, „dass wir zwar heute die Gleichberechtigung für unsere Frauen haben, dass aber diese Gleichberechtigung immer noch eine rein papierne ist“ (1), schildert die Kluft zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit, die bis heute aktuell ist.

1926 legte sie an der Luisenschule in Kassel das Abitur als Externe ab und studierte in Marburg und Göttingen Rechts- und Staatswissenschaften. In Göttingen war sie unter rund 300 Studenten eine von fünf Frauen. Auch mit dem Thema ihrer Dissertation über die Zerrüttung als Ehescheidungsgrund war sie ihrer Zeit weit voraus.

Bei der Reichstagswahl im März 1933 kandidierte Selbert erfolglos auf der hessischen Landesliste für den Reichstag. Ihr Mann wurde 1933 im KZ Breitenau inhaftiert und war bis 1945 arbeitslos. Kurz vor der Änderung der Vorschriften zur Zulassung zu juristischen Berufe erhielt Selbert die Zulassung zur Anwältin beim Oberlandesgericht Kassel.

1946 wurde Elisabeth Selbert zunächst in die Verfassungsberatende Landesversammlung für Groß-Hessen und 1948 dann in den Parlamentarischen Rat gewählt, der die Aufgabe hatte, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland auszuarbeiten. Diesem Gremium gehörten 61 Männer und 4 Frauen an. Elisabeth Selbert und andere Abgeordnete kämpften mit Nachdruck dafür, dass der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Mehrere Abstimmungen scheiterten, so dass Elisabeth Selbert zusammen mit wenigen Mitstreiterinnen die Öffentlichkeit einschaltete. Frauen aus allen Schichten und Berufen schrieben Protestbriefe an den Parlamentarischen Rat. 40.000 Metallarbeiterinnen unterschrieben eine Petition, viele Frauen schrieben an ihre Abgeordneten. 

Vom Inkrafttreten des Grundgesetzes bis zur vollen rechtlichen Gleichstellung der Frauen war ein weiter Weg. 1957 wurde ein erstes Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet. Erst 1977 wurde die Regelung aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) getilgt, wonach das Recht von Ehefrauen, „erwerbstätig zu sein“, nur soweit gilt, als „dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist“.

Eine Kandidatur Selberts für den ersten westdeutschen Bundestag scheiterte ebenso wie die Intention der SPD, sie zur ersten Richterin des Bundesverfassungsgerichts zu machen. Bis 1958 war Selbert Mitglied des Hessischen Landtags und betrieb danach bis zu ihrem 85. Geburtstag ihre auf Familienrecht spezialisierte Kanzlei in Kassel. Sie starb 1986.

Seit 1983 vergibt die Hessische Landesregierung alle zwei Jahre den Elisabeth-Selbert-Preis, um „hervorragende Leistungen für die Verankerung und Weiterentwicklung von Chancengleichheit von Frauen und Männern“ zu würdigen. Im Mai 2019 werden Birgit Schäfer und Anja Braselmann für die von ihnen mit entwickelte Strategie des Gender-Budgeting ausgezeichnet, die eine geschlechtergerechte Personalentwicklung mit stärkeren Zugangsmöglichkeiten für Frauen zu Arbeitsplätzen mit einer qualifizierten Tätigkeit befördern soll.

(1) zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_Selbert

Zum Weiterlesen:
Antje Dertinger: Ein ermutigendes Frauenleben: Elisabeth Selbert. Wiesbaden: Hessische Landeszentrale für politische Bildung 2017. Download: https://bit.ly/2WSElM3