Tabubruch

Wie rechtsextremer Sprachgebrauch neue Realitäten schafft

HLZ 5/2020: Rechte Hetze und Gewalt

Die Sprache ist dem Menschen gegeben,
um seine Gedanken zu verbergen.
(Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord)

Die militärische Niederlage des NS-Faschismus 1945 brachte ihn durch die Ungeheuerlichkeit der von ihm verübten Verbrechen um die von ihm behauptete moralische Legitimität. Für die Neue Rechte besteht seitdem das „moralpolitische“ Dilemma, wie man nach dem Holocaust und den Verbrechen des Vernichtungskrieges Nazi sein kann, ohne dass es nachweisbar auffällt und man doch zugleich für Gesinnungsgenossen identifizierbar bleibt.

Die bestehende eigene Unterlegenheit wird auf den Besitz der überlegenen materiellen Mittel seitens der politischen Gegner zurückgeführt, der es diesen erlaube, „ihr perverses Identitätsbild von uns Deutschen“ als alleingültig in die Köpfe zu pflanzen. (1) Nützliche Anregungen erhielt sie dabei von der französischen Nouvelle Droite mit ihrem neuen strategischen Konzept der „Konzentration auf Metapolitik“. Damit ist „hauptsächlich das dem unmittelbar Politischen vorgelagerte Feld des Kulturellen gemeint“, somit ein Verfahren, „mit dem man einen Gegner aus einer Defensivposition heraus mit dessen eigenen Mitteln schlagen kann. Sie gilt als ‚Festlegung von politischen Prinzipien (…), aus denen politische Entscheidungen und Zielsetzungen abgeleitet werden können.‘ Parlamentarisch im Abseits machten sich Rechtsintellektuelle in den siebziger Jahren unter diesem Vorzeichen daran, geistiges Terrain zurückzuerobern.“ (2)

Hegemonietechniken der Rechten

Die Verwendung von Sprache im öffentlichen Raum steht darum in den Worten des Höcke-Interviewers Sebastian Hennig im Fokus rechter Strategiebildung: „Ein Begriffsnetz wird über das Weltgeschehen geworfen und dieses hat gefälligst zu parieren. Die Macht hat, wer die Sprache regelt und die Themen ausruft.“ (3)

Demgegenüber soll es darauf ankommen, die „kulturelle Hegemonie“ zu erringen, ein Begriff, den der italienische KP-Chef Gramsci für seine Strategieüberlegungen nach der Niederlage der italienischen Kommunisten gegen den Faschismus von Josef Stalin übernommen und weiterentwickelt hatte:
„Im Gegensatz zu Gramsci geht es der Neuen Rechten mit ihrem Rückgriff auf dessen Vokabular aber nicht um die Sichtbarmachung und noch viel weniger um die Kritik von Herrschaftsverhältnissen. Was sie an Gramscis Hegemonietheorie fasziniert, ist der strategische Gedanke an die Potenziale einer geistig-kulturellen Führerschaft.“ (4)

Die Rechten wenden dabei vor allem die folgenden sprachlichen „Hegemonietechniken“ an:
Täuschung: Man führt die politischen Gegner anhand der unaufhebbaren Paradoxien des politischen Liberalismus als Vertreter einer „Meinungsdiktatur“ vor, um sich selbst als den wahren Vertreter der Demokratie glänzen zu lassen. „Freiheit“ gehört daher zu den Lieblingsvokabeln der Neuen Rechten, auch wenn es nur darum geht, dass „der besorgte Ruf nach Freiheit (…) in biologistischer Tonart“ erklingt: „Deutschland als Wesen, als organische Einheit, bedürfe einer Befreiung von Parasiten und Schmarotzern, um sich entfalten und wachsen zu können.“ (5)

Umdeutung: Die Strategie der Umdeutung(en) beginnt schon mit der Behauptung, das Hauptproblem des gegenwärtigen „Systems“ liege in seiner Herrschaft über die hinderlichen Sprachregelungen und nicht in der Verbrechensgeschichte des Faschismus. Ein Beispiel dafür ist der Ausdruck „Umvolkung“, der ursprünglich aus dem NS-Vokabular „Eindeutschung“ fremder Staatsbürger auf eroberten Territorien bedeutete und heute den angeblichen „Genozid am eigenen Volk“ durch Immigration bezeichnen soll. Auch der Kampfbegriff „Frühsexualisierung“ steht für diese Technik:
„Mit dem kleinen Wörtchen ‚früh‘ werden ohne Umschweife alle Aufklärungs- und Gleichstellungsgedanken mit Kindesmissbrauch assoziiert“. (6)

Die Begriffe „Faschismus“ und „Faschisten“ werden so verwendet, dass Faschisten immer die anderen sind, so die „Übersetzung“ von „Antifa“ in „antideutsche Faschisten“.

Pauschalisierung: Durch Pauschalisierungen werden Totschlagsausdrücke für problematische gesellschaftliche Sachverhalte und Verhältnisse an die Stelle einer kritisch-differenzierenden Betrachtungsweise gesetzt. Eines der bekanntesten Beispiele ist „die Lügenpresse“, womit die Notwendigkeit einer von Fall zu Fall kritisch-argumentativen Auseinandersetzung mit Schwachstellen des „Mainstreamjournalismus“ (auch so ein pauschalisierender Terminus) durch eine Generalabwertung ersetzt wird, die im Namen der „Wahrheit“ den Anspruch deklariert, ohne Argumente auskommen zu können.

Diffamierung und Abwertung: Die Verlagerung der politischen Auseinandersetzung auf das Gebiet der Sprache nutzt eine paradoxe Zwangslage des liberalen Staates aus, die Judith Butler in ihrer weitbeachteten Schrift „Hass spricht“ folgendermaßen fasst: „Der Staat produziert hate speech, und damit meine ich nicht, daß der Staat für die verschiedenen Verleumdungen, Epitheta und Formen der Beschimpfungen verantwortlich ist (…).Tatsächlich produziert der Staat den Bereich der öffentlich akzeptablen Sprache, indem er die folgenschwere Grenze zwischen dem Bereich des Sagbaren und des Unsagbaren zieht und damit auch die Möglichkeit für sich behält, sie zu ziehen und aufrechtzuerhalten. Die überzogene und wirkungsvolle Äußerung, die hate speech (…) zugeschrieben wird, ist selbst nach dem Sprechen des souveränen Staates gebildet und wird als souveräner Sprechakt verstanden, ein Sprechakt, der die Macht besitzt, das zu tun, was er sagt.“ (7)

Hate speech, die im Kontext der Aufnahme von Geflüchteten 2015 an Fahrt aufgenommen hat, zielt vor allem auf Immigrantinnen und Immigranten. Durch Ausdrücke wie „passdeutsch“ werden angebliche Wesensunterschiede zwischen „uns“ und den „Anderen“ gesetzt, um dann mit Pauschaldiffamierungen wie „Ficki-Ficki-Fachkräfte“ oder „Rapefugees“ den gerechten „Volkszorn“ dahin zu lenken, wo Hetzer wie Pegida-Mitbegründer Bachmann umstandslos mit „Gelumpe, Viehzeug, Dreckspack“ dem Objekt ihres Sprechens die Eigenschaft, Mensch zu sein, ganz generell absprechen können. Für den politischen Gegner, den man „linksversifft“ oder „rotgrün-versifft“ nennt, wird dieselbe metaphorische Ausdrucksweise verwendet, die sich polarer Kategorien von Schmutz und Dreck contra Reinheit und Hygiene bedient. „Linke Filzläuse“, „ausländische Parasiten“ und „Schmarotzer“ stellen in gleicher Weise eine „Verseuchung“ des reinen „Volkskörpers“ dar, die nach Maßnahmen der „autochthonen Bevölkerung“ verlangt. Dabei werde man nicht „um eine ‚wohltemperierte Grausamkeit‘ herumkommen“ (8).

Hate speech: Mehr als Worte

Butler verwendet im Anschluss an den amerikanischen Sprachphilosophen John L. Austin den Begriff des „performativen Sprechakts“. Danach kann der Gebrauch von Worten nicht nur bestimmte Handlungen hervorrufen, sondern muss selbst als Handlung betrachtet werden, die unmittelbar neue Realitäten schafft. Das gebrochene Wort zerstört eine bisher intakte Beziehung, die ausgesprochene Beleidigung erzeugt Feindschaft, die Lüge produziert soziale Distanz als Gegenpol zu Vertrauen. Der exemplarische Akt performativen Sprechens liegt für Austin und Butler im souveränen staatlichen Sprechen vor, das tut, was es ausspricht, etwa in den Worten des Standesbeamten „Ich erkläre euch zu Mann und Frau“, eine sprachliche Formel, die dadurch, dass sie ausgesprochen wird, etwas Neues, hier eine geschlossene Ehe, begründet.

Folgt man Judith Butler, so ist das für rechte Kreise charakteristische hasserfüllte Sprechen nicht nur wegen seiner Wirkung verwerflich, Menschen zu gewalttätigen Übergriffen zu veranlassen, sondern stellt selbst ein Handeln dar, das bestehende Wirklichkeiten verändert bzw. neue Wirklichkeiten schafft. Butler stellt daher hate speech dem gesetzmäßigen Sprechen der Justiz gleich: „Das Gesetz sagt, was es tut – wie derjenige, der hate speech äußert.“ (9)

Mit der Sprache des Hasses wird für deren menschliche Zielobjekte eine neue Realität hergestellt, in der das universelle Gleichheitsgebot, wie es auch im Grundgesetz festgeschrieben ist, nicht mehr unbestritten gilt, sondern zu einem erst noch durchzusetzenden Ideal wird. In dieser neuen Realität sieht sich das menschliche Objekt des hasserfüllten Sprechens auf einmal als Repräsentation eines „Anderen“ festgeschrieben, dem der Hass-Sprecher seine Gleichwertigkeit, ja seine Existenzberechtigung abspricht, ein Akt der Aggression, nicht nur gegen die jeweiligen menschlichen Adressaten dieser Handlung, sondern gegen die staatliche Souveränität selbst.

Daher kann die Auseinandersetzung mit hate speech auch nicht einfach als eine Frage des besseren Arguments und der schlüssigeren Argumentation auf einem grundsätzlich freien Markt der Meinungen behandelt werden, sondern sie stellt eine Frage der Macht dar, da die Akteure des Hass-Sprechens eine andere Souveränität einrichten wollen, deren Ziel die Ungleichheit der Menschen als neue Norm ist, auf deren Grundlage sie Politik machen wollen. Es ist daher naheliegend, dass sowohl Opfer wie politische Gegner des Hass-Sprechens Zuflucht bei der bestehenden Staatsmacht suchen.
Doch dies ist ein zweischneidiges Verhalten, denn man fordert damit, dass der Staat seine grundlegende Neutralität aufgeben und selbst die gleiche Gewährung von Rechten (z. B. Meinungsfreiheit) tendenziell zurücknehmen soll, um seine brüchig gewordene Souveränität wiederherzustellen.

Wenn Gruppierungen wie der jüngst aufgelöste „Flügel“ von Höcke, Kalbitz und Gesinnungsgenossen die AfD als Partei bezeichnen, „die den Mut zur Wahrheit und zum wirklich freien Wort“ besitzt (10), dann geht es nicht nur darum, die Verteidiger der Demokratie als Parteigänger einer staatlichen Zensurpolitik zu diffamieren, sondern als Verkünder der angeblich unterdrückten Wahrheit im Namen des „Volkes“ den demokratischen Institutionen ihre Souveränität selbst streitig zu machen. Der Sprachgebrauch der extremen Rechten ist daher ein Mittel zur Installierung einer anderen Staatlichkeit, da man sich „als Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“ begreift, die auf eine „grundsätzliche politische Wende in Deutschland“ (10) abzielt.

Der in Permanenz vollzogene sprachliche Tabubruch hat daher eine ganz andere Funktion als den behaupteten Willen zur Aufklärung des „verführten“ Volkes: Die Strategie, im beständigen Ringen um das Sagbare und Unsagbare zugleich die Grenzen staatlicher Souveränität aufzuzeigen und diese zugunsten der eigenen Definitionsmacht verändern zu wollen, soll den demokratischen Staat beständig unter Druck setzen. Gleichzeitig bietet man sich als Sammlungsbewegung aller Unzufriedenen an. Die realen, sozial hergestellten Ungleichheiten von Arm und Reich, Oben und Unten mit ihren Verzichts- und Entwürdigungserfahrungen erzeugen die psychischen Energien, die von den Akteurinnen und Akteuren des hate speech gezielt in die Produktion von politisiertem Hass gelenkt werden, um so ihren eigenen Einfluss zu vergrößern.

Ernst Olbrich

(1) Nie zweimal in denselben Fluss: Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig, Lüdinghausen und Berlin 2018, S. 11
(2) Volker Weiß: Die autoritäre Revolte, Stuttgart 2017, S. 54f
(3) Hennig/Höcke, a.a.O. S. 9
(4) Jonas Fedders: Kulturrevolution von rechts in: Berendsen, Rhein u. a. (Hg.), Extrem unbrauchbar – Über Gleichsetzungen von links und rechts, Berlin 2019, S. 219 (vgl. auch den Beitrag HLZ S. 20-21)
(5) ebenda, S. 55
(6) ebenda, S. 58
(7) Judith Butler: Hass spricht, Berlin 2006, S. 124
(8) Björn Höcke in: Hennig/Höcke, a.a.O. S. 254
(9) Judith Butler, a.a.O. S. 130
(10) Erfurter Resolution, 2015


Zum Weiterlesen

Rechte Politiker sprechen von „Umvolkung“, von „Kopftuchmädchen und Messermännern“ und davon, dass die Hitlerzeit ein „Vogelschiss“ gewesen sei. Die „Rhetorik der parlamentarischen Rechten“ analysiert der Literaturwissenschaftler und Lyriker Heinrich Detering in seinem Buch „Was heißt hier ‚wir‘“? (aktualisierte Hardcover-Ausgabe Reclam Verlag 2020, 77 Seiten, 10 Euro; auch als Taschenbuch und als Klassensatz erhältlich).