Prävention statt politischer Bildung?

Fortbildungsangebote des Landesamts für Verfassungsschutz

HLZ 2022/6: Politische Bildung

Das Hessische Landesamt für Verfassungsschutz machte in den letzten Jahren vor allem durch seine fragwürdige, nach wie vor nicht aufgeklärte Rolle im Zusammenhang mit den NSU-Morden von sich reden. Gleichwohl nimmt es für sich in Anspruch, in der Extremismusprävention tätig zu werden, unter anderem im Rahmen der Lehrkräftefortbildung. Diese wird im Verfassungsschutzbericht als eine wichtige Säule der „aufklärenden Prävention“ benannt:
„Eine der wichtigsten Zielgruppen der Präventionsarbeit sind Multiplikatoren im Bereich der (Jugend-)Bildung, wie zum Beispiel Lehrkräfte. Seit 2009 ist das LfV durch die Hessische Lehrkräfteakademie als Anbieter von Fortbildungen für hessische Lehrerinnen und Lehrer akkreditiert. Das Fortbildungsangebot kann über die Staatlichen Schulämter, aber auch von einzelnen Schulen in Anspruch genommen werden.“ (1)

Ein kurzer Blick in den Veranstaltungskatalog der Lehrkräfteakademie zeigt, dass Angebote der Abteilung Prävention und phänomenübergreifende Analyse des Landesamts in allen Staatlichen Schulämtern auf Abruf zur Verfügung stehen. Diese widmen sich den Themen „Rechtsextremismus“, „Islamismus“, „Ausländerextremismus“ und „Linksextremismus“. Auskunft über die Frage, in welchem Umfang diese wahrgenommen wurden, gibt eine aktuelle parlamentarische Anfrage von Nancy Faeser und Günter Rudolph (SPD).

Dem Kultusminister zufolge geht das Landesamt „auch proaktiv“ auf die Staatlichen Schulämter zu, um seine an Lehrkräfte adressierten Fortbildungsangebote zu platzieren. So kam in dem Zeitraum von 2018 bis 2020 eine Zahl von insgesamt 65 Veranstaltungen zusammen. Dabei werden auch die fest geplanten Fortbildungen mitgezählt, die 2020 pandemiebedingt ausgefallen sind oder verschoben wurden. Zumeist handle es sich um eintägige Veranstaltungen. Die Teilnehmendenzahl bewege sich in der Regel im zweistelligen Bereich, könnte in Einzelfällen – etwa im Rahmen von Lehrkräftevollversammlungen – aber auch darüber hinausgehen. Von daher kann man schätzen, dass mindestens 1.000 Lehrkräfte erreicht wurden. (2)

In der Anlage zu der kleinen Anfrage sind alle durchgeführten Veranstaltungen aufgeführt. Der Großteil lässt sich einem der oben genannten Themen zuordnen. Einige Fortbildungen verbanden aber auch verschiedene „Phänomenbereiche“, wie es im Jargon des Verfassungsschutzes heißt. Der thematische Schwerpunkt lag mit 20 Veranstaltungen erkennbar im Bereich Rechtsextremismus. Es folgt der Bereich Islamismus mit 14 Veranstaltungen, davon ein Großteil im Jahr 2017. Das 2019 gestartete Präventionsprojekt „Begegnungen gegen Antisemitismus“ wurde acht mal durchgeführt. Linksextremismus stand bei zwei Fortbildungen auf der Agenda. Alle anderen Veranstaltungen lassen sich nicht klar einem Bereich zuordnen.

Nach § 2 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes soll das Landesamt für Verfassungsschutz den zuständigen Stellen ermöglichen, „rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu treffen“. Die Frage, ob es dazu einer mit geheimdienstlichen Methoden arbeitenden Behörde bedarf, die sich nicht auf klar definierte Straftatbestände beruft, sondern auf ein abstraktes Konstrukt wie die „freiheitliche demokratische Grundordnung“, ist politisch umstritten (HLZ S.16f.). Die darüber nochmals hinausgehende Aufgabe, diesen „Bestrebungen und Tätigkeiten durch Information, Aufklärung und Beratung entgegenzuwirken und vorzubeugen (Prävention)“, wurde erst 2018 ausdrücklich im Gesetz verankert.

Die Arbeit des Verfassungsschutzes orientiert sich an dem Extremismuskonzept, welches nicht etwa aus den Sozialwissenschaften stammt, sondern auf die Sicherheitsbehörden selbst zurückgeht. Nach der daraus abgeleiteten Huf­eisentheorie ähneln sich der linke und der rechte Extremismus in ihrer Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Offenheit für Gewalt als politisches Mittel. Letztendlich glichen sich die Enden des politischen Spektrums somit – wie bei einem Hufeisen – einander an. Auf dieser Basis droht politische Bildung zu einer reinen Extremismusprävention degradiert zu werden. Die weite Verbreitung von Formen der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“, wie sie etwa von den Mitte-Studien im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung wiederholt aufgezeigt wurde, gerät so aus dem Blick. (3)

Ein weiteres Problem ist, dass das Landesamt für Verfassungsschutz mit seinem verstärkten Engagement in der Fortbildung in eine unmittelbare Konkurrenz zu den Angeboten aus der Zivilgesellschaft tritt. Es gibt eine Vielzahl an etablierten Anbietern für Fortbildungen, die über deutlich mehr pädagogisch-didaktische Expertise als der Verfassungsschutz verfügen dürften. Hier ist nicht zuletzt die lea Bildungsgesellschaft als Bildungswerk der GEW Hessen zu nennen.

Roman George


(1) Hessisches Ministerium des Inneren und für Sport (2021): Verfassungsschutz in Hessen. Bericht 2020, S. 29-30.
(2) Kleine Anfrage Nancy Faeser und Günter Rudolph (SPD) vom 17.12.2020: „Extremismusprävention an hessischen Schulen“ und Antwort des Kultusministeriums, Drucksache 20/4304.
(3) Eva Berendsen, Katharina Rhein, Tom Uhlig (Hg.): Extrem unbrauchbar. Über Gleichsetzungen von links und rechts, 2. Aufl., Berlin 2020.